Tichys Einblick
Herles fällt auf

Anmut und Analyse

Von Angela Merkels Triumph müssen wir uns erst erholen. Es gibt in Saarbrücken keine nennenswerte Opposition mehr. Modell Saarland also. Im Bundestag blüht uns nichts anderes. Frau Schulz-Merkel operiert ungestört Deutschland weiter ins Wachkoma.

Gleich zwei epochale Ereignisse in einer Woche, und die Deutschen sind noch immer ganz bei sich.

I.

Jetzt ist also Frau Krampf-Knarrenbauer in die Geschichte eingezogen. Und zwar mit so einem Karacho, dass man sich inzwischen sogar ihren Namen merken kann. Wenn einem das als CDU-Politikerin gelungen ist, steht man auf der Liste der aussichtsreichen Merkel-Nachfolge-Kandidatinnen ganz oben. Dank Frau Knarr-Kragenzauber hat Frau Merkel an der Saar triumphiert wie einst Napoleon vor Ulm. Ihr Sieg hat sich sofort wie ein Lauffeuer um die ganze Welt verbreitet, was schon daran zu sehen ist, dass Donald Trump ihr telefonisch gratuliert hat. Er hält jetzt Saarland für eine Stadt in Berlin. (Gute Idee: Will Frau Knarz-Klagenhauer nicht Berlin übernehmen? Von Herrn Müller, dessen Namen man sich noch viel schwerer merkeln kann?)

Von Angela Merkels Triumph müssen wir uns erst einmal erholen. Es gibt jetzt in Saarbrücken keine nennenswerte Opposition mehr im Parlament. Modell Saarland also. Im Bundestag blüht uns nichts anderes. Frau Schulz-Merkel operiert ungestört Deutschland weiter ins Wachkoma.

Aber die Medien sind sich beinahe einig, und zwar vorwiegend heiter. Von der Rückkehr der Volksparteien tönen sie. Von der Austrocknung der Ränder. Davon, dass Schulz wieder unter den Sterblichen weilt. Vom unvermeidbaren Wahlsieg der ewigen Kanzlerin. Die Grünen sind plötzlich von gestern und die noch Gestrigeren nicht mehr ganz von heute. Der Mainstream marschiert gen Berlin, an der Saar wurde der Rubikon überschritten. Die Demokratie persönlich soll von der rosenfingrigen Göttin der Morgenröte an der Saar (wach?) geküsst worden sein. Ich habe mich tatsächlich bei dem geheimen Wunsch ertappt, in Saarbrücken möge die letzte lebende Legende der Bonner Republik mit einer blonden Kugelstoßerin koalieren. Damit nicht der einzige Fortschritt der Geschichte darin besteht, dass ich endlich den Namen von Merkels Nachfolgerin Klamm-Karrenkauer so flüssig buchstabieren kann wie den schönen Namen Lafontaine.

II.

Kürzlich habe ich Sahra Wagenknecht vor einem Kreis alter, weißer, konservativer Publizisten erlebt. Durch die Bank begannen die Herren ihre Wortmeldungen mit Formulierungen wie: Ich stimme Ihnen im Prinzip / zu 80 Prozent bin ich absolut bei ihnen / was Europa und die Einwanderung angeht haben Sie ganz überwiegend recht. Wie ist das Phänomen zu erklären? Es ist wohl die Melange aus Anmut und Analyse. In beidem sticht Sahra aus der Masse so heraus wie das unkonventionell gesetzte h in ihrem Namen. In dieser Hinsicht ist sie den führenden CDU-Frauen weit voraus. Die liegen in der Analyse zu 80 Prozent falsch. Ich weiß schon, dass Regieren zu annähernd null Prozent aus Anmut und Analyse besteht. Aber wenn Selbsttäuschung, Realitätsverlust, Selbstüberschätzung und politisches Biedermeier so überhand nehmen wie im spätromantischen Berlin, ist man Sahras Analysen dankbar.

III.

Den Rang als tollste Frau der Welt hat Angela Merkel jetzt ohnehin endgültig an Theresa May verloren. Der Brexit ist so unaufhaltsam wie Merkels Sturz. Womit aber beschäftigen sich die deutschen Talkshows, Leitartikel, Echokammern? Erstens mit der Frage: Sind wir traurig, und falls nein, wie sehr doch? Zweitens: Wer wird im absurden Match um die größere Selbstverstümmelung gewinnen: Das veruneinigte Königreich oder Europa im Rausch verschiedener Geschwindigkeiten? Beide Fragen sind von allen möglichen Fragen die mit dem höchsten Nonsense-Anteil. Sie bleiben auf Sportreporterniveau: Wie sehr trifft sie die Niederlage?

Entscheidend wären die Debatten und die Konsequenzen, die nun jede Seite für sich selbst zu führen und zu ziehen hätte. Für beide gilt: Wer die Bürger nicht mitnimmt, hat schon verloren. Im Gleichschritt Marsch ist grundsätzlich die falsche Parole, in einer Gemeinschaft mit 27 Staaten ebenso wie in einem Königreich, das Schotten und Iren an den postkolonialen englischen Nationalismus kettet. Ausländer sind grundsätzlich nicht gleich Ausländer, lernt endlich wieder unterscheiden!

Gemeinsame Interessen müssen Staatenbünde wie Nationalstaaten nach außen vertreten. Im Inneren sollte die Regel Vorrang haben: soviel Subsidiarität, soviel Föderalismus, so wenig Zentralstaat wie möglich. Weniger Gleichheit, mehr Gerechtigkeit! Wir müssten jetzt über das Verhältnis von Staatlichkeit und Freiheit diskutieren, von der man im grundsätzlich liberalen England mehr versteht als im grundsätzlich kollektivistischen Kontinentaleuropa. Doch das Brexit-Match wird uns von all diesen Fragen ablenken.

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