Nach dem Erdrutschsieg seiner Bharatiya Janata Partei (BJP) bei den Landtagswahlen im bevölkerungsreichsten Teilstaat Uttar Pradesh verkündete Narendra Modi die Vision eines „neuen Indiens“ und wenig später eine Personalentscheidung, die bei vielen wie eine Bombe einschlug.
In einem ganz auf Modi zugschnittenen Wahlkampf hatte die BJP auf einen Spitzenkandidaten verzichtet. Nach dem großen Sieg bestimmte Modi persönlich, wer fortan die Regierungsgeschäfte in dem Bundesstaat mit über 200 Millionen Einwohnern führen würde. Mit Yogi Adityanath ging das mächtige Amt an einen Mann, der zu den kontroversesten Figuren in der diesbezüglich reichlich ausgestatteten indischen Politik-Szene zählt. Von seinen Anhängern verehrt, von den Gegnern verachtet, verkörpert der prominente Hindu-Priester wie kaum ein anderer die tiefe Polarisierung im Land.
„Adityanath steht für eine Politik, die nicht zurückschreckt vor Zwang, Einschüchterung, Drohungen und rücksichtsloser Gewalt gegen seine Gegner, eine Politik, die nur als kriminell bezeichnet werden kann“, schreibt Manjari Katju in der Tageszeitung The Hindu.
Dieser Erfolg ist auch das Ergebnis der Schwäche der Opposition, vor allem die Folge des strategischen Geschicks der BJP: Modi und seine Getreuen, allen voran Parteipräsident Amit Shah, verstehen es meisterhaft, die BJP als Kraft des wirschaftlichen Fortschritts und zugleich des Hindu-Nationalismus in den Köpfen der Massen zu verankern.
„Hindutva und kapitalistische Entwicklung marschieren Hand in Hand. Das ist Modis ‚neues Indien‘“, bringt Manas Chakravarty in der Wirtschatszeitung Mint die bipolare Strategie auf den Punkt. Entwicklung und Hindu-Nationalismus – diese Kombination ist in einem Land, in dem Hunderte Millionen Menschen den Sprung aus der Armut herbeisehnen und der Hinduismus die mit Abstand größte Religion ist, kaum zu übertreffen. Kunstvoll variieren die BJP-Strategen in ihren Kampagnen mit diesen Elementen: Mal geht es staatstragend um die ökononomische Entwicklung und die Erfolge der Modi-Regierung. Sodann polemisieren die Wahlkämpfer der Partei zur Mobilisierung der Stammwähler gegen Minderheiten und Andersdenkende – und ziehen die nationalistische Karte.
Yogi Adityanath galt lange als der Mann fürs Grobe. Er ist der Held der Hardliner-Fraktion in der Hindu-Partei. Schlagzeilenträchtig bleiben seine Ausfälle gegen die Muslim-Minderheit; oft erinnnern die Medien in diesen Tagen an die Forderung des Yogis, für jede zum Islam konvertierte Hindu-Frau 100 muslimische Frauen zum Hinduismus „heimzuholen“. Hätte er die Möglichkeit, so polterte der Priester, würde er in jeder Moschee des Landes Statuen von Hindu-Gottheiten installieren.
Die von Modi veranlasste Beförderung des radikalen Priesters in die allererste Reihe der Partei hat Signalwirkung. Politische Beobachter sehen die Personalie als Hinweis, dass die BJP im Vorfeld der Parlamentswahlen von 2019, die über die Zusammensetzung der Zentralregierung entscheiden wird, stärker auf die nationalistische Karte setzen will. Im Lichte des Wahlerfolges von Uttar Pradesh zeigt die Partei ihr wahres Gesicht und fühle sich stark genug, das moderate „Feigenblatt“ fallenzulassen, meint Manas Chakravarty in Mint.
Für Indiens Demokratie, in der der Säkularismus ein Verfassungsprinzip ist, vollziehe sich ein schleichender Paradigmenwechsel, warnen die Modi-Gegner. Kritiker sprechen von „majoritarianism“. Damit meinen sie ein Systen, in dem die Rechte der Mehrheit verbriefte Rechte der Minderheit bedrohen, wenn nicht gar neutralisieren.
Ein vielzitiertes Beispiel der „Majorisierung“ sind die Fleischverbote, die die BJP-Regierungen in vielen Bundesstaaten verordnen und auf diese Weise vor allem die Wahlfreiheit, oft auch die Lebensgrundlage Andersgläubiger (vor allem der Muslime) bedrohen.
Die Opfer der Gewalt sind häufig Muslime und Dalits, kastenlose Inder, die früher als „Unberühbare“ bezeichnet wurden. Für diese Bevölkerungsgruppen sind Kühe normale Tiere, die geschlachtet und verspeist werden dürfen.
Zu den ersten Aktionen des Regierungschefs im Priestergewand gehörte die Schliessung nicht registrierter Schlachthöfe. Die Zwangsmaßnahme betrifft vor allem die muslimische Bevölkerung. Die Zeitungen berichten über wachsende Arbeitslosigkeit bei der Minderheit als Folge der Einlösung eines zentralen BJP-Wahlversprechens.
Die Missachtung der Interessen der Minderheit wird noch deutlicher bei der politischen Repräsentation: Kein einziger der neugewählten 325 BJP-Landtagsabgeordneten ist Muslim. Die Marginalisierung der religiösen Minderheit in der Hindu-Partei hat System.
„Diese schockierende Unterrepräsentanz der Muslime wird zweifelslos die Ghettoisierung vorantreiben“, warnt Sagarika Ghose in The Times of India.
Die Stabilität der indischen Demokratie basiert auf dem Konsens aller Bevölkerungsgruppen, dass es sich für sie lohnt, Teil des größeren Ganzen zu sein. Damit dieser Grundsatz in der Regierungspolitik umgesetzt wird, muss Modi die Hardliner in seinen Reihen in die Schranken weisen. Danach sieht es im Moment nicht aus.
Dr. Ronald Meinardus leitet das Regionalbüro Südasien der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit (FNF) in Neu Delhi. Zuvor verbrachte er viele Jahre im Nahen Osten, in Ostasien und Griechenland. Der gelernte Hörfunkredakteur nennt journalistisches Schreiben ein Hobby. Für ihn ist die Informierung interessierter Menschen in Deutschland über die Partnerländer auch Teil seines beruflichen Auftrags. Das gelte besonders für Indien, das in den deutschen Medien nicht die Beachtung finde, die ihm wegen seiner Größe, vor allem seines enormen Potentials zustehe.