Tichys Einblick
Polizei beim Fußball

Wenn der Staat Schutzgeld verlangt

Die Vereine der Fußball-Bundesliga müssen künftig für Polizeieinsätze bei besonders gefährdeten Spielen extra zahlen. Auf den ersten Blick mag das vernünftig klingen. Bei näherem Hinsehen ist es der Einstieg in die komplette Merkantilisierung unserer Sicherheit.

picture alliance/dpa | Uli Deck

Nicht immer erkennt man auf den ersten Blick, was Richter mit ihren Urteilen im Wortsinn so alles anrichten. Manchmal wird das erst durch ein paar Gedankenspiele richtig klar.

Stellen Sie sich bitte kurz vor, lieber Leser, Sie hätten sich eine kleine Eigentumswohnung gekauft – vor vielen Jahren, als das noch ging, ohne dass man sich dafür lebenslang ruinieren musste. Die Immobilie in einer gepflegten Wohnanlage mit einer fähigen Hausverwaltung haben Sie vermietet, als Ihre ganz private Altersvorsorge.

Die Gegend ist beliebt und wird immer beliebter. Das zieht, leider, auch düstere Gestalten an: Es gibt immer mehr Wohnungseinbrüche in Ihrer Anlage. Die Hausverwaltung hat deshalb schon bei der Polizei angefragt, ob angesichts der sprunghaft steigenden Kriminalität nicht ab und zu ein paar Streifen extra patrouillieren könnten, um die stetig wachsende Schar von Einbrechern zumindest ein bisschen abzuschrecken.

Klar, machen wir, sagt die Polizei. Immerhin ist die Wohnanlage mit der Zeit tatsächlich zu einem Hotspot für Einbrüche geworden. Also fahren jetzt jede Woche ein paar Polizeiautos mehr als bisher um den Block.

So weit, so gut.

Doch dann bekommen alle Wohnungseigentümer der Anlage plötzlich eine Rechnung: von der Polizei. Für Personal- und Sachausgaben. Genauer: für die Streifenwagen und für die Beamten, die bei ihnen wegen der erhöhten Kriminalitätsgefahr patrouillieren.

Das kann doch gar nicht sein, denken Sie? Falsch gedacht. Denn unser geliebtes Bundesverfassungsgericht hat in seiner unendlichen Weisheit solchen Vorgängen, die jeder Normalbürger bisher zurecht für ziemlich abwegig hielt, Tür und Tor geöffnet.

Und das kam so:

Der 1. März 2014 war ein Samstag. Fußball-Tag. In der Bundesliga empfing Werder Bremen den Hamburger SV zum heißen Nordderby. Das Spiel selbst ist für uns ausnahmsweise einmal uninteressant. Interessant ist, dass die Fan-Gruppen beider Klubs einander in herzlicher Abneigung verbunden sind.

Das weiß auch die Polizei seit vielen Jahren. So kam es zwar zu den erwarteten Ausschreitungen kleiner Gruppen von gewaltbereiten Hooligans, aber die Einsatzkräfte waren gut vorbereitet und von Anfang an zahlreich zur Stelle.

Das sind sie oft. Die „Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze“ (ZIS) vermerkt in ihrem aktuellen Jahresbericht, dass die 993 Spiele der drei deutschen Profi-Ligen in der vergangenen Saison bei der Polizei über zwei Millionen Arbeitsstunden verursacht haben. Allein die 662 Spiele der Ersten und Zweiten Bundesliga kosten den Steuerzahler nach ARD-Angaben etwa 140 Millionen Euro pro Saison

Aber das ist nichts Neues.

Sehr neu war dagegen der Umstand, dass der Stadtstaat Bremen dem Veranstalter des Bundesligaspiels, der Deutschen Fußball-Liga DFL, für den Polizeieinsatz eine saftige Rechnung schickte: 425.000.- Euro. Das wollte die DFL nicht bezahlen und klagte sich durch die Instanzen. Beim letztmöglichen Versuch hat sie jetzt auch vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe verloren.

Viele Sport-Hasser und Gegner des kommerzialisierten Profi-Fußballs werden jetzt mit den Achseln zucken: Ja, und? Die Bundesliga hat schließlich Geld genug. Dann sollen die halt auch für ihre dämlichen Ultras mit der unzureichenden Impulskontrolle blechen.

Die Reaktion ist verständlich. Und falsch. Denn das Urteil ist fatal für uns alle.

Bitte, missverstehen Sie mich nicht: Mit der Gelddruckmaschine Bundesliga, vertreten durch die DFL, habe ich genau null Mitleid. Diese Abneigung wird noch verstärkt durch Leute wie den grünen Ex-Vorsitzenden Omid Nouripour. Der Mann ohne Studienabschluss, ohne Berufsausbildung und ohne Berufserfahrung außerhalb der Politik wurde bekanntlich von Robert „The Knife“ Habeck als Parteichef weggesäbelt. Jetzt nennt er sich „Nachhaltigkeitsberater“ von Eintracht Frankfurt.

Nouripour klagt bei der ARD in bewegenden Worten, dass die Vereine ja gezwungen seien, zusätzliche Kosten (wie die von Polizeieinsätzen) über höhere Eintrittspreise an die Zuschauer weiterzugeben. „Das macht das Stadion nicht besser, familienfreundlicher und sozialer.“ Das ist nun so ziemlich das letzte Argument, mit dem man sich anfreunden kann. Ja, sollen wir den bekannt selbstlosen Bundesligisten vielleicht auch noch die Steuern erlassen, um die Tickets billiger zu machen?

Man hat selten so einen Quatsch gehört.

Dabei gibt es andere, sehr gewichtige Argumente – doch die lässt Nouripour aus nicht nachvollziehbaren Gründen links liegen. Zum Beispiel dieses:

Die Polizeieinsätze am Rande von Fußballspielen finden nur selten direkt im Stadion statt. Darauf macht zurecht der Jurist Gerrit Müller-Eiselt aufmerksam. In weitaus mehr Fällen handelt es sich um eine sogenannte „Gefahrenabwehr im öffentlichen Raum“: auf Bahnhöfen und in Fußgängerzonen – und das nicht selten viele Stunden vor oder nach einem Spiel. Man kann trefflich darüber streiten, inwieweit das, was selbsternannte „Fans“ da veranstalten, überhaupt noch mit dem Fußball zu tun hat.

Unabhängige Fan-Experten und Gewaltforscher weisen auch schon ewig lange darauf hin, dass Fan-Gewalt bei Fußballspielen nicht WEGEN der Fußballspiele (oder durch sie) entsteht. Die Partien sind meist nur ein – im Zweifel beliebig austauschbarer – Anlass für eine bestimmte Menschengruppe, die Randale machen will.

Oder anders: Ausschreitungen von Hooligans gibt es auch dann, wenn gar kein Spiel stattfindet. Warum, mit Verlaub, sollen Fußballvereine dafür zahlen, dass ein paar Bekloppte sich prügeln wollen? Doch das Verursacher-Prinzip, bisher eine Säule unseres Rechtsstaats, wird hier vom BVerfG mit einem Federstrich weggewischt:

„Die Verfassung verlangt auch nicht, Polizeikosten nur Störerinnen und Störern oder solchen Personen aufzuerlegen, die (…) sich rechtswidrig verhalten.“

Die Karlsruher Richter geben der Polizei hier eine Art Blanko-Vollmacht, Gebühren einfach dort einzutreiben, wo immer man sie halt eintreiben kann. Schuld oder auch nur Mitverantwortung ist dabei gar nicht nötig.

Das ist für sich schon befremdlich genug. Die Falle dahinter ist es noch viel mehr: Nur, weil sie es sich leisten können, dürfen wir den Fußballvereinen trotzdem nichts zumuten, was jedes andere Unternehmen und erst recht jeder Bürger empört zurückweisen würde.

Und Extra-Gebühren für Polizeieinsätze gehören dazu.

Man sollte nicht vergessen: Sowohl die Unternehmen (in unserem Fall die gewinnorientierten Bundesligavereine) als auch sämtliche beteiligten Bürger haben die Polizei schon einmal bezahlt – mit ihren Steuern. Die Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist eine, wenn nicht sogar die zentrale Staatsaufgabe. Wenn der Staat seine in Deutschland in Rekordhöhe sprudelnden Steuereinnahmen nicht dafür ausgibt, wofür dann?

An diesem Punkt offenbart das BVerfG unter seinem immer dubioseren Präsidenten Stephan Harbarth ein äußerst irritierendes Staatsverständnis. Die Richter schreiben in ihr taufrisches Urteil (1 BvR 548/22):

„Die Verfassung kennt keinen allgemeinen Grundsatz, nach dem die polizeiliche Sicherheitsvorsorge durchgängig kostenfrei zur Verfügung gestellt werden muss. Sie ist keine allgemeine staatliche Tätigkeit, die zwingend ausschließlich aus dem Steueraufkommen zu finanzieren ist.“

Eine Einschränkung, irgendeine, macht das höchste deutsche Gericht hier nicht. Das heißt: Für polizeiliche „Dienstleistungen“ darf der Staat neben den Steuern noch zusätzliche Gebühren verlangen.

Nun geht es im vorliegenden Fall erst einmal „nur“ um gewinnorientierte Unternehmen: die Bundesliga-Vereine, vertreten durch die DFL. Doch schon hier öffnet das Urteil des Bundesverfassungsgerichts die sprichwörtliche Büchse der Pandora:

Denn was ist mit anderen Veranstaltungen, die von gewinnorientierten Trägern bewirtschaftet werden?

Was ist mit dem Oktoberfest, das auf seinem Gelände sogar eine eigene Polizeiwache vorhält? Was ist mit dem Karneval in Köln auf von Brauhäusern gepachtetem Straßenland? Was ist mit Pop-Konzerten? Was ist mit den Sicherheitsvorkehrungen für unsere – fast immer in privater Trägerschaft durchgeführten – Weihnachtsmärkte?

Pikanterweise überlassen die Karlsruher Richter der Polizei in dem ganzen Vorgang auch noch die absolute Hoheit über die Preisgestaltung. Heißt: Die Polizei darf künftig Gebühren für besonderen Schutz verlangen – und sie darf diese Gebühren bequemerweise auch gleich selbst festlegen. Die Polizei könnte künftig für ihre „Dienste“ also die Registrierkasse anwerfen – und auch noch den Tarif selbst bestimmen. Man muss kein bisschen böswillig sein, um da verblüffende Ähnlichkeiten mit dem Prinzip der Schutzgeldzahlungen zu entdecken.

Man kann ja nie wissen, ob die in Karlsruhe das absichtlich machen oder ob sie gerade das falsche Zeug rauchen. So oder so – die Aussicht auf ein Land, in dem die Polizei demnächst nach jedem Einsatz fragt, ob man bar oder mit Karte zahlen will:

Die Aussicht ist wenig verlockend.

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