Tichys Einblick
Den EU-Kritikern ein Fest

Breton: „Wir haben es in Rumänien getan und werden es, falls nötig, auch in Deutschland tun müssen“

Thierry Breton hat seinen Juncker-Moment: Frank und frei sagt der Gegenspieler von Elon Musk, dass die EU bereits in Rumänien die Wahl anulliert habe, und das auch in Deutschland bei "Fremdeinmischung" passieren kann. Der unmündige Bürger muss offenbar eingehegt, die Meinungsfreiheit reguliert, die Demokratie im Namen der Demokratie ausgehebelt werden.

picture alliance / abaca | Accorsini Jeanne/Pool/ABACA

Woher kommt nur das Misstrauen gegenüber der EU? Warum wachsen in diesem Humus Verschwörungstheorien? Über diese Fragen zerbricht man sich in Brüssel den Kopf. Nicht, dass man angesichts der Struktur der Europäischen Union tatsächlich das Vertrauen der Europäer bräuchte. Aber nicht alles, was legal ist, ist legitim; und Legitimität bedeutet oftmals, dass nicht der reine Gesetzestext wirken muss, sondern, dass zumindest ein Teil der Bevölkerung (oder in seiner Vertretung: das Parlament) den Vorgang anerkennt.

Jean-Claude Juncker hat seinerzeit als EU-Kommissionspräsident zwei Bonmots hinterlassen, die bis heute die gemischten Gefühle von EU-Skeptikern ausdrücken. „Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt“, ist das eine Zitat. Das andere: „Wenn es ernst wird, muss man lügen.“

Der Kontext der Aussagen ist zweitrangig; denn sie stehen symbolisch für das belastete Verhältnis zwischen Funktionärselite und Volk. Sie laden aufgrund ihrer Plakativität und Ehrlichkeit zur Überspitzung ein.

Ex-Kommissar Thierry Breton hat gestern etwas ähnliches getan. Er hat etwas, das viele EU-Kritiker nur spüren, aber nicht belegen können, in wenigen Worten zusammengefasst und damit Vorbehalte gegen die europäische Integration in frappierender Ehrlichkeit zusammengefasst. Die EU ist ein Irrgarten, manche sagen: ein gewollter Irrgarten, der beim Versuch, ihn zu durchschauen und zu begreifen, schwindelig macht. Die Bürokratie wurde erfunden, um den Ansprüchen der Bürokratie Genüge zu tun – und Ehrlichkeit und Klarheit sind karge Ressourcen.

Schon die Andeutungen von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zur Neuwahl des Bundestages und der Blick nach Rumänien regten bei einigen Bürgern den Verdacht, hier könnte eine Drohung liegen. Auch das natürlich: Verschwörungstheorien. Jetzt hat aber ausgerechnet der Mann, der als EU-Kommissar für den Binnenmarkt als Gegenpol zu Elon Musk auftrat, es so verdeutlicht wie nur wenige:

„Bewahren wir einen kühlen Kopf und setzen wir die Gesetze in Europa durch. Wenn die Gefahr besteht, dass sie umgangen werden, und wenn sie nicht durchgesetzt werden, könnte dies zu Einmischung führen. (…) Wir haben es in Rumänien getan und wir werden es offensichtlich, falls nötig, auch in Deutschland tun müssen.“

Bretons Worte mit Juncker-Status fielen im französischen Fernsehsender RMC. In Rumänien soll TikTok den Wahlkampf manipuliert haben. In Deutschland: Elon Musk, der mittlerweile zu Nemesis des ehemaligen französischen Kommunikationsmoguls aufgestiegen ist.

Dass „Mr. DSA“ vielleicht aufgrund seiner eigenen Vergangenheit ein Interesse an der Zensur und Bevorteilung alter Telekommunikationsmethoden haben könnte, ist natürlich eine unlautere Behauptung. Denn nur Elon Musk spielt auf eigener Rechnung, will man dem Medienkonzert glauben, indes der Fahnenträger auf der anderen Seite der Milliardäre nur die Demokratie retten möchte, indem er die Meinungsfreiheit abschafft.

Dass die EU gemäß Verfassung keine Demokratie ist, aber wenigstens ein Raum, in dem bisher das freie Wort gewährt war, gibt der Massenpresse bisher kaum zu denken. Man kann ein freiheitliches System ohne Demokratie haben, aber keine Demokratie ohne freiheitliches System. Demokratien dem bloßen Namen nach hat es im Ostblock als Beispiele genügend gegeben.

Natürlich räumt Breton ein, nachdem er die Abschaffung der Demokratie im Namen der Demokratie angekündigt hat, dass ein „Bürger“ (hier: Musk) grundsätzlich das Recht habe, „zu denken und zu sagen, was er will, auch wenn er es auf schockierende Weise tut“. Die Meinungsfreiheit wird beschworen, allerdings auch die Unmündigkeit des Wählers – was sich exemplarisch an der Abstellung von 150 EU-Beamten zeigte, die das Musk-Weidel-Gespräch auf X monitoren sollten. Das sind historische Taschenspielertricks der Macht. Die Weimarer Verfassung galt formal auch noch bis 1945 und das Römische Reich blieb dem Namen nach auch noch unter Kaiser Augustus Republik. Man beschwört die Meinungsfreiheit nach vorne und schafft sie mit der Hinterhand ab.

„Von dem Moment an, in dem die Sendung in Europa über eine regulierte Plattform ausgestrahlt wird, muss Elon Musk die europäischen Regeln befolgen. Bei der AfD müssen wir uns daran orientieren. Es ist selbstverständlich, dass wir alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen werden, um sicherzustellen, dass er sich an die Gesetze hält. Wenn er sich nicht daran hält, drohen ihm Geldstrafen und möglicherweise ein Verbot“.

Warum nur haben so viele Bürger so große Probleme mit der EU? Warum wählen sie alternative Parteien? Was lässt sich dagegen tun? Mehr Partizipation? Mehr Zugehen auf die Bedürfnisse der Bürger? Angleichung der Politik? Breton und seine Funktionärskollegen haben darauf eine Antwort. Sie lautet nicht, die Ursachen, nämlich ihr eigenes Handeln, abzustellen. Sie läuft darauf hinaus, die Symptome zu bekämpfen. Etwa, indem man unangenehme Parteien vom Diskurs ausschließt.

Im freundlichsten Fall kann man das als Unverständnis, mangelnde Empathie oder Blindheit verbuchen. Im unfreundlichsten Fall hat es Methode. Die Welt zittert, wenn die Mächtigen einmal ein Wort der Wahrheit verlieren. Weil der Rest der Welt das bestätigt sieht, was man bis dato nur fühlt. Bei Machiavelli heißt es: Jeder sieht, was du scheinst, nur wenige spüren, wer du wirklich bist. Herr Breton macht es uns dagegen sehr einfach.

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