So stelle ich mir eine Themenkonferenz von ARD aktuell, verantwortlich für die Desinformationsformate „Tagesschau“ und „Tagesthemen“, im Advent vor: „Wir brauchen noch Geschichten für die Weihnachtszeit, da ist immer tote Hose. Aber kein christliches Gedöns“, sagt der Redaktionsleiter, der vor zwanzig Jahren aus der Kirche aus-, bei den Grünen eingetreten und mittlerweile, weil ihm der grüne Ortsvorsitz verwehrt wurde, bei Wagenknecht gelandet ist. Die zwanzigjährige Volontärin hebt die vom Klimakleben vor einem halben Jahr immer noch rot verfärbte Hand: „Man könnte doch was dazu machen, wie klimaschädlich das Weihnachtsessen ist.“ Der Redaktionsleiter nickt zustimmend: „Hatten wir zwar schon voriges Jahr, aber angesichts der Klimakrise kann man das den Leuten ja nicht oft genug sagen.“
Also befragt unsere Volontärin irgendeinen Experten von irgendeinem Ökoinstitut. Im Zweifelsfall den, der schon im vergangenen Jahr dran war. Heraus kommt eine Geschichte mit der vorhersehbaren Überschrift: „Raclette, Gans & Co. – So nachhaltig ist unser Festessen“. Wobei die Botschaft genau genommen lautet: „Unser“ Festessen ist überhaupt nicht nachhaltig, es sei denn man verzichtet auf Raclette, Gans & Co., also auf alles, was schmeckt. Die Unterzeile verrät etwas mehr: „An Weihnachten sind die CO2-Emissionen, die für unser Essen anfallen, doppelt so hoch wie an einem durchschnittlichen Tag. Doch mit ein paar Anpassungen lässt sich auch an Festtagen die Umwelt schonen, ohne auf Genuss zu verzichten.“
Auf den „positiven Dreh“ hat der Redaktionsleiter bestanden. „Wir wollen den Leuten ja nicht vollends den Appetit verderben. Schließlich ist Weihnachten.“ Raclette und Gans – was ist eigentlich „Co.“ Leckeres? – gibt’s bei uns diesmal nicht zu Weihnachten. Doch liege ich damit schon im grünen Bereich? Um auf Nummer sicher zu gehen, habe ich meinen für die Festtage prall gefüllten Kühlschrank einem Klimacheck unterzogen. Da ist zunächst jede Menge Käse, gerade frisch von einem Affineur aus Frankreich mitgebracht. Comté aus dem Jura, Camembert aus der Normandie, allerlei Ziegenkäse aus dem französischen Süden. Käse ist schlecht, lerne ich von einem Herrn namens Nils Rettenmaier vom Institut für Energie- und Umweltforschung (ifeu) in Heidelberg. „Fleisch und Milchprodukte machen zusammen beinahe zwei Drittel der ernährungsbedingten Treibhausgasemissionen aus.“ Rindfleisch verursache sogar bis zu hundert Mal mehr CO2-Emissionen als pflanzliche Alternativen. „Schweinefleisch und Käse liegen bei einem Faktor von zehn.“
Oh weh, die Pasteten für Heiligabend, direkt aus Paris importiert, bestehen vor allem aus Schweinefleisch, etwas Geflügel und – Entenstopfleber. Klimamäßig irgendwo im mittleren Bereich zwischen „geht nicht“ und „geht gar nicht“. Doch Stopfleber, ob von Ente oder Gans, ist ein tierethisches Desaster. Ich hatte eine Zeitlang auf diese Delikatesse verzichtet. Doch seit man in Deutschland eine Hausdurchsuchung riskiert, wenn man einen Minister, der drauf und dran ist, unsere Wirtschaft zu ruinieren, mit dem „S“-Wort bedenkt, ist mir, ehrlich gesagt, alles wurscht.
Dann wäre da noch der schottische Räucherlachs, den ich bei einem Delikatessenversand bestellt habe. Fisch habe eine CO2-Bilanz etwa wie Hühnchen, lese ich – „wesentlich weniger als Gemüse“, aber „etwas mehr als Käsefondue und Raclette“. Von Lachs zum Weihnachtsfrühstück rät ein gewisser Marco Springmann von der Oxford University ab: „Lachs ist ein großer Fisch, bei dem viel zugefüttert wird. Und die Herstellung von Futter braucht viel Energie.“ Muss man für solche Weisheiten an einer englischen Eliteuni arbeiten? Ich glaube, der Mythos Oxford hat unter fortgeschrittener Wokeness auch schon etwas gelitten.
Herr Springmann empfiehlt Karpfen statt Lachs. Der „Süßwasserfisch“ (!) habe eine niedrigere CO2- Bilanz als Hühnchen. Das ist erfreulich, wobei Glibber-Karpfen für mich nicht unbedingt ein Festmahl ist. Der Experte erwähnt noch namenlose „spanische Muscheln“, deren Zucht nur wenig Treibhausgase verursachten. Für mich naheliegender wären Austern, aber vielleicht sind die Herrn Springmann zu elitär.
Immerhin gibt’s bei Champagner und Weißwein „zu den Muscheln“ Entwarnung. „Schaumweine und Wein werden aus Trauben hergestellt. Deshalb haben sie einen geringen Einfluss auf die CO2-Bilanz, selbst wenn der Wein aus Spanien importiert wird,“ erklärt Springmann. Schön, dass mir erläutert wird, dass Schampus und Wein aus Trauben gemacht werden. Nur warum sollte man zu spanischen Muscheln unbedingt Wein aus Spanien trinken? Aber vielleicht lebt Herr Springmann ja in Spanien und pendelt klimafreundlich nach Oxford.
Jetzt fällt der Blick in die Tiefen meines Kühlschranks auf das Reh, das in einer Marinade auf seine Weiterverarbeitung zum Ragout wartet. Der Rote für die Marinade kommt aus Burgund, was sich natürlich negativ auf die Klimabilanz auswirkt, wobei Transporte glücklicherweise nur „fünf bis sechs Prozent der Gesamtemissionen“ ausmachen. Heimisches Reh wiederum gilt als ausgesprochen klimafreundlich und gesund. „Mehr öko geht nicht“, wirbt der Deutsche Jagdverband. Radikalökos sind natürlich auch gegen die Jagd.
Was essen diese Leute eigentlich? Blieben noch die weihnachtlichen Süßigkeiten, die sich bei mir auf der Anrichte stapeln. Zucker sei zwar für den Menschen ungesund, schade aber dem Klima wenig, textet unsere problembewusste Volontärin. Leider besteht das Zimtparfait, das ich gerade für den Heiligenabend fabriziert habe, neben 180 Gramm Zucker, aus einem halben Liter Schlagsahne und sechs (!) Eidottern. Laut den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), deren grüner Expertenrat bei ARD-Volontärinnen ebenfalls sehr gefragt ist, soll man nur ein Ei pro Woche essen, nicht wegen eines möglichen Übermaßes an Cholesterin, sondern um der Umwelt (vulgo Klima) nicht zu schaden. Also wäre meine persönliche Ration bis Anfang Februar ausgeschöpft.
Bis dahin freuen ich mich schon auf den nächsten Artikel aus der ARD-Öko-Investigativabteilung: „Fleischfondue, Raclette & Co. – So nachhaltig ist die Silvestersause“.