Rumänien hat eine neue Regierungskoalition. Am Montag unterschieben die Altparteien PSD (Sozialdemokraten), PNL („Nationalliberale”, „Christdemokraten”) und UDMR (Partei der Rumänienungarn, ungarisches Kürzel: RMDSZ) einen Koalitionsvertrag, in dem sie „Stabilität” und „Reformen in Aussicht stellten, umd „das Vertrauen der Bürger zurück zu gewinnen”.
Alles ganz neu also, aber der Premier bleibt der Alte: Marcel Ciolacu, Chef der PSD.
Stabilität, Reformen und Vertrauen: Das schließt einander womöglich aus. Die Reformen müßten ein voraussichtliches Haushaltsdefizit von 8% des BIP reduzieren, was nur durch Einsparungen geht, vorzugsweise durch Einfrieren von Renten und Gehältern für Angestellte im öffentlichen Dienst.
Das dürfte die erhebliche gesellschaftliche Unzufriedenheit weiter verschärfen, die für PSD und PNL zu katastrophalen Ergebnissen bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahl am 24. November geführt hatte, und danach bei den Parlamentswahlen am 1. Dezember. Da war der parteilose Rechtspopulist Calin Georgescu der Gewinner gewesen, was das Verfassungsgericht dazu bewog, die Wahl kurzerhand für ungültig zu erklären, weil „ausländischer Einfluss” über eine Tiktok-Kampagne Georgescu zum Sieg verholfen habe. Das Wahlergebnis, so befanden die Richter, spiegele deswegen nicht den „wahren Willen” der Wähler, da sie nicht korrekt informiert gewesen seien.
Den „ausländischen Einfluss” – gemeint war „Russland” – belegten fürgeblich Geheimdienstdokumente, deren Geheimhaltung am 5. Dezember von Staatspräsident Klaus Johannis eilig aufgehoben worden war, um dem Verfassungsgericht Einsicht zu gewähren. Nach der Stornierung der Präsidentschaftswahl bleibt Johannis im Amt, bis Rumänien es schafft, eine Präsidentschaftswahl zu organisieren, deren Ergebnis dem Verfassungsgericht akzeptabel erscheint.
Ein russischer oder überhaupt ausländischer Einfluss lässt sich bislang, entgegen den Ausführungen der Verfassungsrichter, nicht rekonstruieren, auch nicht aus den Geheimdienstdokumenten, die das angeblich belegen sollen.
Wohl aber ein inländischer: Dem rumänischen Investigativportal snoop.ro zufolge war es die Altpartei PNL, also die Partei von Staatspräsident Klaus Johannis, die über die immerhin ausländische Kommunikationsfirma Kensington Communications eine TikTok-Kampagne bestellte, in deren Rahmen „Influencer” dafür bezahlt wurden, politische Botschaften zu verbreiten.
Diese Influencer wurden nach dem überraschenden Georgescu-Sieg beschuldigt, von seinen Mittelsmännern bezahlt worden zu sein, und wurden von der Steuerbehörde durchleuchtet. Es ist diese Untersuchung, auf die sich snoop-ro bezieht: Ja, sie bekamen Geld, aber nicht von Georgescu. Und nicht von Russen.
Snoop bezieht sich auf vertrauliche Quellen bei den Steuerfahndern, kontaktierte aber auch Kensington selbst. Das ergab folgendes:
Die PNL – also die Partei, aus der Staatspräsident Klaus Johannis stammt – zahlte mehr als eine Million Lei (ca. 200.000 Euro) an Kensington für eine „Sensibilisierungskampagne”, um Wählern Eigenschaften zu vermitteln, die ein Präsident haben sollte – aber ohne einen Kandidaten zu nennen. Kensington mobilisierte dafür 130 Influencer auf TikTok.
Nach Auswertung der vom rumänischen Geheimdienst beanstandeten TikTok-Botschaften im Wahlkampf bestätigt Kensington, dass diese den von der Firma entworfenen Drehbüchern entsprachen.
Allerdings wurde der Hashtag der Kampagne – sinngemäß „Ausgewogenheit und Seriosität” ohne Kensington’s Kenntnis geändert in „Ausgewogenheit und Vertikalität”.
Nun gibt es eine These, wonach Georgescu sich die Kensington-Kampagne zueigen gemacht habe. Allerdings sind es die Kensington-Influencer selbst, die sich an das Drehbuch hielten und damit mehr als 2,4 Millionen views generierten, die teilweise in den Kommentaren unter ihren Videos Georgescus Namen posteten.
Irgendeinen Hinweis auf russische Hintermänner oder Geldquellen „gibt es bislang nicht”, sagt der Bukarester Radiojournalist Catalin Gombos.
Halten wir fest:
- Die PNL finanzierte eine TikTok-Kampagne im Wahlkampf
- Offenbar ging das ins Auge: Mit den Werten, die da vermittelt werden sollten, verbanden viele Wähler und offenbar auch einige Influencer Georgescu, der in seinen eigenen Videos immer ruhig und besonnen wirkte (ohne inhaltlich viel zu sagen)
- Georgescu gewann die erste Runde der Wahl
- Staatschef Klaus Johannis, der aus der PNL stammt, die die TikTok-Kampagne bestellte, ordnete an, die Geheimhaltung von Geheimdienstakten zum Wahlkampf aufzuheben. In diesen Akten stand, dass diese TikTok-Kampange („Ausgewogenheit und Vertikalität”) das Wahlverhalten massiv beeinflusst habe, und dass sie Gemeinsamkeiten aufweise mit einer russisch finanzierten TikTok-Kampagne vor der russischen Invasion der Ukraine. Es sei saher von russischem Einfluss auszugehen, der das Wahlverhalten massiv beeinflusst habe
- In der Kampagne hielten sich die Influencer aber nachweislich an die Kensington-Vorgaben
- Aufgrund der Behauptungen in den Geheimdienstdokumenten erklärte das Verfassungsgericht das Wahlergebnis der ersten Runde für ungültig, da dieses nicht den „wahren Wählerwillen spiegelte”
- Für tatsächlichen russischen Einfluss gibt es derzeit keine harten Belege
Was wäre wohl passiert, wenn die Kensington-Kampagne wie gewünscht geklappt, und den PNL-Kandidaten nach vorne gebracht hätte? Wie hätte das Verfassungsgericht dann wohl den „Wählerwillen” interpretiert?
Es muss betont werden, dass das Fehlen von Beweisen für russischen Einfluss nicht bedeutet, dass es keinen gab. Vorerst aber gibt es Beweise nur dafür, dass die PNL, aus der Staatspräsident Klaus Johannis hervorging, den Wahlkampf mit einer TikTok-Kampagne zu beeinflussen versuchte.
Man darf gespannt sein, wie die neue Regierungskoalition – unter Einschluss der PNL – das Vertrauen der Wähler wiedergewinnen will, wie im Koalitionsvertrag versprochen.
Als erstes muss die neue Regierung einen Haushaltsentwurf vorlegen, der eigentlich nur schmerzhaft sein kann für viele Bürger, und dann neue Präsidentschaftswahlen organisieren.
Für die Staaten der EU ist es ein warnendes Beispiel: Mit der vorgeschobenen Begründung ausländischen Einflusses via Social Media läßt sich künftig jede Wahl anfechten, die den noch regierenden Parteien nicht gefällt.