Der Lift kommt, eine Gruppe schicker, junger Menschen steigt ein und fährt zur Hütte. Dort schmachtet George Michael nach seiner Liebe vom Vorjahr und hat dabei eine Austauschblondine an seiner Seite. Die Bilder beißen sich ein wenig mit dem Text, in dem es heißt, er habe sein Herz im Vorjahr der Falschen geschenkt und gebe es dieses Jahr an „jemand Besonderen“. Doch hey. Hier geht es nicht um Plausibilität, sondern um Gefühle. Und egal, was die Kritiker und Lästerer sagen: Last Christmas transportiert Weihnachtsgefühle. Seit nunmehr 40 Jahren.
Aktuell führt der Wham-Song (schon wieder) die deutschen Charts an. Es folgen andere Klassiker wie Mariah Careys „All I want for Christmas is You“, Shakin‘ Stevens „Merry Christmas Everyone“ oder Brenda Lees „Rockin‘ around the Christmas Tree“. Neben aktuellen Stars wie Ariana Grande finden sich auch bereits längst verstorbene Legenden wie Dean Martin in den Charts des Jahres 2024.
Wobei Christmas, also der Name Weihnachten selber, einen Song am deutlichsten als Weihnachtslied ausweisen. In „Hymn“ von Barclay James Harvest wird das weniger deutlich, doch im Text geht es um die Lebensgeschichte von Jesus Christus. Zur Erinnerung und für die, die es nicht wissen: An Weihnachten feiern wir seine Geburt.
Doch so wie sich das Fest immer stärker von seiner religiösen Wurzel löst, so tut es die Popkultur erst recht. Neben dem Fest und Jesus gibt es deswegen Themen in Weihnachtsliedern, die nichts mit dem religiösen Ursprung zu tun haben: winterliche Kälte etwa, Frieden, Geschenke, Schneemänner, der Weihnachtsmann und sogar der festliche Sex haben ihre eigenen Lieder, etwa wenn Eartha Kitt ihr „Santa Baby“ anhaucht, in dieser Nacht ihren Kamin runterzurutschen.
Wobei die Liebe gleichermaßen ein wichtiges Motiv des Wirkens Jesu Christi ist, der bereit war, selbst seinen Feinden die andere Wange hinzuhalten – wie es ein Weihnachts-Motiv ist, das von der eigentlichen Bedeutung des Festes hinweg führt. Etwa wenn sich Kirsty MacColl und Pogues-Sänger Shawn McGowan in „The Fairytale of New York“ liebevoll gegenseitig Schimpfwörter um die Ohren hauen. Wobei die deutsche Version von Nina Hagen und Wolfgang Niedecken eine prächtige Vorlage zum Fremdschämen sind.
Nicht selten sind Weihnachtsalben etwas, das Sternchen schnell zusammenschustern, um vor dem absehbaren Karriere-Aus nochmal Kohle mitzunehmen. Sie singen dann gerne die ganz alten, lizenzfreien Lieder wie „Stille Nacht“, „Am Weihnachtsbaume“ oder „Ihr Kinderlein kommet“ – das reduziert die Kosten. Doch auch die ganz Großen haben Weihnachtsalben aufgenommen: Elvis Presley, Harry Belafonte, Johnny Cash, Frank Sinatra oder Bob Dylan.
So oder so entstehen dabei kuriose Produkte. Etwa wenn Costa Cordalis mit der deutschen Version von „White Christmas“ aus dem Karrieretief zu kommen versucht. Oder wenn Bob Dylan den Weihnachtsmann besingt. Seine Stimme ist alles andere als süßlich und wenn es einen Sänger gibt, der nicht zu Kitsch neigt, dann der Träger des Literaturnobelpreises. Er sollte also eigentlich kein Weihnachtsalbum aufnehmen. Aber andererseits ist er Bob Dylan und macht am liebsten, was er nicht soll. Und an der Aufnahme von „Christmas in the Heart“ hat er von der ersten bis zur letzten Sekunde hörbaren Spaß gehabt. Die Einnahmen hat er Kinderschutzprojekten überlassen.
Weihnachtshits lohnen sich. Als George Michael Wham verlassen hat, hat er quasi als Entschuldigung die Rechte an White Christmas seinem ehemaligen Partner Andrew Ridgeley überlassen. Der verdient laut Branchenkennern an dem Song im Jahr zwischen zwei und zehn Millionen Dollar. Nach 40 Jahren. Immer noch. Es lohnt sich also, einen Weihnachtshit aufzunehmen. Nur gelingt das den Deutschen kaum. Modern Talking hat es mit „It’s Christmas“ versucht. Doch dem Song ist anzuhören, dass es Dieter Bohlen nicht um Liebe und Frieden ging – sondern um sein Konto. Deswegen ist „It’s Christmas“ heute zurecht vergessen.
Mit den Alben sind die Deutschen und Deutschsprachigen erfolgreicher. Heintje, James Last, Roger Withtaker, Helene Fischer, Heino, Andrea Jürgens oder Frank Schöbel haben erfolgreiche Langspieler veröffentlicht. Der fette Ohrwurm ist darauf aber selten zu finden. Eine Ausnahme bilden Rolf Zuckowski und seine Freunde mit „In der Weihnachtsbäckerei“. Welche Eltern haben ihn dafür noch nicht verflucht, wenn sich ihre Kleinen den Song in der Adventszeit zum hundertsten Mal gewünscht haben?
Der weltweiten Karriere setzt die deutsche Sprache enge Grenzen. Globale Hits müssen spanisch sein wie José Felicianos „Feliz Navidad“, oder halt auf Englisch gesungen. Das Herz übersetzt einem dann schon, wenn Chris Rea davon singt, an Weihnachten nach Hause zu fahren. Oder wenn der Lift in die Berge fährt und George Michael sein Herz jemand ganz Besonderem schenkt – auch wenn das nur eine blonde Austauschfrau ist.