Tichys Einblick
Anschlag auf Weihnachtsmarkt

Tödlicher Dschihad in Deutschlands Alltag

Am gestrigen Abend raste ein Autofahrer in die Besucher des Magdeburger Weihnachtsmarkts und hinterließ eine Schneise des Grauens: mindestens fünf Tote und mehr als 200 teilweise schwer Verletzte. Hätte man den Täter stoppen können? Die Frage ist müßig, denn längst gehört der Terror zum Alltag. Von Munawar Khan

IMAGO / dts Nachrichtenagentur

Am Steuer des PKW ein unbescholtener Arzt aus Bernburg, Facharzt an einer Klinik. Der Fünfzigjährige stammt aus Al Hufuf in Saudi Arabien, ist 2006 nach Deutschland gekommen und besitzt eine permanente Niederlassungserlaubnis. Er sei bisher nicht als Islamist aufgefallen, heißt es in den offiziellen Erklärungen. Die unangenehme Wahrheit ist, das muss er auch nicht. Durch die derzeitige Lage im Nahen Osten ist die Zündschnur bei vielen an sich unauffälligen Personen sehr viel kürzer geworden.

Bei Taleb A., dem Täter von Magdeburg, ist die Lage jedoch weiterhin unklar. Er hat sich dem Islam abgewandt, setzte sich mit seinen Aktivitäten gegen die Islamisierung Europas ein. Seine Kommentare und sein Profilbild auf X lassen vermuten, dass er sich dabei allerdings ebenfalls radikalisiert hat, das Profilbild zeigt eine Handfeuerwaffe. Seinen Anschlag dürfte er länger im Voraus geplant haben. Aber es gibt sehr viele islamistische Gefährder und immer wieder die Versuche, Terror zu realisieren.

Ganz Europa ist mittlerweile von einem flächendeckenden Netzwerk radikal-islamistischen Gedankenguts überzogen. In den sozialen Medien werden Bilder von Kriegsgräueln verbreitet, wie die pausenlosen Bombardierungen von bereits mehrfach Geflüchteten, auch in ausgewiesenen Schutzzonen. Das Leid der einen und die oftmals seelenlosen Rechtfertigungen der anderen Seite stehen einander gegenüber.

Syrien und das mögliche Aufleben des IS

Dazu erleben wir gerade in Syrien den Sieg der islamistischen Rebellen des Hay’at Tahrir al-Sham (HTS). Die Bilder vom Fall der Stadt Damaskus werden von nicht wenigen als Beginn des Aufstiegs des weltweiten Islams interpretiert. Dass der türkische Geheimdienstchef vor einer Woche in Damaskus in der Umayyaden-Moschee zum Freitagsgebet erschien, wird wohl kaum ein Zufall gewesen sein. Schon gar nicht, weil der ehemalige Al-Qaida-Kämpfer al-Golani diesen Ort als ersten offiziellen Auftritt für die siegreichen Rebellen gewählt hat. Es ist eher als ein Zeichen für eine Annäherung an die türkisch-qatarische Muslimbrüderschaft zu sehen.

Die Türkei hatte vor der Flucht des syrischen Präsidenten ihre militärischen Kräfte an der Grenze Nordsyriens für einen möglichen Einmarsch zusammengezogen. Auf der anderen Seite hat die USA, offiziell als Teil einer Allianz im Kampf gegen den IS, ihre Truppenstärke von 900 auf 2.000 erhöht. Zwei NATO-Partner stehen sich beim Kampf um die Einflussnahme auf die Entwicklungen in Syrien Auge in Auge gegenüber.

Ob in Syrien ein gemäßigtes Regierungssystem entsteht oder sich islamistische Weltbilder durchsetzen, ist in der Schwebe. Zu befürchten steht, dass das Bürgerkriegsland dem Wiedererstarken des Islamischen Staats Vorschub leisten wird. Zu tief sitzt der Frust über die fehlende Unterstützung durch die USA und Europa auch bei denen, die aus ihren Heimatländern geflohen sind. In diesen Gruppen lassen sich leicht Kämpfer für den Dschihad rekrutieren.

Die Dschihadisten leben unter uns

Das drängendste Problem hat Deutschland in dem Jahrzehnt seit Merkels Politik der offenen Grenzen noch nicht gelöst: eine sinnvolle Abschiebungspraxis von Gefährdern und Straftätern. Stattdessen hat sich das radikale islamistische Gedankengut weitestgehend ungehemmt ausbreiten können. Und die Zielgruppen für die Anwerbung zum Dschihad werden zum einen jünger, zum anderen betrifft es immer häufiger diejenigen, die in der Öffentlichkeit nicht als Islamisten bekannt sind. An sich angepasste Bürger, die in kürzester Zeit radikalisiert, zu todbringenden Anschlägen motiviert werden können.

Immer häufiger werden dabei Anschlagspläne nicht in urbanen Zentren vorbereitet, sondern in deren ländlichen Einzugsgebieten. In der zweiten Jahreshälfte 2024 gibt es vermehrt islamistische Verdachtsfälle in Ostdeutschland, wie beispielsweise in Bernau (Barnim), wo ein IS-Sympathisant angeblich einen Anschlag auf die israelische Botschaft in Berlin plante. Der Terrorverdächtige 15-Jährige aus Wien, der einen Anschlag auf das Taylor-Swift-Konzert plante, soll Kontakte nach Frankfurt/Oder gehabt haben. Und das islamische Zentrum al-Salam in Fürstenwalde wurde wegen seiner Nähe zur Muslimbrüderschaft und der Hamas verboten.

Der Dschihad, das sind nicht mehr jene aus unserer Sicht merkwürdig gekleideten jungen Männer, die sich der westlichen Lebensart abgewendet haben und ein Ausbildungscamp besuchen, um einen Anschlag ausführen beigebracht zu bekommen. Für einen tödlichen Anschlag bedarf es auch keiner besonderen Waffen- oder Bombenbaukenntnisse. Es reicht das Gefühl ohnmächtigen Hasses. Und ein weitverzweigtes Netzwerk, das genau weiß, wie es einen Einzeltäter zu einem Anschlag triggern kann.

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