Man muss von einem Wunder sprechen. Dass Matteo Salvini von dem Gericht in Palermo freigesprochen wurde, ist eine wegweisende Entscheidung, die auf ganz Europa ausstrahlt. Jahrelang hatten Presse, Politik und NGOs von einem Amtsmissbrauch gesprochen, hatten seine rigiden Maßnahmen zur Begrenzung der Masseneinwanderung als gesetzwidrig beschimpft. Nun muss man konstatieren: nicht die NGOs, sondern Salvini stand mit beiden Füßen auf dem Boden des Gesetzes.
Dabei sah es für Salvini zuerst gar nicht rosig aus. Mindestens mit einer „symbolischen“ Strafe rechneten Experten, die zwar nicht die Migrationspolitik zum Einsturz bringen würde, für die Salvini stand, aber zumindest ächtete. Salvini dagegen war am Freitagmorgen optimistisch. Er begann den Tag kämpferisch:
„Ich bin absolut stolz auf das, was ich getan habe, ich habe die Versprechen gehalten, die ich gemacht habe, ich habe mich gegen Masseneinwanderung ausgesprochen. Wie auch immer das Urteil ausfällt, heute ist ein guter Tag für mich, denn ich bin stolz darauf, mein Land verteidigt zu haben. Ich würde alles, was ich getan habe, immer wieder tun und freue mich über die Zuneigungsbekundungen, die mir so viele Italiener entgegenbringen. Stolz auf meine Arbeit betrete ich den Gerichtssaal. Ich werde auf keinen Fall aufgeben!“
Zuletzt bekam Salvini gewichtige Hilfe von außen. Tech-Milliardär Elon Musk thematisierte bereits im Vorfeld die anstehende Entscheidung. „Verrückt, dass Salvini wegen der Verteidigung Italiens vor Gericht steht!“, postet er auf X unter ein Video. Und auch mit dem Lega-Chef selbst tritt er in direkten Austausch. Als Salvini sich für die Unterstützung bedankt, betont Musk: „Sie haben das Richtige getan.“
Bekanntlich unterhält Musk ein freundschaftlich zu nennendes Verhältnis mit Regierungschefin Giorgia Meloni. Und die bald im Amt sitzende US-Regierung sieht in Italien einen präferierten Bündnispartner in Europa. Nicht verwunderlich, dass man Salvini als einer Schlüsselfigur der römischen Regierung den Rücken stärkt.
Dass es beim Fall Matteo Salvini um mehr als italienische Innenpolitik geht, zeigt sich aber nicht nur daran; vielmehr ist die Musk-Intervention eine Reaktion. Denn Salvini hatte als Innenminister in den Jahren 2018 bis 2019 eine Politik der „Geschlossenen Häfen“ (porti chiusi) forciert, die nicht nur bei den heimatlichen Politikern und Medien auf der linken Seite zur Verstimmung führte. Der italienische Schutz der eigenen Grenzen wurde zu einem europäischen, globalen Phänomen. Schnell hatte man mit Carola Rackete eine Ikone gefunden, mit der es sich gegen den lombardischen Beelzebub ankämpfen ließ.
Somit wurde Salvini zum internationalen Gesicht der harten Migrationspolitik, zur Symbolfigur der Rechten wie Linken. In Salvinis Amtszeit ging die Zahl der Anlandungen wie der Ertrunkenen zurück; und es war diese Politik, die ihn beinahe zum ersten Lega-Regierungschef Italiens gemacht hätte. Der Nimbus Salvinis mag verblasst sein, aber als Feindbild lebt er fort, obwohl er in der neuen italienischen Regierung nicht mehr als Innen-, sondern als Infrastrukturminister fungiert.
Der Bestand, für den Salvini angeklagt wurde, stammt daher wenig überrascht aus jenem Jahr 2019, als Salvini dem NGO-Schiff „Open Arms“ die Anlandung im Hafen von Palermo verweigert hatte. Die Staatsanwaltschaft warf Salvini „Freiheitsberaubung“ und „Amtsmissbrauch“ vor. Seine Entscheidung se rein persönlich motiviert gewesen. Sie forderte deswegen eine Haftstraße von 6 Jahren. Auf dem Schiff hatten sich 147 Migranten befunden.
Salvinis Verteidiger hielten dagegen, dass die „Open Arms“ auch Spanien oder Malta hätte anlaufen können, dieser Anweisung der italienischen Behörden aber drei Wochen widerstanden hätte. Sie forderten deswegen einen Freispruch. Salvini selbst hielt der Justiz Befangenheit vor, sie sei links bzw. „kommunistisch“. Zum Argument der spanischen Häfen sei hinzugefügt: die „Open Arms“ gehört der spanischen NGO Proactiva Open Arms, der Heimathafen ist Bilbao. Wie so häufig sehen Kritiker von Open Arms nicht nur Salvini, sondern auch die NGO als Teil eines Machtspiels, bei dem die Migranten als bloßes Mittel zum Zweck dienten, um Druck auf die italienische Regierung auszuüben.
Offenbar hat das Gericht genau diesen Punkt ähnlich gesehen. Salvinis Anwältin hob hervor, dass dieses Urteil kein Urteil gegen die Migranten sei – sondern vielmehr ein Urteil gegen diejenigen, die Migranten für politische Zwecke missbrauchten.
Das Urteil fällt in einer Woche, in der die italienische Migrationspolitik im Fokus steht. Während am Wochenende die NGO „Ärzte ohne Grenzen“ ihre Arbeit im Mittelmeer aufgab, weil ihr die italienische Regierung so viele Stöcke zwischen die Speichen werfe, findet heute zeitgleich ein EU-Gipfel statt. Dort steht vor allem der Ukraine-Krieg im Vordergrund. Allerdings soll es auch in der Migrationsfrage weitere interne Abstimmungen geben. Meloni und ihre dänische Amtskollegin Mette Frederiksen haben zusammen mit dem niederländischen Premier Dick Schoof eine informelle Runde jener Staaten angeregt, die „innovative Lösungen“ suchen. Vereinfachte Abschiebungen gelten als Kernpunkt der Gespräche.
Auch deswegen hat dieses Urteil Signalwirkung. Es ist kein italienisches, vermutlich nicht einmal ein europäisches, sondern hat eine globale Strahlkraft: an ihm zeigen sich die verhärteten Fronten in der Migrationsfrage. Es wird Gegnern wie Befürwortern der Massenmigration Munition geben: Italien und andere migrationskritische Länder werden sich darin bestätigt fühlen, dass rigide Maßnahmen auf einer rechtlichen Basis stehen. Die Befürworter der Massenmigration werden wiederum darauf beharren, hier sei ein Urteil von Melonis Gnaden durchgewunken worden.
Dass die Justiz jedoch nicht gegenüber der NGO einknickte, sondern das Primat von Staatsraison und exekutiver Befugnis stärkte, dürfte von vielen rechten Politikern als Signal verstanden werden, dass die Zeiten, in denen die veröffentlichte Meinung die maßgebliche war, langsam an ihr Ende kommt. Das Urteil verändert nicht die Migrationspolitik als solche; es kann sie aber verändern. Anders als bei Carola Rackete ist den Weltverbesserern nicht mehr alles erlaubt.