Tichys Einblick
War Jesus ein Palästinenser?

Nach Protest: Der Papst entfernt das Jesuskind mit Kufiya aus der Krippe

Eine vatikanische Weihnachtskrippe hatte für Unmut gesorgt: Das Jesuskind lag in einem Palästinensertuch darin. Nach viel Kritik und Medienschelte sind Krippe und Kind weg. Gegen Papst Franziskus lautet der Vorwurf, sich zu sehr mit einer Seite gemein gemacht zu haben.

Generalaudienz am Mittwoch: Plötzlich ist das Jesuskind samt Krippe und Palästinensertuch weg.

IMAGO / NurPhoto

In den bald 12 Jahren seines Pontifikats hat Papst Franziskus immer wieder für Aufsehen, Irritationen und Unmut gesorgt. Verglichen mit dem Nicht-Segen Segen für Homosexuelle, der Einschränkung der Alten Messe, Amoris Laetitia, den „Dubia“ von vier Kardinälen und dem eigenständigen Kurs im Ukraine-Krieg erscheint die neueste Geschichte eher als Lappalie. Sie hatte allerdings so viel Sprengstoff, dass der Vatikan eingelenkt ist – was beim argentinischen Papst so außergewöhnlich ist, dass spätestens damit aus einer Episode eine Geschichte wird.

Anstoß erregt hatte eine Weihnachtskrippe im Vatikan. Das ist in der Amtszeit von Jorge Bergoglio als römischer Bischof nichts Ungewöhnliches. Der Heilige Stuhl hatte die Krippe bereits in den letzten Jahren zu einer Provokation gemacht, und sei es nur eine ästhetische. Die peruanische Weihnachtskrippe von 2021 bezeichneten Kritiker als „Multikulti-Kitsch“. Die Krippe von 2020 wiederum ähnelte in ihren abstrakten Science-Fiction-Formen eher einer Mischung aus einem Alptraum von Otto Dix und Star Wars. Einige glaubten sogar, Darth Vader erkannt zu haben.

Kurz: Wer sich nur ein bisschen mit der Katholischen Kirche außerhalb der Advents- und Weihnachtsfeiertage beschäftigt, weiß, dass seit Franziskus die traute benediktinische Weihnachtskrippenzeit ihren Schluss gefunden hat. Natürlich gab es in der franziskanischen Ära auch schöne Krippen; viel schwerer wiegt jedoch, dass durch die Provokationen jene Sicherheit weg ist, dass man wenigstens in Rom vom Zeitgeist unbehelligt bleibt. An die deutschen Entwürfe, wo etwa Rettungswesten im Krippen-Ensemble standen, um die Flucht nach Ägypten zum Vorgänger heutiger Migrantenschicksale zu verklären, muss man dabei kaum erinnern.

Bergoglio hat der römischen Weihnachtskrippe demnach die Unschuld gestohlen. Doch dieses Jahr ging die Krippenprovokation offenbar zu weit, weil sie nicht nur bei Wald- und Wiesenkatholiken für Ärger sorgte. Zwar sah der Vatikan dieses Mal von Horrorfiguren ab. In der für franziskanische Umstände traditionell zu nennenden Krippenszene aus Holz lag das Jesuskind allerdings in einer Kufiya, vulgo: Palästinensertuch.

Damit bekannte sich die Kirche in einer bis dato unbekannt klaren Weise zum Gaza-Konflikt und betonte wie auch schon im Ukraine-Krieg ihre Position zwischen den Stühlen. Dass es sich bei dem Tuch um einen arabischen Allerweltsgegenstand handelte, brach als Argument spätestens zusammen, als bekannt wurde, dass die Krippe von einem aus Bethlehem stammenden palästinensischen Künstler stammte – und ein Geschenk der palästinensischen Autonomiebehörde PLO ist. Die Krippe wurde damit nicht nur zeitgeistig, sondern politisch.

Naheliegend war damit die Suggestion, dass es hier nicht nur um die prinzipiellen Opfer von Krieg, Mord und Gewalt ging, sondern ganz speziell um die palästinensische Causa, die den Heiland für sich zu reklamieren versuchte. Ein delikates Thema angesichts des Geschichtskrieges, den die arabische wie israelische Seite ausfechten, und bei der eine jüdische Präsenz vor dem späten 19. Jahrhundert in Zweifel gezogen wird. Die internationale Empörung war dementsprechend groß: Jesus, der Palästinenser? Geschichtsfälschung zugunsten politischer Motivation? Selbst das eher liberale Portal katholisch.de mokierte sich über die Krippe, Jesus dürfe nicht „seiner jüdischen Herkunft beraubt werden“.

Der Streit um Jesu Ethnie fällt in eine Periode, in der mit umgekehrten Vorzeichen ein Netflix-Film dafür kritisiert wurde, dass Maria von einer jüdisch-israelischen Schauspielerin porträtiert wurde. In den sozialen Medien kursierten Posts, die sich darüber erregten, dass eine „palästinensische Frau“ von einer jüdischen Siedlerin dargestellt würde. Hier also dieselbe Identitätsfrage, dieses Mal mit Pulver von der anderen Seite.

Dass ethnische Herkunft seit einigen Jahren eine Rückkehr in den politischen wie gesellschaftlichen Diskurs findet, ist dabei eher der woken denn der rechten Identitätspolitik zuzuschreiben, die nicht nur im akademischen, sondern auch medialen und mittlerweile theologischen Bereich Einzug gehalten hat. Das ist nicht ganz ohne Widersprüche. So gibt es einen D’Artagnan-Film mit schwarzem Protagonisten und im neuesten Teil der Videospiel-Reihe Assassin’s Creed kämpft ein schwarzer Samurai. Zum Zeitgeist gehört, dass angebliche Anti-Rassisten „Farben“ und „Rassen“ fetischisieren.

Zum Triumph dieser neuen Wissenschaft gehört etwa die „Rekonstruktion“ des Gesichts Christi als dunkelhäutiger Neandertalerverschlag, was wohl weniger der Realität als dem Wunsch entspricht, vermeintlichen Anhängern von Haut und Herkunft eins auszuwischen. Dabei war das Aussehen Christi durch die Jahrhunderte selbst für traditionelle Christen kein Anstoß. Es sei nur an die asiatischen Malereien erinnert, die einen sinisierten Erzengel Michael und Christus zeigen, alles im Zeichen der Jesuitenmission. Und über Schwarze Madonnen mögen sich vielleicht manche weiße Suprematisten ärgern, jedoch nicht die gläubigen Katholiken – solange damit eben keine politisch-ethnische Botschaft assoziiert wird. Die meisten traditionellen Abbildungen Christi führen sich sowieso auf die byzantinische Ikonenmalerei zurück, wie sie schon im 6. Jahrhundert bestand (also weit vor irgendwelchen ethnischen Implikationen).

Es wäre demnach für Papst Franziskus auch eine Chance gewesen, eben nicht dem Zeitgeist nachzulaufen, sondern sich diesem zu widersetzen; was aber angesichts der Geschichte dieses Pontifikats sowieso nicht zu erwarten gewesen wäre. Entschuldigend wabert die Erklärung durch den Raum, der Pontifex habe im Grunde nicht gewusst, was ihn erwartete, die Krippensache sei eingefädelt, Bergoglio im Rollstuhl vorgefahren worden. Allerdings hätte der Papst auch die Möglichkeit gehabt, im Angesicht der Kufiya zu sagen: So bitte nicht, cari fratelli. Das ist nicht passiert.

Bezeichnend ist, dass der Vatikan nach den medialen Störfeuern nicht nur das Tuch, sondern auch die Jesusfigur entfernt hat. Das wäre von vornherein vielleicht die beste Möglichkeit gewesen. Bekanntlich legt man das Christuskind erst am Heiligabend an seine Position. Wer allerdings gerne mit Politik und Ideologie posiert, kann es auch an heiligen Tagen nicht lassen.


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