Am Mittwoch wählen die Niederländer ein neues Parlament und haben die Qual der Wahl: 28 Parteien bewerben sich um 150 Sitze. Aus europäischer Sicht gibt es im Hinblick auf die Wahlen in Frankreich und Deutschland nur eine Frage: Wie stark wird der „Rechtspopulist“ Geert Wilders? Und hat der Krach um den Auftritt von Erdogans Ministern jetzt wem geholfen: Mark Rutte, dem derzeitigen Ministerpräsident, oder Geert Wilders, dem Herausforderer, der schon lange vor dem Islam gewarnt hat und unter ständigem Polizeischutz steht? Das Dumme für Wilders ist: Er mag viele Stimmen gewinnen – aber allein gegen 27 andere Parteien wird er nicht regieren können. Und die Mehrheit der anderen Parteien will nicht mit ihm koalieren. Das politische System will einem Wahlsieger Wilders keinen Sieg zuerkennen, auch wenn er zur stärksten politischen Kraft wird.
Wahlsieger Wilders – und doch kein Sieg?
Wie Donald Trump in Amerika verkauft sich allerdings Wilders bereits als klarer Wahlsieger. Einen patriotischen Frühling in Holland, in Europa, in der ganzen Welt soll es geben. Ein Anstieg von 15 auf 50 Sitze wird Wilders’ Partei vorhergesagt, damit würde er Regierungschef. Allerdings sind diese Vorhersagen maßlos übertrieben. Ein derart triumphaler Sieg für seine Freiheitspartei PVV wird wohl kaum stattfinden. Zudem würde Wilders bei der Regierungsbildung von den anderen Parteien boykottiert.
Die Umfragen der letzten Wochen zeigen, dass die PVV zwar immer noch die meisten Stimmen gewinnen kann, aber auf Talfahrt ist – oder jedenfalls bis zum Auftritt von Erdogans wilden Kabinettsmitgliedern. Die Chance, dass die „rechtsliberale“ VVD von Ministerpräsident Mark Rutte wieder die größte politische Kraft wird, ist eher größer geworden. Doch auf den letzten Metern wird es um die Türkei-Politik gehen. Eigentlich hat Wilders da die Nase vorn. Es ist sogar die Geburtsstunde seiner Partei. 2004 spaltete Wilders, der damals eng mit der Feministin und Islamkritikerin Ayaan Hirsi Ali zusammenarbeitete, sich von Ruttes VVP ab – Wilders stemmte sich zusammen mit Ayaan Hirsi Ali sich gegen den EU-Beitritt der Türkei. Bislang konnte im aktuellen Wahlkampf Wilders keinen großen Vorteil daraus ziehen – auch Rutte wandte sich mittlerweile gegen Erdogan und zeigte am Wochenende die Faust Richtung Ankara. Warum also Wilders wählen, wenn Rutte schon so entschlossen ist? Bemerkenswert: In den Niederlanden gibt es Denk – eine von Türken geführte neue Partei. Sie steht in Treue fest zu Erdogan. Das steht den Deutschen vermutlich noch bevor. Und die Holländer stehen vor der Wahl, entweder Rutte aus Ärger über die Türkei die Stimme zu geben oder das Original Wilders zu wählen. Denn Wilders hat jetzt mit seinen Warnung vor der Türkei demonstrativ Recht behalten. Erdogan wählt also mit – klar ist bloß nicht, wen.
Kein Regierungschef Geert Wilders
Daher kann die Politklasse in Europa nicht aufatmen, denn die holländische politische Landschaft ist zersplittert, und es wird schwierig werden, eine stabile Regierung zu bilden. Den Sozialdemokraten (PvdA), Koalitionspartner von Rutte, droht eine historische Niederlage, und die Christdemokraten (CDA) legen kaum zu. Da auch die VVD trotz exzellenter Wirtschaftsdaten verlieren wird, ist sogar eine große Koalition der drei etablierten Volksparteien nicht mehrheitsfähig. Da braucht man noch mehr Parteien.
Bei so viel Unsicherheit hat es keinen Zweck, über das Ergebnis zu spekulieren. Normalerweise sollte ja ein Regierungschef, der seine Mehrheit verliert, nicht mehr weitermachen. Aber in Den Haag wird erwartet, dass Rutte, der immer gut gelaunte Pragmatiker, Ministerpräsident bleiben wird. Panik gibt es nicht. Es fehlt an einer Alternative für einen Mann ohne Eigenschaften, der alle Alternativen irgendwie in sich selbst trägt. Er ist der Einzige, der mit jedem koalieren kann. Sogar mit Wilders, obwohl Rutte diese Option auf „null Prozent“ reduziert hat. Aber bei großem Stimmengewicht für Wilders wird die Null eben nach oben korrigiert.
Konsenspolitik ohne Antwort
Doch es ist unwichtig, ob Wilders in die Regierung eintritt oder nicht. Er punktet an der Seitenlinie. Die Macht von Wilders und den „Rechtspopulisten“ insgesamt (es gibt mehrere), liegt darin, dass sie einen Klimawechsel in der langweiligen holländischen Politik hervorgebracht haben. Obwohl Holland immer noch ein weltoffenes Land ist, durch Europa und die Massenimmigration vielleicht mehr denn je, hat die Gesellschaft sich nach innen gerichtet. Wilders und der schwer integrierbare Islam haben für Unmut gesorgt, und die holländische Konsenspolitik hat darauf keine Antwort. Nur noch mehr Konsens. Und mehr Europa. Aber diese politische Korrektheit, die im Fall Europas schon nicht mehr korrekt ist, sondern heuchlerisch, ärgert die Bevölkerung und stärkt Wilders und Co.
Trotzdem: Eine Mehrheit haben sie nicht, regierungsfähig werden sie nie sein, salonfähig sind sie nie gewesen. All das spaltet die Gesellschaft, aber nicht so schlimm, dass es kracht. In Holland glaubt man, dass die Konterrevolution – die seit dem Mord an Pim Fortuyn 2002 immer irgendwo schwelte – wieder einmal ausfällt. Und gewinnt Wilders hat er diesen Sieg Erdogan zu verdanken. So dialektisch kann Politik sein.
Dirk-Jan van Baar studierte Geschichte und internationale Beziehungen und arbeitete zunächst als Dozent an den Universitäten Utrecht, Nijmegen und Amsterdam. Er schreibt heute für alle großen niederländischen Zeitungen und den Tagesspiegel in Berlin.