Tichys Einblick
Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft

Die Wiedereröffnung von Notre-Dame als Kaleidoskop des 21. Jahrhunderts

Frankreichs Systemkrise, die innerkirchliche Überwindung der 1968er, der neue, katholisch geprägte Konservatismus – überall scheint eine neue Zeit anzubrechen, wie die Neueröffnung von Notre-Dame augenfällig demonstriert.

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Thibault Camus

Ein waidwunder Emmanuel Macron, eine aussterbende Konzils-Kirche, ein zunehmend tradi-katholisch eingerahmter Donald Trump. Manche Ereignisse der Geschichte sind wie ein Kaleidoskop, in dem sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mehr oder weniger harmonisch brechen. Die Wiedereröffnung Notre-Dames nach der immer noch mysteriösen Brandkatastrophe ist so ein Moment.

Macrons Frankreich-Desaster

Da wäre zuerst, auf den ersten Blick ziemlich banal, in Wahrheit aber doch für ganz Europa schicksalsschwer, die französische Politik. Präsident Macron ist der unbeliebteste Präsident der Fünften Republik und eigentlich seit seiner ersten Amtsperiode nur deshalb im Elysée, weil eine (rasch schwindende) Mehrheit der Franzosen mehr Angst nur vor Marine Le Pen empfindet. Doch der von Macron verkörperte „Cordon Sanitaire“ bricht, da mittlerweile nicht nur der „Rassemblement National“, sondern auch die linksextremen „France Insoumise“ ihre jeweiligen „moderaten“ Schwesterparteien, also die Sozialisten und die Republikaner, so sehr in die Ecke gedrängt haben, daß der Staat unregierbar geworden ist. Macrons Kalkül, durch die Parlamentsauflösung im Nachklang der desaströsen Europawahlen ein solches Chaos auszulösen, daß er selber als eine Art Retter in der Not empfunden werden könnte, scheint gegenwärtig über das Ziel hinauszuschießen.

Nach dem Mißtrauensvotum gegen die kurzlebige Regierung Barnier werden nicht nur rechts, sondern auch links die Rufe fast ohrenbetäubend, auch Macron selbst möge endlich seinen Sessel räumen, um neben dem Parlament auch das Präsidialamt nächstes Jahr neu besetzen zu können. Frankreich steht an der Kippe, denn ob es nun zu einer Regierung kommt, die sich auf Links- oder auf Rechtsaußen stützt: Der innenpolitische Gegner wird so stark sein und den (jeweiligen) „Volkswillen“ so überzeugend für sich reklamieren können, daß das Land rasch in veritablen Unruhen versinken könnte. Frankreich würde damit nicht nur den Ausgangspunkt für ein europäisches Schulden-Domino bilden, das den ganzen Euro mit sich reißen könnte, sondern auch den Auftakt zu ungeahnten gewalttätigen ethno-kulturellen Konflikten setzen, die rasch die Landesgrenzen überschreiten könnten.

Macrons Versuch, die rasche, wenn auch stilistisch überaus umstrittene Renovierung Notre-Dames für sich zu reklamieren und die katholische Metropolkirche zu einer Art Emblem des Nationalstolzes einer säkular-laizistischen Republik zu machen, die nicht nur symbolisch auf den Köpfen der enthaupteten Kirche errichtet wurde, wirkt wie ein verzweifelter Strohhalm. Denn bis auf die atemberaubend rasch schrumpfende Mitte der sogenannten „bienpensants“, also der „Gutmenschen“, die meistens dem Milieu der gebildeten Rentner und Oberstudienräte aus den Westprovinzen des Landes stammen, hat die neo-absolutistisch anmutende Selbstinszenierung nur Hohn geweckt: von links, weil man die angebliche Selbstunterwerfung des Präsidenten unter den römischen „Obskurantismus“ als Bruch religiöser Neutralitätsverpflichtung kritisiert, von rechts, weil Macrons physische Gegenwart in Notre-Dame als veritables Sakrileg betrachtet wurde, hat der Staatschef doch bisher nicht ein einziges mal Stellung bezogen zu der fast wöchentlichen Vandalisierung oder Brandstiftung christlicher Kirchen in Frankreich.

In dieser Hinsicht dürfte Macrons Versuch, seinen angeschlagenen innenpolitischen Kredit ebenso durch die Wiedereröffnung der Kirche wie durch die Photosessions mit allerlei europäischer und sonstiger Prominenz aufzufrischen, wohl kaum die erwünschten Früchte tragen, und man darf wohl erwarten, daß es bald weiter rapide bergab gehen dürfte mit dem einstigen Shooting-Star der Linksliberalen.

Katholische Kirche im Umbruch

Doch wichtiger noch als die französische Innenpolitik dürfte die Entwicklung der katholischen Kirche sein, wie sie sich in der Wiedereröffnung von Notre-Dame spiegelt. Denn auch hier ist der erste Akt der Götterdämmerung längst angebrochen und die Bedeutung dieser tektonischen Verschiebung dürfte kaum abzusehende, auch politische Dimensionen haben. Bis auf einige verbissene alternde Kirchenfürsten und eine Handvoll willfähriger Journalisten ist nämlich zumindest in Frankreich der Plan, die Kirche durch Anbiederung an das, was vor ca. 50 Jahren vielleicht einmal als irgendwie „modern“ gelten konnte, krachend gescheitert.

Selbst die sündhaft teure „Erneuerung“ der Innenausstattung von Notre-Dame durch brutalistisches Mobiliar und die lächerlichen, für ein Vermögen vom Star-Designer Castelbajac entworfenen Gewänder sehen letztlich altmodischer aus als die einfache Weiternutzung von vorkonziliarem liturgischen Material, wie es überall in Frankreich in Hülle und Fülle vorhanden ist, aber als angeblich „zu prunkvoll“ vor sich hingammelt. Kein Wunder, daß bis auf einige Hofberichterstatter niemand, aber wirklich niemand diesen eklatanten Stilbruch mehr ernst nimmt – selbst die französische „Lidl“-Kette hat sich über die peinliche Geschmacksverirrung mokiert.

Auch hier wird der Festakt im Rückblick als ein letztes Aufbäumen erscheinen, denn gerade in Frankreich ist die neue Generation von Priestern und Gläubigen traditionalistisch und patriotisch eingestellt und wartet nur auf den sich mit raschen Schritten nähernden Augenblick, wo das Wegsterben der Boomer-Generation und mit ihr der tragenden Schicht der Vaticanums-Befürworter die große innerkirchliche Machtübergabe einleitet. Von der einstmaligen gesellschaftlichen wie politischen Macht der katholischen Kirche wird dann zwar nur noch eine Ruine übriggeblieben sein, da die Akteure dieses Niedergangs (wie in so vielen anderen Bereichen der Gesellschaft) ihr Spielzeug lieber zerbrechen als weiterzugeben. Was aber diesen Übergang überlebt, wird ohne Zweifel lieber noch an die mittelalterliche Kirche als an die 1968er anknüpfen wollen – und damit Erfolg haben.

Trump und Musk in Notre Dame

Denn daß eine solchermaßen gesundgeschrumpfte wie innerlich gefestigte Kirche damit nicht ganz allein stehen wird, sondern zumindest teilweise auch politische Unterstützung bei ihrem Projekt eines „Last Stand“ gegen den überwältigenden Druck der Atheisten und Muslime erhalten dürfte, ist die dritte Lehre aus dem Festakt. Gerade aus den USA war hohe Prominenz angereist: Nicht nur Donald Trump, der designierte Präsident, sondern auch Elon Musk zeigten Präsenz und wurden von eben jenen, die sie seit fünf Jahren offen verhöhnten, unterwürfig hofiert – allen voran Präsident Macron. Und bedenkt man, daß Trump und Musk die Architekten einer Regierungsmannschaft sind, der mit sechs Ministern so viele katholische Traditionalisten angehören wie noch nie zuvor in der Geschichte der Vereinigten Staaten, wird deutlich, daß sich hier, fernab von der Aufmerksamkeit der Massenmedien, in den letzten 10 Jahren eine massive Kehrtwende von den bisherigen Prognosen vollzogen hat, deren Bedeutung noch kaum zu ermessen ist.

Dem traditionalen Katholizismus, einst als kleiner Haufen von „Ewiggestrigen“ verschrien und belächelt, ist es nicht nur gelungen, kirchenintern die Jugend auf seine Seite zu ziehen und sich als dynamische Alternative zu den alternden, gitarrenklimpernden und klima- wie migrationsbewegten Spät-68ern zu profilieren, die – noch – die Bischofsstäbe in ihren greisen Händen halten: Auch politisch hat sich das traditionalistische Christentum zum Kern einer Ideologie gemausert, die den krachend gescheiterten Materialismus sowohl der Linken als auch der Liberalen zu überwinden vermag und es somit dem westlichen Menschen ermöglicht, der eigenen Geschichte endlich wieder einen neuen Sinn zu verleihen – oder besser gesagt, ihr den alten, eigentlichen Sinn zurückzugeben.

Denn dieser Sinn erschöpft sich eben nicht in der vulgären Teleologie des Progressismus, sondern muß die gesamte Vergangenheit als bewahrenswertes und bewunderungswürdiges Erbe faßbar machen; gerade in Zeiten des kaum zu leugnenden materiellen Niedergangs des Abendlands wie auch des wachsenden Kulturkampfs nicht nur mit dem Islam, sondern auch mit China eine dringende Notwendigkeit. Es ist daher nur eine Frage der Zeit, bis sich auch in Europa ähnliche Bewegungen ihre Bahn brechen, und man darf hoffen, daß eine solche christliche Erneuerung eines echten abendländischen Patriotismus sich sowohl von ihrer kindlichen Romantik gegenüber Vladimir Putins chimärischem „Heiligen Rußland“ zu lösen vermag wie von einer allzu wohlfeilen Aufgabe der Verantwortung für die eigenen Interessen zugunsten ihrer Auslagerung an den großen Bruder jenseits des Atlantiks.

Nur durch eine beherzte Verteidigung unserer eigenen kontinentalen Interessen, die eben weder mit denen des nordamerikanischen Kontinents, noch mit denjenigen der eurasischen Landmasse Rußlands identisch sind, wird es uns möglich sein, innerhalb der neuen multipolaren Welt nicht nur unsere strategischen Bedürfnisse zu verteidigen und Europa „great again“ zu machen, sondern auch unseren eigenen Zugang zur Transzendenz zu wahren.

 

Frankreichs Systemkrise, die innerkirchliche Überwindung der 1968er, der neue, katholisch geprägte Konservatismus – überall scheint eine neue Zeit anzubrechen, wie die Neueröffnung von Notre-Dame augenfällig demonstriert. Und eines ist klar: Der Übergang wird, wie so oft in der Weltgeschichte, von mannigfachen Geburtswehen begleitet sein.

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