Tichys Einblick
Unternehmensübernahmen nehmen zu

Deutsche Wirtschaft im Ausverkauf

Die Rezession macht deutsche Unternehmen zu beliebten Übernahmezielen für internationale Industriegiganten. Die einheimische Wirtschaft befindet sich kurz vor dem Ertrinken – internationale Großkonzerne reichen Covestro, DB Schenker und Co. die Rettungsleine.

DB Schenker wurde an den dänischen Logistikkonzern DSV verkauft. So will die Deutsche Bahn ihre Schulden abbauen

IMAGO / Sven Simon

Die deutsche Wirtschaft steckt zum zweiten Jahr in Folge in einer Rezession fest. Bereits im vergangenen Jahr sank das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 0,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Auch für dieses Jahr prognostiziert die Bundesregierung ein Schrumpfen der Wirtschaftsleistung um 0,2 Prozent.

Eine spürbare Erholung bleibt aus: Selbst 2025 wird laut der aktuellen IW-Konjunkturprognose kaum Wachstum erwartet. Nach zwei Jahren Rezession rechnet das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) lediglich mit einem Plus von 0,1 Prozent. „Die deutsche Wirtschaft kommt nicht vom Fleck‟, konstatiert das IW nüchtern.

Aufgrund der Rezession werden deutsche Unternehmen zu beliebten Übernahmezielen für internationale Industriegiganten. Chemieriese Covestro und DB Schenker stehen kurz vor der Übernahme durch ausländische Investoren. Zulieferer Leoni wurde bereits im September übernommen. Auch die Commerzbank könnte möglicherweise von der italienischen UniCredit aufgekauft werden.

Covestro: Adnoc sichert sich Mehrheit der Anteile

Covestro, ein weltweit führender Hersteller hochwertiger Polymer-Werkstoffe, steht kurz vor einer Übernahme durch den arabischen Ölkonzern Adnoc. Das junge Unternehmen entstand erst 2015 durch die Abspaltung des Geschäftsbereichs Bayer MaterialScience von der Bayer AG. Doch die kurze Ära der Eigenständigkeit scheint für Covestro nun bereits zu Ende zu gehen. Adnoc hat sich erst kürzlich die Mehrheit am deutschen Kunststoffhersteller gesichert. Am 4. Dezember wurden Adnoc rund 70 Prozent der Covestro-Aktien angedient, wie der Konzern bekannt gab.

Diese Übernahme markiert einen historischen Schritt: Es ist die erste Großübernahme eines Dax-Konzerns durch einen staatlichen Investor aus der Golfregion und zugleich die größte Transaktion in der europäischen Chemieindustrie seit vielen Jahren. Der Deal umfasst ein Volumen von 11,6 Milliarden Euro.

Der endgültige Abschluss der Übernahme wird für das zweite Halbjahr 2025 erwartet, vorbehaltlich der Zustimmung der Regulierungsbehörden in verschiedenen Ländern. Stellenkürzungen soll es anscheinend vorerst keine geben. Covestro hat zugesichert, dass die bestehenden Mitarbeiter bis Ende 2032 vor betriebsbedingten Kündigungen geschützt sind – eine Maßnahme, die zumindest etwas Stabilität in einer Zeit des Umbruchs verspricht.

Commerzbank: Ebenfalls potenzieller Übernahmekandidat

Auch die Commerzbank steht vor einer potenziellen Aneignung durch die italienische UniCredit-Bank. Für Aufsehen sorgte UniCredit erstmals, als sie am 11. September 2024 einen bedeutenden Anteil von 9 Prozent an der Commerzbank erwarb. Die Transaktion, die rund 1,4 Milliarden Euro kostete, zielte darauf ab, die Marktstellung der UniCredit auszubauen.

Ermöglicht wurde der Kauf unter anderem durch den Verkauf von Commerzbank-Aktien durch die deutsche Bundesregierung. Der Bund war bis vor kurzem noch der größte Aktionär der Commerzbank, nachdem dieser während der Finanzkrise 2008 und 2009 mit mehr als 18 Milliarden Euro in das Unternehmen investiert hatte, um dessen Stabilität zu sichern.

Bereits am 23. September erhöhte UniCredit ihren Anteil durch den Einsatz von Derivaten auf 21 Prozent, was in Deutschland eine hitzige Debatte über die Vorgehensweise der italienischen Großbank auslöste. Bundeskanzler Olaf Scholz bezeichnete diesen Schritt als „unfreundliche Attacke“ und sprach von einem „feindlichen Akt“ im Zusammenhang mit den Übernahmeversuchen der italienischen Bank. Widersprüchlich erscheint die Kritik jedoch insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Bund selbst erst vor kurzem seine Commerzbank-Anteile veräußert hatte und somit den Weg für die Übernahme weiterer Anteile durch UniCredit maßgeblich ebnete.

Trotz der Beschwerde aus Berlin bleibt UniCredit unbeeindruckt und plant, ihren Anteil weiter auf 29,9 Prozent auszubauen, was jedoch zunächst die Zustimmung der Europäischen Zentralbank (EZB) erfordert. Bezüglich einer Komplettübernahme erklärte UniCredit CEO Andrea Orcel, dass eine endgültige Entscheidung darüber „nicht vor einem Jahr“ fallen werde. Die Souveränität der deutschen Traditionsbank steht dennoch weiterhin auf dem Spiel.

DB Schenker: So will sich die Bahn von der massiven Schuldenlast lösen

Die DB-Tochtergesellschaft Schenker steht ebenfalls kurz vor einer Übernahme. Der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn hat dem Verkauf für einen Unternehmenswert von 14,3 Milliarden Euro an den dänischen Logistikkonzern DSV zugestimmt. Einschließlich erwarteter Zinserträge könnte der endgültige Verkaufswert sogar auf bis zu 14,8 Milliarden Euro steigen.

DB Schenker steht derzeit unter erheblichem wirtschaftlichen Druck. Im ersten Halbjahr 2024 verzeichnete der DB-Konzern einen operativen Verlust von 677 Millionen Euro – ein dramatischer Anstieg gegenüber dem Vorjahreszeitraum, als der Verlust bei gerade einmal 71 Millionen Euro lag.

Der geplante Verkauf von DB Schenker soll dazu beitragen, die Schuldenlast der Deutschen Bahn, die derzeit über 30 Milliarden Euro beträgt, zu senken und gleichzeitig den Fokus auf die dringend notwendige Sanierung der Schieneninfrastruktur in Deutschland zu lenken. Dieses dringend notwendige Vorhaben erfordert erhebliche finanzielle Mittel: Bahnchef Richard Lutz beziffert die notwendigen Reparaturen auf eine beeindruckende Summe von rund 100 Milliarden Euro.

Zulieferer-Branche unter Druck: Leoni geht an China

Es müsste mittlerweile jedem klar sein, dass die deutsche Automobilindustrie, das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, quasi kurz vor dem Kollaps steht. Grund hierfür sind vor allem die widrigen Rahmenbedingungen des deutschen Wirtschaftsstandorts, als auch die erzwungene Wende hin zur E-Mobilität. Selbstverständlich sind auch die Zulieferer der großen Hersteller davon stark betroffen.

Branchenriesen wie Bosch, ZF und Continental, die allesamt strikte Sparmaßnahmen durchsetzen müssen, leiden darunter. Besonders hart trifft es jedoch die zahlreichen kleinen und mittelständische Zulieferer, von denen viele in diesem Jahr Insolvenz anmelden mussten. Unter den Pleiten finden sich Namen wie Gerhardi, Eissmann, Allgaier und die Johann Vitz GmbH. Die Liste ließe sich nahezu endlos fortsetzen.

Auch der Zulieferer Leoni hat in den letzten Jahren mit gravierenden finanziellen Problemen zu kämpfen gehabt. Leoni schrieb über Jahre hinweg rote Zahlen. Seit 2015 häufte das Unternehmen eine Schuldenlast von etwa 1,5 Milliarden Euro an – allein 2022 machte der Zulieferer 600 Millionen Euro Verlust.

Im September dieses Jahres wurde das angeschlagene Unternehmen dann von der chinesischen Luxshare-Gruppe übernommen. Am 17. September 2024 unterzeichneten Leoni und Luxshare eine rechtlich bindende Vereinbarung, die Luxshare 50,1 Prozent der Leoni-Anteile für 320 Millionen Euro sichert. Darüber hinaus wird die Luxshare-Tochter Time Interconnect Singapore den Geschäftsbereich Automotive Cable Solutions von Leoni vollständig übernehmen.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass in den letzten Jahren eine deutliche Zunahme von Unternehmensübernahmen in der deutschen Wirtschaft zu beobachten ist.  In Zeiten wirtschaftlicher Stagnation sind Unternehmensübernahmen kein seltenes Phänomen. Wirtschaftlich schwierige Zeiten bringen oft unterbewertete Unternehmen hervor, die zu attraktiveren Konditionen übernommen werden können. Gerade dann suchen viele internationale Unternehmen und Großkonzerne logischerweise gezielt nach Möglichkeiten, ihr Portfolio zu diversifizieren, um von der Krise und künftigen Erholung des Marktes zu profitieren.

Warum kommt Deutschland nicht voran? – Ein Blick auf die aktuelle Konjunkturflaute

Die Ursachen für die Probleme der deutschen Wirtschaft sind offensichtlich: Hohe Energiekosten, eine immense Steuerlast und lähmende Bürokratie belasten den Wirtschaftsstandort Deutschland erheblich. Die Energiepreisschocks der letzten Jahre, ausgelöst durch die Energiewende, aber auch die Sanktionen gegen Russland und den damit verbundenen Ausfall russischer Gaslieferungen, haben deutsche Unternehmen schwer getroffen.

Bezogen auf die Energiewende, zeigt sich ein deutliches Bild. Laut der TÜV Sustainability-Studie empfinden 52 Prozent der Unternehmen die finanziellen Belastungen durch die Umstellung auf erneuerbare Energien als „sehr hoch“. Eine Umfrage der IHK Dortmund zeigt zudem, dass 44 Prozent der befragten Betriebe negative Folgen der Energiewende für ihre Wettbewerbsfähigkeit sehen. Im globalen Vergleich sind deutsche Firmen deutlich im Nachteil: Während asiatische Staaten von günstigen Energiepreisen durch Atomkraft profitieren, schränkt Deutschland sich durch die Unprofitabilität und Ineffizienz der Solar- und Windkraft selbst ein.

Des Weiteren gleicht die Bürokratie in Deutschland einer erdrückenden Last, die Wirtschaft und Fortschritt gleichermaßen hemmt. Laut einer aktuellen Studie des ifo-Instituts summieren sich die jährlichen Kosten durch die ausufernde Bürokratie auf bis zu 146 Milliarden Euro – ein Betrag, der das Wachstumspotenzial des Landes erheblich einschränkt.

Nahezu jede Branche spürt die Auswirkungen, doch besonders drastisch zeigt sich die Belastung im Bauwesen. Dort existieren über 3.900 Normen, die von grundlegenden Anforderungen wie Abstandsflächen, Stellplatzregelungen und Brandschutz bis hin zu technischen Vorgaben wie DIN-Normen reichen. Die Fülle an Regelungen macht Bauvorhaben nicht nur kostenintensiv, sondern führt häufig auch zu erheblichen Verzögerungen bei Genehmigungsverfahren – ein Frustfaktor für Unternehmen und Investoren gleichermaßen.

Obendrein ist Deutschland eines der Länder mit der höchsten Steuerbelastung weltweit. Mit 29,9 Prozent Unternehmenssteuer belegt die Bundesrepublik den zweiten Platz in der EU, hinter Frankreich. Diese Steuerpolitik schreckt Investitionen ab und mindert die Wettbewerbsfähigkeit. Für Unternehmen bedeutet dies, dass Innovationen und Expansionen oft auf der Strecke bleiben.

Fazit: Wie kann Deutschland seine Unternehmen vor Übernahmen schützen?

Die zentrale Frage, die sich abschließend stellt, lautet: Wie kann es gelingen, die Rezession in Deutschland zu bewältigen? Und wie lässt sich die Abwanderung deutscher Unternehmen verhindern? Ebenso wichtig ist die Frage, wie deutsche Unternehmen davor geschützt werden können, in den Einflussbereich ausländischer Großkonzerne zu geraten und ihre Souveränität zu verlieren.

Ein möglicher Ansatz zur Bewältigung der Rezession besteht darin, die grundlegenden Ursachen wie ungünstige Standortfaktoren in Deutschland zu adressieren. Durch gezielte Maßnahmen zur Entlastung der Unternehmen könnten Wachstum und Innovation gefördert werden, was letztlich zu einem wirtschaftlichen Aufschwung beitragen würde.

Gleichzeitig würde dies die Attraktivität deutscher Unternehmen für ausländische Investoren verringern. Mit einer wirtschaftlichen Erholung und steigenden Unternehmensbewertungen wären deutsche Firmen nämlich nicht mehr so leicht als Schnäppchen zu erwerben wie noch während der Krise. Auf diese Weise könnte die Souveränität deutscher Unternehmen langfristig gewahrt bleiben. Darüber würde ein „investitionsfreundlicheres‟ Umfeld mit niedrigeren Betriebskosten das Risiko der Abwanderung verringern und die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen vor Ort stärken.

Maßnahmen von Seiten der Regierung sind auf alle Fälle nötig. IW-Konjunkturchef Michael Grömling bringt es auf den Punkt: „Die kommende Bundesregierung darf keine Zeit verlieren, den Standort Deutschland wieder wettbewerbsfähig zu machen.“ Grömling hat Recht. Eine Unternehmenssteuerreform, eine Wende in der Energiepolitik, um so die Betriebskosten für Unternehmen zu senken, als auch ein Abbau von unnötiger Bürokratie sind unerlässlich.

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