Hat die Nachrichtenagentur dpa ein Zitat von Annalena Baerbock verfälscht, um sie in der Öffentlichkeit besser dastehen zu lassen? Am Freitag kam es zur großen Aufregung, als das ZDF unmittelbar nacheinander zwei voneinander abweichende Varianten eines Satzes veröffentlichte, den die deutsche Außenministerin am Donnerstag auf dem OSZE-Treffen auf Malta geäußert haben soll.
Laut ZDF sagte sie an Russlands Außenminister Sergej Lawrow gerichtet: „Sie können sich selbst etwas vormachen, aber uns, den 1,3 Milliarden Menschen in Europa, können Sie nichts vormachen.“
Der Satz ist offensichtlich unsinnig: die Bevölkerung Europas vom Atlantik bis zu Ural beträgt 742,3 Millionen Menschen. Baerbock verdoppelte diese Zahl also fast. Eine europäische Außenministerin, die nicht weiß, wieviel Menschen auf dem Kontinent leben – das wirkt reichlich seltsam.
Wenig später veröffentlichte das ZDF einen anderen Wortlaut. Nun sollte sie auf einmal in Malta gesagt haben:
„Sie können sich selbst etwas vormachen, aber uns, den 1,3 Milliarden Menschen in der OSZE-Region, können Sie nichts vormachen.“
Hier stimmt die Zahl wenigstens, bizarr wirkt der Satz aber immer noch: Zur Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit gehören 57 Länder, darunter die europäischen Staaten, die USA, Kanada, die Mongolei und sämtliche Nachfolgestaaten der Sowjetunion, darunter eben auch Russland, also das Land, das Lawrow auf der Tagung repräsentiert. Dass Russlands Bevölkerung die Welt ganz anders sieht als Lawrow, wäre eine kühne Behauptung. Ebenso, dass Annalena Baerbock nicht nur als Vertreterin Deutschlands auftritt, sondern als eine Art Klassensprecherin für weitere 56 Länder, Russland inklusive.
Der wesentliche Punkt besteht aber darin: Korrekt kann, wie etliche ZDF-Leser und -Zuschauer feststellten, nur eine der beiden Varianten sein.
Als deshalb offenbar viele Nachfragen kamen – nicht nur auf X – veröffentlichten ARD und ZDF kleine Hinweise ganz am Ende ihrer Malta-Berichterstattung – bei tagesschau so: „In einer früheren Version des Textes haben wir Außenministerin Baerbock im ersten Absatz mit den Worten ‚…den 1,3 Milliarden Menschen in Europa‘ zitiert. Es muss richtig heißen ‚…den 1,3 Milliarden Menschen in der OSZE-Region‘ Die Ministerin hat sich versprochen. Die Stelle wurde aus Transparenzgründen korrigiert.“
Das Zitat, in dem Baerbock von 1,3 Milliarden Europäern sprach, war also das authentische. Jemand bei dem öffentlich-rechtlichen Sender – so zumindest dem ersten Vernehmen nach – bog also den peinlichen Versprecher der Ministerin nachträglich zurecht, um sie besser dastehen zu lassen.
Es ist allerdings nicht Aufgabe von Journalisten, Politikerzitate so zu glätten, dass eine unsinnige Aussage verschwindet. Die Öffentlichkeit ist an rhetorische Baerbock-Unfälle sowieso gewöhnt, von der 360-Grad-Wende bis zu „Ländern, die ein paar hunderttausend Kilometer entfernt sind“. Auf eine Stilblüte mehr oder weniger wäre es also kaum angekommen. Aus ZDF-Sicht auf den Wahlkampf aber offenbar doch – beziehungsweise aus der Sicht von dpa.
Denn von der Nachrichtenagentur hatte der Sender erst das Zitat mit der falschen Zahl und dann die geglättete und damit verfälschte Variante übernommen. Das wirkt deshalb besonders pikant, weil die Nachrichtenagentur dpa zu den „Medienpartnern“ des Regierungsprojekts „Jahr der Nachricht“ gehört, angesiedelt bei Nancy Faesers Innenministerium. Konkret gehört dpa zu den Partnern des Unter-Projekts „Use the news“, das sich laut Selbstdarstellung mit dem „Kampf gegen Desinformation“ befasst. Wieviel Geld genau von der Bundesregierung dafür fließt, wollte dpa bisher nicht verraten.
Später bestätigte die dpa in einem ausführlichen Statement, die Verantwortung für die Verfälschung des Zitats zu tragen:
„Außenministerin Annalena Baerbock hat in ihrer Rede beim OSZE-Ministertreffen auf Malta wörtlich von „1,3 Milliarden Menschen in Europa“ gesprochen. So wurde das auch als direktes Zitat in zwei dpa-Meldungen dokumentiert.
Nach dem Senden der Meldungen fiel in der dpa-Redaktion auf, dass die Zahlenangabe nicht stimmen kann. Es wurde geprüft, ob wir Baerbock möglicherweise falsch zitiert hatten.
Auf Nachfrage korrigierte eine Sprecherin Baerbocks die falsche Angabe und verwies auf den veröffentlichten schriftlichen Redetext. Darin heißt es: „You can fool yourself, but you cannot fool the world: not 1.3 billion people in the OSCE region, who have one thing in common: wanting their families to live in peace.” (https://auswaertiges-amt.de/en/newsroom/news/2689214-2689214)
Daher entschied die zuständige Redaktion im Berliner Newsroom, in den beiden Meldungen das direkte Zitat entsprechend zu korrigieren und in den Notizblöcken der Meldungen darauf hinzuweisen, dass Baerbock sich in ihrer mündlichen Rede versprochen habe.
Dieses Vorgehen entspricht jedoch nicht den dpa-Standards. Ein direktes Zitat ist für Nachrichtenagenturen heilig. Im dpa-Handbuch heißt es dazu: „Auf keinen Fall dürfen inhaltliche Veränderungen bei vollständig wiedergegebenen Zitaten vorgenommen werden.“ Der Fehler wird derzeit intern aufgearbeitet.
Unseren Standards entsprochen hätte beispielsweise eine Aktualisierung der Meldung: Darin hätten wir transparent darauf hinweisen müssen, dass Baerbock in ihrer mündlichen Rede von „1,3 Milliarden Menschen in Europa“ sprach, im schriftlichen Redetext es aber „1,3 Milliarden Menschen in der OSZE-Region“ hieß.
Wir haben heute nun erneute Berichtigungen der beiden Meldungen gesendet. Darin dokumentieren wir im Wortlaut wieder das ursprüngliche Zitat inklusive des Fehlers und machen unseren Standards entsprechend den Ablauf transparent: „dpa hatte zunächst das Zitat korrigiert, ohne im Text deutlich zu machen, dass Baerbock in ihrer mündlichen Rede die fehlerhafte Angabe verwendet hatte.“
An dieser Stelle wäre also geklärt, auf wessen Kappe das verfälschte Zitat der Außenministerin geht.
Ein älterer Fall von Manipulation kommt noch einmal zur großen Aufmerksamkeit
Dann beschäftigten sich in dieser Woche die Nutzer der sozialen Medien, speziell aber auf X, sehr verstärkt mit einem bereits länger zurückliegenden Fall des ZDF, in dem offensichtlich manipuliert wurde, um eine gewünschte Wirkung zu erreichen.
In einem Streifen von Frontal 21 beschäftigt sich das ZDF 2021 mit Elon Musks Tesla-Werk im brandenburgischen Grünheide, und interviewte den Firmenchef dazu. In dem Beitrag ist zu sehen, wie er auf die Frage der ZDF-Reporterin nach der Wasserknappheit (für die das Tesla-Werk in Wirklichkeit nur eine minimale Rolle spielt) korrekterweise darauf hinweist, dass früher sehr viel Wasser der Region aus einem Braunkohletagebau abgepumpt wurde und heute fehlt, weil der Tagebau stillgelegt wurde. Außerdem meint er: „Wenn es hier kein Wasser gäbe, würden diese Bäume hier nicht wachsen. Ich meine, wir sind hier nicht in der Wüste.“ An dieser Stelle endet der O-Ton Musks im Film. Stattdessen gibt es ein Kommentar aus dem Off: „Das war‘s mit den Mühen von Elon Musk, die Wassernöte der Brandenburger zu verstehen.“
Das war es eben noch nicht: in einem Video, aufgenommen mit einer anderen Kamera bei der gleichen Pressekonferenz in Grünheide, redet Musk weiter: Er spricht davon, dass das Tesla-Werk das von ihm genutzte Wasser recycelt, und sagt am Ende: wenn jemand einen Hinweis habe, was Tesla verbessern könnte, solle er sich melden.
Diese Passage passte den Filmemachern ganz offensichtlich nicht in ihr Konzept, Musk als Umweltfrevler zu porträtieren, der sich nicht um die Natur schert.
Damit nicht genug: die NDR-Sendung ZAPP brachte später einen Beitrag über das Making-of der ZDF-Reportage, in dem sich deren Macherin Manka Heise ausführlich selbst für ihre Professionalität und Neutralität loben durfte.
Dass ihr Team den Schnitt an einer bestimmten Stelle und damit Musks Aussagen in eine ihr genehme Richtung manipulierte: darauf geht der NDR mit keinem Wort ein.
Einer Grünen-Politikerin hilft der Sender, öffentlich besser dazustehen, als sie es verdient – einen zum Erzfeind gestempelten Unternehmer taucht die Anstalt ebenso manipulativ in ein schlechtes Licht. Und natürlich wünscht sich das ZDF für 2025 vor allem eins: Eine Erhöhung der Rundfunkgebühren, beziehungsweise: Demokratieabgabe.