Tichys Einblick
Aufklärung der Skandale dümpelt vor sich hin

Cum-Ex-Aufarbeitung: Kanzler Olaf Scholz nach wie vor mitten drin

Am 6. Dezember muss Olaf Scholz zum dritten Mal vor den Untersuchungsausschuss zum Cum-Ex-Skandal. Doch die Aufarbeitung stockt, es droht die Einstellung von Verfahren – ein fatales Signal an die Öffentlichkeit, das dem Vertrauen in den Rechtsstaat massiv schaden würde.

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Markus Schreiber

Dem deutschen Fiskus ist durch Cum-Ex- und Cum-Cum-Betrügereien ein Schaden von mindestens 30 Milliarden Euro entstanden. Seit 2013 kümmert sich die Staatsanwaltschaft Köln um die Aufarbeitung. Dort ermitteln mehr als 30 Staatsanwälte in 120 Cum-Ex-Verfahren gegen 1.700 Beschuldigte. Chefermittlerin war ab 2013 Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker; diese warf ihren Job im April 2024 spektakulär hin.

Schweigekartelle und Erinnerungslücken
Cum-Ex-Skandal: Es ist etwas faul im Stadtstaat Hamburg
Warum „Köln“? Weil sich die Hamburger Staatsanwaltschaft zierte, dezidiert zu ermitteln. Weisungsberechtigt für die Hamburger Staatsanwaltschaft war von 2011 bis 2015 Justizsenatorin Jana Schiedek (SPD), von 2015 bis 2018 Justizsenator Till Steffen (Grüne). Beide waren Justizsenatoren unter dem von 2011 bis 2018 regierenden Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz (SPD).

Die Hamburger Bürgerschaft hat Ende 2020 einen Untersuchungsausschuss zur Cum-Ex- und Banken-Affäre eingerichtet. Am 6. November 2020 konstituierte sich dieser Ausschuss. Seither hat er 64-mal getagt. Am 6. Dezember 2024 nun tagt er zum 65. Mal. Diesmal soll es um Cum-Ex-Geschäfte der vormaligen HSH Nordbank gehen.

Diese war bis Anfang 2018 die gemeinsame Landesbank von Hamburg und Schleswig-Holstein. Aussagen sollen bei der 65. Sitzung am 6. Dezember: Bundeskanzler Scholz (SPD) als vormaliger Erster Hamburger Bürgermeister, Hamburgs amtierender Erster Bürgermeister Tschentscher (SPD; zu Scholz’ Bürgermeisterzeiten Finanzsenator) und der frühere Ministerpräsident Schleswig-Holsteins, Peter Harry Carstensen (CDU). Mal schauen, wie viel Erinnerungslücken hier wieder zu Tage gefördert werden.

Nur Bruchteil der 30 Milliarden zurückgeholt
Cum-Ex und Cum-Cum: Nach wie vor viel Nebel um den Skandal
Apropos Erinnerungslücken: Der damalige Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz führte 2016 und 2017 nachweislich mehrere Gespräche mit Christian Olearius (bis 2019 Warburg-Aufsichtsratsvorsitzender). Scholz kann/will sich an den Inhalt der Gespräche nicht erinnern. Das bekräftigte er zweimal im Hamburger Untersuchungsausschuss, und zwar im April 2021 (damals noch als Bundesfinanzminister) und im August 2022 (mittlerweile als Bundeskanzler).

Erst als später durch die Tagebuchaufzeichnungen von Olearius, in der minutiös alle Termine des Bankers verzeichnet waren, zwei vertrauliche Treffen mit Scholz in seinem Amtszimmer im Hamburger Rathaus bekannt wurden, räumte er diese ein, wiederum allerdings ohne sich an die Gesprächsinhalte erinnern zu können oder zu wollen.

Erneut Schonzeit für Steuerhinterzieher

Das „Handelsblatt“ berichtet am 5. Dezember unter der Überschrift „Schonzeit für Steuerhinterzieher“: Die Aufklärung im Cum-Ex-Skandal kommt nicht voran, seitdem die Kölner Oberstaatsanwältin Brorhilker im April 2024 um ihre Entlassung gebeten hatte.

Bananen-Republik-Deutschland
Skandale um Warburg-Bank und Cum-Ex-Geschäfte verlaufen im Sand
Seither gibt es nicht eine einzige neue Anklage. NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) hatte nach Brorhilkers Abschied erklärt, die Aufklärung sei weiterhin sichergestellt. Limbach sagte, es sei ihm „ein persönliches Anliegen, dass die Drahtzieher krimineller Cum-Ex-Geschäfte bestraft werden“. Der Präsident des Landgerichts Bonn, Stefan Weismann, fürchtet nun, dass es „aus Gründen der Verfahrensökonomie schon bald vermehrt zu Einstellungen“ kommen werde. „Aus meiner Sicht wäre das rechtsstaatlich sehr problematisch“, sagte Weismann. „Dies würde das Vertrauen in die Justiz deutlich erschüttern.“ Brorhilker hatte seit 2019 insgesamt 15 Anklagen vor das Landgericht Bonn gebracht, keine endete mit einem Freispruch. 2024 gab sie entnervt auf, nachdem Justizminister Limbach versucht hatte, ihr rund die Hälfte der Cum-Ex-Fälle wegzunehmen.

Nicht mit einem Freispruch, sondern mit der Einstellung des Verfahrens aus Alters- und Gesundheitsgründen war vor der 13. Großen Strafkammer des Bonner Landgerichts das Cum-Ex-Strafverfahren gegen den vormaligen Co-Chef der Hamburger Warburg-Bank, Christian Olearius (82), zu Ende gegangen. Der vormalige Co-Chef der Hamburger Warburg-Bank Christian Olearius könne nun dem seit 18. September 2023 laufenden Prozess aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr folgen. Die Ankläger hatten Olearius in 14 Fällen zwischen 2006 und Ende 2019 Planung und Durchführung von Steuerhinterziehung vorgeworfen.

Neuer Druck auf Scholz – und schon wieder neue Ausreden

Am 4. Dezember berichtete der „Stern“ im Vorfeld der 65. Sitzung des Hamburger Untersuchungsausschusses vom 6. Dezember: „Olaf Scholz gerät unter Druck wegen bislang unbekannter Cum-Cum-Geschäfte.“ Hier geht es um einen Schaden von 275 Millionen Euro durch Cum-Cum-Deals der ehemaligen HSH Nordbank in den Jahren 2003 bis 2012.

Also doch: BRD = Bananenrepublik Deutschland?
Ex-Cum-Ex-Chefermittlerin erhebt schwere Vorwürfe gegen Banken, Anwälte und Behörden
Der Hamburger Finanzverwaltung wurden – nach Recherchen des Magazins – die Cum-Cum-Geschäfte der Bank spätestens im Jahr 2017 offengelegt. Trotzdem forderte sie das Geld bis heute laut den Akten nicht zurück. Beides – die Geschäfte sowie der Verzicht Hamburgs auf eine Rückforderung – war bisher nicht öffentlich bekannt. Diese Deals und ihre Aufarbeitung fallen zum Teil in die Amtszeit von Olaf Scholz als Hamburger Bürgermeister.

Sein Nachfolger Tschentscher war damals Scholz’ Finanzsenator. Das Bundeskanzleramt antwortete auf Anfrage des „Stern“, dass man sich grundsätzlich nicht zu Vorgängen außerhalb des Bundeskanzleramts äußere. Peter Tschentscher und die Hamburger Finanzbehörde verwiesen bezüglich des Falls auf das Steuergeheimnis. Die Nachfolgebank der HSH Nordbank, HCOB, teilte mit, dass eine Betriebsprüfung zu dem Ergebnis führte, „dass die damaligen Steueranrechnungen nicht zu beanstanden sind. Es gab und gibt keinen Berichtigungsbedarf.“

Das lässt erwarten: Die kleinen Steuersünder hängt man, und die großen samt ihren Duldern lässt man laufen.

Die mobile Version verlassen