Am Samstag war wieder Merkel-Tag. Neun Jahre und etwas nach der fatalen Entscheidung zur Grenzöffnung zeichnet sich dieselbe noch immer wöchentlich im Leben der Republik ab. Mit großer Überraschung haben auch Experten den Vormarsch dschihadistischer Kämpfer auf das nordsyrische Aleppo kommentiert. Teile der Stadt wurden angeblich von dem Milizen-Bündnis Haiʾat Tahrir asch-Scham (HTS, wörtlich „Komitee zur Befreiung der Levante“) eingenommen. Daneben setzte das „Befreiungskomitee“ seinen Vormarsch auch in der südöstlich anliegenden Provinz Hama fort. Das ist der Weg nach Damaskus, auch wenn die Hauptstadt mehr als 300 Kilometer entfernt ist.
Eine solche Entwicklung hatte offenbar niemand auf dem Schirm. Der syrische Bürgerkrieg ist seit vielen Jahren eingefroren. Größere Bewegungen ergaben sich praktisch nur durch das Agieren Erdogans an der Südgrenze der Türkei, vor allem durch die Errichtung angeblicher „Schutzzonen“, in denen der türkische Präsident sogar syrische Flüchtlinge aus der Türkei ansiedeln wollte. Das gelang bisher kaum. Nun hat sich wieder etwas getan, und wiederum ganz in der Nähe der türkischen Grenze. Schon lange wird vermutet, dass Erdogan dschihadistischen Gruppen im Nordwesten Syriens Hilfen und Unterstützung gewährt.
Humanitär Bewegte weisen auf die heikle Situation der Bevölkerung in der zweitgrößten Stadt des Landes hin. Schätzungen zufolge leben in Aleppo nach Einbußen durch Krieg und Migrationsbewegungen wieder 2,1 Millionen Einwohner. Vor Ausbruch des Bürgerkriegs lag die Bevölkerung bei 2,3 Millionen. Früher waren geschätzt zwölf Prozent der Einwohner Christen, die in mehreren Stadtvierteln die Mehrheit stellten. Es sind Syrisch-Orthodoxe und Armenier, daneben Griechisch-Orthodoxe, Melkiten, Maroniten, Chaldäer, auch Katholiken und Protestanten. Inzwischen dürfte ihre Zahl auf weniger als die Hälfte geschrumpft sein.
Neueste Häutung radikaler Gruppen
Der Kern des „Befreiungskomitees“ Haiʾat Tahrir asch-Scham (kurz HTS) ist die alte, dschihadistisch-salafistische Al-Nusra-Front, die sich sowohl gegen Assad als auch gegen die säkulare Opposition wandte. Außerdem wurde schon 2012 bekannt, dass die Nusra-Front die in Syrien lebenden Christen vertreiben wollte und diese teils gezielt umbrachte. In dieser Zeit bekannte sich die Nusra-Front noch offen zu Al-Qaida. Später sagte sie sich von der Terrorgruppe los, auch um verschiedene Dschihadistengruppen besser im Kampf gegen Säkulare und andere zu vereinen. 2013 hatte die Al-Nusra-Front schon einmal Aleppo eingenommen und den radikalen Islam als Spieler an den syrischen Tisch gesetzt. Das HTS-Komitee ist nur die neueste Häutung dieser radikalen Terror-Gruppen.
Der erste Auftritt der Eroberer von Aleppo ließ denn auch keinen Zweifel an ihrem Charakter: Waffen und Fahnen schwenkend, radikale Parolen rezitierend, mit erhobenem Zeigefinger gaben sie sich als Dschihadisten und radikale Muslime zu erkennen.
Hat Erdogans Türkei die Finger im Spiel?
Vieles spricht dafür, dass auch der neue Vormarsch dieser „Islamisten“ sich der Beihilfe der Türkei verdankt, die so einen Nadelstich in die Front der Russland-Unterstützer setzt. Laut offizieller Sprachregelung „duldet“ die Türkei das HTS-Milizenbündnis. In Reaktion auf die Eroberung haben syrische und russische Luftschläge auf Idlib und Aleppo begonnen. Die Aufmerksamkeit der Assad-Allierten in Moskau und Teheran ist damit für den Moment auf die nordwestliche Ecke Syriens gerichtet. Die iranische Führung hat laut der kritischen Nachrichten-Website Iran international Schwierigkeiten dabei, die „Rückschläge für seinen syrischen Verbündeten“ anzusprechen und einzuordnen.
„Wir machen keinen Unterschied zwischen dem zionistischen Regime und den Takfiri-Terroristen“, sagte Außenminister Abbas Araghchi bei einem Besuch in Teheran. „Takfiri“ ist der islamische Begriff für Ketzer oder Apostaten vom rechten Glauben, wozu aus schiitischer Sicht auch die sunnitischen Dschihadisten zählen. Weiter sagte der iranische Außenminister: „Die Takfiri-Terroristen stehen jetzt an der Seite Amerikas.“ Araghchi gab sich aber optimistisch, dass die syrische Armee auch diese Herausforderung durch „terroristische Gruppen“ bestehen werde. Kommt jetzt der sunnitisch-schiitische Bürgerkrieg?
Zunächst könnte der neu entstehende Weltkrieg in Syrien sein nächstes Opfer finden. Fiele Assad, wie es einige durchaus kritische Geister schon an die Wand malen, wäre das Land Syrien von neuem und zur Gänze destabilisiert. Das wäre schlecht für Russland und den Iran – aber auch für die EU und Deutschland. Die Tore der Migration stünden erneut offen. Eine neue Flüchtlings- und Migrationswelle würde drohen.
In Düsseldorf wird der Dschihadisten-Sieg gefeiert
Groß ist also das Erstaunen und das Erschrecken. Doch in Düsseldorf scheint der Sieg der „Islamisten“ ein Anlass zur Freude zu sein. Dutzende oder gar hunderte Demonstranten zogen am Samstag durch die Straßen der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt.
Sogar das Gesicht getöteter IS-Kämpfer wurde laut Kennern wie dem Exil-Syrer Manaf Hassan auf Flaggen geschwenkt. Daneben seien Flaggen der Faruq-Brigaden zu sehen gewesen, die für die Vertreibung von Christen – etwa gegen Syrisch-Orthodoxe in Homs – verantwortlich seien. Das wurde von den Brigaden zwar bestritten. Dass es aber in der dschihadistischen Logik liegt, ist kaum zu bestreiten und durch den christlichen Exodus aus dem Nahen Osten gut belegt.
Für Deutschland allgemein und Nordrhein-Westfalen im Speziellen sind das ungute Nachrichten. Es erweist sich, was lange von vielen vorausgesagt worden war, aber von der Politik nicht anerkannt und umgesetzt wurde: Die unterschiedslose Aufnahme „syrischer Flüchtlinge“, egal wie gut ihre „Fluchtgeschichte“ war, hatte unvermeidbar zur Folge, dass auch zahllose Sympathisanten radikaler Dschihadisten in Deutschland aufgenommen wurden. Hinzu kommen jene Zuwanderer, die sich erst im deutschen Exil radikalisiert haben und heute mehr oder weniger deutlich gegen die Institutionen Front machen.
Diese Ablehnung unseres Staates hat nur ihre extremste Ausformung im Terrorismus, beginnt aber viel früher. Das wird inzwischen auch von immer mehr Institutionen begriffen, etwa wenn die Polizei von der Vielzahl von Clan-Straftaten in NRW berichtet oder vor Keine-Juden-Zonen in Berlin warnt. Die allgemeine Stimmung hat sich seit dem Solinger IS-Attentat mit seinen drei Toten verändert. Aber der schwarz-grünen Regierung in Düsseldorf ist noch immer kaum eine entschiedene und schnelle Reaktion zuzutrauen. Etwa auch die, den Demonstranten mitzuteilen, dass sie in Idlib und Aleppo „Schutz“ suchen können, wenn ihnen eine solche Eroberung gefällt.