Zwei Jahre Untersuchungshaft und ein Monsterprozess an drei verschiedenen Gerichtsstandorten unter höchsten und aufwendigsten Sicherheitstandards – wie gefährdet war Deutschland durch den Reichsbürgerputsch? Innenministerin Nancy Faeser sparte nicht mit großen Worten sondern von einem »Abgrund terroristischer Bedrohung«. »Die heute aufgedeckte mutmaßliche terroristische Vereinigung ist – nach dem Stand der Ermittlungen – von gewaltsamen Umsturzfantasien und Verschwörungsideologien getrieben«, sagte Faeser. Erst die weiteren Ermittlungen würden ein klares Bild ergeben, wie weit die Umsturzpläne schon gediehen waren, so die Ministerin. Faeser dankte den beteiligten Einsatzkräften für ihren »gefährlichen Einsatz zum Schutz unserer Demokratie«. Nach Kenntnis der Anklage und Beteiligten spottete TE damals über einen „Operettenputsch“ oder wegen des hohen Alters der Rädelsführer von einem „Rollator-Putsch“.
Die Anklage der Bundesanwaltschaft lautet auf Hochverrat und Gründung einer terroristischen Vereinigung. Der Prozess ist rekordverdächtig. Die Akten haben einen Umfang von etwa 900.000 Seiten. Neu ist, dass an drei Orten verhandelt wird, wobei – laut Strafprozessordnung – eigentlich jede Anklage nur an einem Ort verhandelt werden dürfte. Diese Dreiteilung wirft schwierige juristische Fragen auf und stellt die Verteidigung in Frage.
Denn Verhandlungen vor einem deutschen Landgericht oder Oberlandesgericht werden nicht protokolliert. Vorstellbar ist, dass ein Beklagter an einem Verhandlungsort belastet würde, der nicht sein Verhandlungsort ist. Er wäre also ohne Möglichkeit, sich verteidigen zu können. Wer informiert die Anwälte über die jeweiligen anderen Prozesse, wenn kein Protokoll vorliegt? In Frankfurt ist vorgesehen, dass der Generalbundesanwalt das Gericht informiert. Natürlich halten die Rechtsanwälten der Angeklagten das für nicht ausreichend. Ist die Aussage oder Einlassung eines Angeklagten an einem Standort für die anderen Verfahren wichtig, müsste dieser zum Verfahren an einen anderen Ort vorgeladen werden. Dort wäre er aber nicht mehr Angeklagter sondern Zeuge. Als Angeklagter könnte er lügen, als Zeuge darf er das nicht. Was, wenn ein Richter aus einem Verfahren, Zeuge in einem anderen wäre?
Die Dreiteilung entstand, da die Bundesanwaltschaft die Beklagten einem militärischen, einem politischen und einem esoterischen Arm zurechnet. Der von der Bundesanwaltschaft so bezeichneten militärischen Arm besteht aus ehemaligen Soldaten der Bundeswehr und ihrer Sondereinheit KSK. Hier sollen Waffen für einen möglichen Umsturz in großen Mengen gefunden worden sein. In einer Waffenliste der Bundesanwaltschaft, die sich bei den Akten befindet, sind solche Waffen aber nicht aufgeführt. Diesem Arm wird die Absicht unterstellt, flächendeckend sogenannte bewaffnete „Heimatschutzkompanien“ aufstellen zu wollen. Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen vor, dass diese nach dem von einer “Allianz” durchgeführten Aufstand für Sicherheit sorgen sollten.
Der Gruppe um Prinz Reuss deren Prozess in Frankfurt stattfindet, wirft die Anklage vor, eine Art Regierung zusammengestellt zu haben.
Der politische Arm, so die Anklage, sollte nach dem Putsch einer “Allianz” die Regierungsgeschäfte übernehmen. Schnell wurde jedoch klar, dass die unterschiedlichen Gruppen vollkommen eigenständig handelten und sehr unterschiedliche Interessen verfolgten. Eine straffe Führung gab es nicht.
Hier gleitet das Geschehen aber ins Phantastische ab: Um Prinz Reuss versammelte sich ein operettenhafter Hofstaat mit Hofastrologin und Leibkoch. In seiner Jagdkammer wurden eine mittelalterliche Armbrust ohne Pfeile und ein stumpfer Degen gefunden. Ausserdem wurde zunächst Gold des Prinzen in der Schweiz sichergestellt (Spiegel vom 27.2.23). Nach Intervention des Anwalts von Prinz Reuss wurde es aber wieder freigegeben, denn es war legal erworben und unbestritten sein Eigentum. Doch der Schlüssel zum Goldschatz könnte auch der Schlüssel zum Prozess sein.
Dreht sich beim Reichsbürgerputsch also möglicherweise mehr um Gold, Geld und Betrug als um Hochverrat und terroristische Vereinigung?
Und wie gerechtfertigt ist dann noch der Rückgriff auf die Gesetze aus dem Terrorzeitalter der RAF?
“Dabei geht es maßgeblich um den RAF-Paragraphen im Strafgesetzbuch. Dieser „Paragraf 129a StGB ist Bestandteil eines Gesetzesbündels, das von Kritikern als Lex RAF bezeichnet wird, also als Gesetzesbündel, das mit besonderem Bezug auf die Rote Armee Fraktion/ RAF erlassen worden war”.
So beginnt ein Auszug aus einem Text der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung. Weiter geht es wie folgt:
“Um 1970 gegründet, verstand sich die RAF als antiimperialistische, kommunistische Stadtguerilla, die den „internationalen Befreiungskampf“, vieler Länder der Dritten Welt in die Bundesrepublik tragen wollte. Bis 1998, dem Jahr ihrer Auflösung, ermordete die RAF 34 Menschen.
Nach seiner Einführung 1976 sorgte der Paragraf 129a StGB für erhebliche Auseinandersetzungen in der Öffentlichkeit, weil es nunmehr möglich war, auch solche Personen strafrechtlich zu belangen, die sich nach den bis dahin gültigen Kriterien des Strafgesetzbuches nichts Zuschulden kommen lassen hatten, denn Paragraf 129a StGB bestraft ausdrücklich bereits die Mitgliedschaft in terroristischen Vereinigungen, ihre Unterstützung oder Anwerbetätigkeiten für sie.
Strafrechtlich relevant werden also bereits Versuche, Personen zu werben, die den Mitgliedern terroristischer Vereinigungen Unterstützung gewähren, etwa indem sie ihnen Übernachtungsmöglichkeiten bieten. Neben dem Paragraf 129a StGB zählen eine Reihe an Veränderungen der Strafprozessordnung zur Lex RAF, die der Gesetzgeber um 1974 in Vorbereitung der ersten Prozesse gegen Mitglieder der RAF vornahm”. Soweit die soweit unverdächtige Landeszentrale.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass die tatsächliche Möglichkeit der Begehung von Straftaten nicht zwingend erforderlich ist, um den Tatbestand des § 129a StGB zu erfüllen. Es genügt, dass die Vereinigung als solche strukturell in der Lage ist, erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit darzustellen, indem sie über einen verfestigten Willen zur Begehung entsprechender Straftaten verfügt.
Entsprechend dieser Logik zielt § 129a StGB auf die präventive Zerschlagung gefährlicher Strukturen ab. Also noch bevor konkrete Taten begangen werden könnten und unabhängig davon, ob überhaupt die materiell-technische Möglichkeit besteht, diese Straftaten tatsächlich zu begehen.
Kritik übt auch Amensty International. Allerdings nicht grundsätzlich, sondern nur bei der Auswahl der Angeklagten. Nach Ansicht von Amnesty International ist es beispielsweise falsch “Klimaschützer” und Mitgliedern der “Letzten Generation” unter diesen Paragraphen anzuklagen.
Um die Möglichkeiten dieses Gesetztes zu verdeutlichen, hier ein, zugegebener Weise, extremes Beispiel.
Würden Einer oder Mehrere behaupten, er oder sie könnten die Sonne auf die Erde stürzen lassen, und verabreden, dass sie, nachdem sie die Sonne auf die Erde haben stürzen lassen und dadurch die Hälfte der Menschheit getötet hätten, die Kontrolle über die Welt ausüben würden, könnte man sie auf Grund dieses Gesetzes anklagen.
Ob sie dies tatsächlich könnten, ist, wie oben ausgeführt, nicht von Belang.
Im Falle Reuss haben nun mehrer Beklagte, die von der Bundesanwaltschaft dem militärischen Arm zugerechnent werden, im langatmigen Ermittlungsverfahren und/oder in den jeweiligen Prozessen in München, Stuttgart und Frankfurt ausgesagt, dass sie erhebliche finanzielle Zuwendungen von sogenannten Ratsmitgliedern, also dem politischen Arm der Angeklagten erhalten hätten.
Diese Allianz, die, so ihre Erzählung, über eine Million von bereits in Europa stationierten Kämpfern verfügen sollte und mit deren Offizieren sie im Kontakt stünden, würde nach dem erfolgreichen Kampf dem politischen Arm die Macht übergeben. Ausserdem hatten die Mitglieder des militärischen Arms genaue Kenntnisse der “Dumbs”, unterirdischer Stollen, in denen Kinder gefangen gehalten, gefoltert und getötet würden. Diese Mitglieder behaupteten gegenüber den Mitgliedern des sogenannten politischen Arms weiter, dass sie sogar dort bereits gekämpft hätten. Aus dem Blut der Kinder sollten eine Art Lebenselixier gebraut werden. Auch hier flossen erhebliche Geldmittel; in der Anklageschrift ist von einem höheren fünfstelligen Betrag die Rede. Wer diese Zusammenhänge liest, die in breit ausgewalzt wurden, beginnt am Verstand der Beteiligten zu zweifeln.
All diese Aussagen sind nun denkgesetzlich unwahr und somit gelogen. Sie waren aber Grundlage dafür, die Mitglieder des sogenannten politischen Arms zu erheblichen Zahlungen zu bewegen. Empfänger dieser Zahlungen waren Angeklagte, die von der Bundesanwaltschaft dem militärischen Arm zugerechnet werden, sowie einige, die von den Staatsanwälten ebenso als Teile des sogenannten esoterischen Arms bezeichnet werden.
Wer aber lügt, um an das Geld anderer Leute zu kommen, den nennt das Gesetz einen Betrüger.
Der politische Arm, jedenfalls die zahlenden Mitglieder mitsamt dem Rädelsführer, sind mithin die Betrogenen. Kann nun ein Betrogener zugleich Rädelsführer sein?
Denkt man dies alles nun zu Ende, wird klar, dass der angebliche Rädelsführer, Betrogener ist. Wer aber Betrogener ist, kann nicht zeitgleich Rädelsführer sein.
Der Reichsbürgerprozess wird damit zur Gerichts-Posse.
Thomas Punzmann ist Galerist in Frankfurt am Main.