Tichys Einblick
Selbstverschuldete Struktur-Krise

Sanierungsfall VW? – Turbulenzen in Wolfsburg als Chance

Trotz Krise droht VW keine Insolvenz. Der Konzern kann die Sanierung aus eigener Kraft schaffen, noch ist genug Geld im Topf, noch werden jährlich fast 10 Millionen Verbrenner-Autos verkauft. Aber eines muss allen klar sein: Ohne „Blut, Schweiß und Tränen“ bei Belegschaften wie Eigentümern wird es nicht gehen.

picture alliance / ZUMAPRESS.com | Tobias Schwarz

Vorweg, Winston Churchill zu Ehren, der am 30. November 150 Jahre alt geworden wäre, folgendes, ihm zugeschriebene Zitat: „Ein Pessimist sieht eine Schwierigkeit in jeder Gelegenheit, ein Optimist sieht eine Gelegenheit in jeder Schwierigkeit.“ Und für Personen in besonders angespannten Situationen hat er auch etwas auf Lager: „Niemals, niemals, niemals aufgeben!“ Er könnte damit VW-CEO Oliver Blume gemeint haben. Denn die deutsche Autoindustrie, Hersteller wie Zulieferer, steckt in großen Schwierigkeiten – ohne Frage: Von Audi bis Volkswagen, von Bosch bis ZF, schon folgen die nächsten Stufen wie Thyssen usw. Und VW mit in vorderster Reihe.

Das Besondere an dieser „Krise“ der Autoindustrie ist, dass sie nicht konjunkturell, das heißt durch sinkende Nachfrage und eine Schwäche des Weltautomobilmarktes verursacht ist, sondern strukturelle, spezifisch deutsche Züge trägt. Verursacht zum Teil durch die gern vorgeschobenen deutschen Standortschwächen, die es ja unabweisbar zuhauf gibt, zum großen Teil durch „grüne“ Transformations- und Klimapolitik. Zum größten Teil aber von den deutschen Autoherstellern selber verursacht als Folge strategischer Fehlentscheidungen, vor allem getroffen in den Jahren des Verbrenner-Aus der Ampel-Regierung, aber auch schon in den Jahrzehnten zuvor.

An der Spitze der „Krise“ marschiert der Volkswagen-Konzern, darunter vor allem die Marke Volkswagen selber, danach kommen Audi und Porsche. Ford-Köln nimmt in diesem deutschen Negativ-Reigen eine Sonderrolle ein, die der Mutterkonzern in Dearborne (USA) beim Niedergang dieses traditionsreichen Autobauers spielt, an deren Ende der völlige Rückzug vom europäischen Markt nach dem Vorbild von General Motors steht.

Auf die aktuellen Schwierigkeiten des VW-Konzerns angewendet heißt die Frage: Ist der VW-Konzern ein Sanierungsfall oder nicht? Konkret: Bieten die aktuellen Turbulenzen in Wolfsburg neben all dem Elend, das auf die VW-Beschäftigten nach Jahren des Wohllebens zukommt, nicht auch eine große Chance zur Festigung des Konzerns im Wettbewerb via Durchsetzung überfälliger Strukturreformen? Gehört der Autogigant dringend „auf den Zauberberg“ – langjährige Kenner des Innenlebens des Konzerns würden sagen „in die Anstalt“ –, um dann nach zwei Jahren als genesen und putzmunter entlassen zu werden?

Die Grundsatzfrage lautet: Wann ist ein Konzern sanierungsbedürftig, wann liegt ein Sanierungsfall vor? Folgt man der Definition des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. (IWD), so liegt nach deren Wirtschaftsprüfer-Systematik des IWD-Standard 6 ein Sanierungsfall genau dann vor, wenn für das Unternehmen Insolvenzgefahr im Sinne von Zahlungsunfähigkeit besteht. Dazu sollte zuvor in einem Gutachten bestätigt werden, dass das Unternehmen sanierungsbedürftig ist.

Im konkreten Fall Volkswagen ist das Urteil aus der laienhaften Sicht eines Ökonomen ambivalent. Denn danach

Zunächst zur Frage der Insolvenz. Die Automobilgeschichte ist voll von insolventen Autounternehmen, die entweder ganz vom Markt verschwunden sind wie Borgward, Britisch Leyland, Glas, Simca, Talbot etc, oder die als Marken von größeren Automobilkonzernen übernommen wurden, wie Alfa Romeo, Audi, Bentley, Chrysler, Fiat, Lancia, Lamborghini, Rover, RollsRoyce, Mini Cooper, Saab, Seat. Skoda, Volvo etc. Daraus wurden dann Viel-Marken-Konzerne wie Stellantis oder eben Volkswagen.

Fakt ist auch, dass der Volkswagen-Konzern in den vergangenen Jahrzehnten viel Geld verbrannt hat, wie beispielsweise fast 40 Milliarden Euro über alles als Strafzahlungen für den Diesel-Skandal, oder für verlustreiche Unternehmensbeteiligungen wie Rivian oder Übernahmen wie den Motorradhersteller Ducati, oder für interne Strukturerweiterungen wie in das Software-House Cariad oder in das „fancy car“ Bugatti.

Alle diese Aufwendungen und Investitionen blieben ohne rentable Mittelrückflüsse. Sie haben den VW-Konzern Milliarden gekostet, ohne ihn aber aus der Bahn zu werfen. Normale Unternehmen hätten das nicht gestemmt. Anders die Volkswagen AG: Am 4. Juni 2024 schüttete die Volkswagen AG für das Geschäftsjahr 2023 insgesamt 4,5 Milliarden Euro an seine Aktionäre aus.

Die schlechte Ertrags- und Gewinnentwicklung und die mickrigen Geschäftszahlen im Herbst 2024 der Stammmarke Volkswagen und von Audi und Porsche haben zwar die spektakuläre Krise am Mittellandkanal ausgelöst, werfen den Konzern finanziell aber nicht aus der Bahn:

Für das laufende Geschäftsjahr hat der Volkswagen-Konzern seine Prognosen bereits angepasst: Ziel sind nun rund neun Millionen ausgelieferte Fahrzeuge (-240.000 gegenüber 2023) und ein Konzernumsatz von etwa 320 Milliarden Euro (-2,3 Milliarden gegenüber 2023.) Der operative Gewinn soll bis Ende des Jahres bei 18 Milliarden Euro liegen.

Um jedem Missverständnis vorzubeugen: Volkswagen ist nicht insolvent, vulgo: pleite. Rein formal gesehen ist der deutsche Autochampion von der Aller kein Sanierungsfall, dennoch ist er faktisch unter realen, strategischen Kriterien sanierungsbedürftig.

Legt man den Anforderungskatalog IWD-Standard 6. zugrunde, handelt es sich bei VW eindeutig um einen Sanierungsfall. Dort heißt es: „(Um die Frage) nach der Sanierungsbedürftigkeit präzise zu beantworten, muss im IWD S6-Gutachten das Krisenstadium (des) Unternehmens präzise erfasst werden. Handelt es sich nur um einen akuten Liquiditätsbedarf oder liegt eine strukturelle Ertragsschwäche vor? Ist die strategische Ausrichtung (des) Unternehmens marktgerecht? Wie kommen in (dem) Unternehmen wesentliche Entscheidungen zustande? Welche Interessen verfolgen die Gesellschafter? Welche Stakeholder-Interessen prägen das Unternehmen? Gibt es Differenzen zwischen Gesellschaftern und Unternehmensführung oder zwischen der Unternehmensführung und den Mitarbeitern bzw. den Mitarbeitervertretern? Welche Spannungen begründen diese Differenzen?“

Vor dem Hintergrund des vom VW-Vorstand im September 2024 vorgelegten einschneidenden Konzeptes zur konzernweiten Kostensenkung, das im Wesentlichen vorsieht:

dürften die Kriterien des IWD-Standard 6 real-ökonomisch umfänglich erfüllt sein. Danach ist VW zweifellos ein Sanierungsfall.

VW ist Ende 2024 eine Sammlung von Großbaustellen, der Konzern ist in einer, zugegeben, selbstverschuldeten, schweren Struktur-Krise. Aber: Bei droht VW droht keine Insolvenz, kein Gang zum Konkursrichter. Und im Gegensatz zum Sanierungsfall mangels Liquidität können CEO Oliver Blume nebst Stake-Holdern wie Share-Holdern und dem Land Niedersachen diese selbstverschuldete Krise gemeinsam aus eigener Kraft bewältigen. Dazu braucht es weder externe Sanierungsbeauftragte noch Ratschläge von Autoexperten von der Außenlinie. Vor allem helfen auch keine Schuldzuweisungen in die Vergangenheit weiter.

Gefragt ist Einsicht und guter Willen aller Beteiligten. Der VW-Konzern kann die Sanierung aus eigener Kraft schaffen, noch ist genügend „Geld im Topf“, noch werden jährlich fast 10 Millionen Verbrenner-Autos verkauft. Aber eines muss allen klar sein: Ohne „Blut, Schweiß und Tränen“ (Winston Churchill) bei Belegschaften wie Eigentümern wird die Sanierung nicht abgehen. Vor allem der Automobilstandort Deutschland wird nicht ohne Blessuren davonkommen.

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