Mehr als 2,5 Millionen Briten unterstützen die Petition, in der ein Privatmann mit schlichten Worten sofortige Neuwahlen für das Königreich fordert: „Ich hätte gerne noch einmal allgemeine Wahlen. Ich glaube, dass die derzeitige Labour-Regierung ihre Versprechen, die sie im Vorfeld der letzten Wahl gegeben hat, nicht eingehalten hat.“ Die Zahl der Unterzeichner steigt im Minutentakt um hunderte und tausende an.
Allgemein ist die Rede von „buyer’s remorse“, so kurz nach einer nationalen Wahl, die angeblich mit einem „Erdrutsch“ zugunsten von Labour ausging. Tatsächlich war nichts dergleichen geschehen: Labour hatte etwa so viele Stimmen (oder noch weniger) als in früheren Wahlen gewonnen, nur die Konservativen waren in der Versenkung verschwunden und mussten vielerorts die Hälfte ihrer Stimmen an die Reform-UK-Partei von Nigel Farage abgeben.
Ebenso haben sich die Umfragewerte von Labour und Konservativen wieder angenähert. Als Sunak regierte, schienen 15 bis 20 Prozentpunkte beide Parteien unabänderlich zu trennen, nun treffen sie sich wieder in der Mitte bei etwa 28 Prozent. Gleichzeitig legt aber Reform UK noch etwas zu und kann national bis zu 20 Prozent erzielen. Damit hätte sich die Farage-Partei als dritte Kraft vor Lib Dems und Grünen (rund zwölf und acht Prozent) etabliert.
Bauern fürchten die Transformation ihres Ackerlands
In dieser Stimmung erregt die besagte Petition Aufsehen – so sehr, dass auch eigentlich Ablehnende dazu Stellung nehmen und etwa schreiben, dass die Briten ja auch nicht per Petition über die Thronnachfolge entscheiden könnten. Das sehe die Monarchie nicht vor. Aber natürlich kann ein Parlament darüber diskutieren, dass eine unpopuläre Regierung abtreten und Neuwahlen ermöglichen sollte. Das gehört dann doch zu den bekannten Abläufen des demokratischen Rituals. Nigel Farage und andere Parlamentarier sind natürlich dafür, dass die Petition im Parlament besprochen wird, und das ist auch ab 100.000 Unterschriften möglich. Ab 10.000 Unterschriften muss die Regierung reagieren.
Ein weiteres Versprechen, das Labour sehr rasch brach: Im Wahlkampfprogramm hatte es geheißen, man wolle Migranten nicht mehr in Hotels unterbringen. Heute gibt es mehr Migranten in Hotels als am Wahltag, in Zahlen 30.000 bei Kosten von 4,2 Millionen Pfund (etwa fünf Millionen Euro) am Tag. Die Labour-Regierung hat in vier Monaten doppelt so viele Migrantenhotels angemietet, wie es schloss.
Dann ist da natürlich die Erbschaftssteuer für (oder besser: gegen) Bauern, die künftig ihr Land beim Vererben versteuern sollen. In vielen Fällen wird das, wie durchaus eingeräumt wird, dazu führen, dass die Erben einen Teil des Landes verkaufen müssen. Und, so wird auch angehängt, es gebe ja genügend Interessenten für das Land der Bauern. Die befürchten, dass bald Solarkollektoren und Windmühlen auf ihrem Land stehen und eine Wiederurbarmachung verhindern. Das ist Transformation live, wie man sie an Ort und Stelle erleben kann. Auch den Bauern hatte Labour anderes als diese Erbschaftssteuer versprochen. Die Bauern fürchten die Transformation ihres Ackerlands, aber ein solcher Vorgang sollte noch mehr und anderen Briten Sorgenfalten auf die Stirn treiben.
Labour-Obmann: Briten werden ihr Leben ändern müssen
Schaut man sich die Herkunft der Petitions-Unterzeichner auf einer Karte an, dann fällen die dunkelroten Gebiete im Norden Englands und allgemein abseits der Metropole London auf. Und es ist wohlgemerkt nicht nur eine Unzufriedenheit mit der neuen Labour-Regierung. Auch die vorangegangene Regierung der Konservativen hatte sich zuletzt als nicht geeignet erwiesen, die Probleme des Landes zu lösen, wie etwa das Ruanda-Desaster – neben vielem anderen – zeigte. Die Netto-Null-Ambitionen der Regierung Johnson sind noch in Erinnerung. Wie inzwischen klar ist und auch halbwegs offen zugegeben wird, bedeutet „Netto Null“ letztlich eine Verarmung breiter Schichten.
Bill Esterson, der Labour-Obmann im Energie-Ausschuss, meinte dazu, die Bürger müssten ihr Leben auf jeden Fall („absolutely“) ändern, um die Emissionsziele der Regierung für 2030 zu erreichen. Gegenüber dem Telegraph bestätigte Esterson: „Wir alle werden unser Leben ändern müssen, weil die Welt sich verändert, so wie wir es immer getan haben.“ Dieses Mal gehe es dabei eben um den Klimawandel und den „Übergang zu Netto Null“. Dabei hat Keir Starmer gerade bei der Klimakonferenz in Baku gesagt, er wollte den Briten nicht sagen, „wie sie ihr Leben zu leben haben“. Starmer beharrte in Baku darauf, dass das „sein Ziel“ und „dieser Plan sein Plan“ sei – nicht der von jemand anderem. Es ist sein Ziel, aber Ahnung vom Thema haben andere.
Genau genommen gibt es da noch eine feine Linie zwischen beiden Aussagen: Man könnte die Bürger auch durch sanftes Nudging – also Anreize und mediale Propaganda, aber nicht direkten Zwang – zum ‚richtigen‘ Handeln bringen. Aber so weit dürfte die Technik der unterschwelligen Beeinflussung noch nicht reichen. Eher schon wird man auch in Britannien den fruchtlosen Weg der vorgeschriebenen Wärmepumpe gehen und natürlich der E-Mobilität um angeblich jeden Preis. Auch das Stromnetz will Starmer gemäß den in Baku gemachten Zusagen „dekarbonisieren“. Bis 2035 will Starmer die britischen CO2-Emissionen um 81 Prozent verringern. Das könnte die nächste Rosskur für die britische Wirtschaft werden – vergleichbar mit dem, was in Deutschland schon passiert: Industrieabbau durch Stromteuerung. Das scheint für Britannien eine geringere Rolle zu spielen, aber ein Energiesystem, das nicht funktioniert, ist nirgendwo hilfreich.