Tichys Einblick
Entgegen des vermittelten Eindrucks

Billigmarken im Preis-Höhenflug: Gewinnt die Inflation erneut an Fahrt?

Viele Konsumenten waren aufgrund gestiegener Preise gezwungen, auf No-Name-Produkte und Eigenmarken auszuweichen. Doch die Preise genau dieser Produkte steigen aktuell rasant – auch wenn einem ein Rückgang der Teuerung vermittelt wird. Die Inflation ist noch lange nicht besiegt.

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Im Oktober 2022 erreichte die Inflationsrate mit 10,6 Prozent ihren höchsten Stand seit Bestehen der Eurozone – eine Folge der Corona-Politik, des Ukraine-Konflikts sowie wirtschafts- und energiepolitischer Fehlentscheidungen der vergangenen Jahre. Mittlerweile scheint sich die Teuerung weitgehend beruhigt zu haben, zumindest wenn man den offiziellen Zahlen Glauben schenkt.

Den jüngsten Daten zufolge fiel die Inflationsrate im Euroraum im September 2024 auf 1,7. Dies markiert den niedrigsten Stand seit September 2021 und liegt damit sogar unter dem von der Europäischen Zentralbank (EZB) angestrebten Zielwert von 2 Prozent. Diese Phase der Entspannung präsentierte sich jedoch nur von kurzer Dauer – wobei unterschlagen wird, dass auch 2 Prozent eine rapide Belastung darstellen. Dass sie als „Zielwert“ definiert wird macht die Sache nicht erträglicher sondern ist nur ein Beruhigungsmittel, dass Staatsmedien gerne verteilen.

Laut Angaben der EZB zeigt die Inflation im Euroraum seitdem wieder einen leichten Anstieg. Im Oktober 2024 erreichte die jährliche Inflationsrate 2,0 Prozent. Zu den Haupttreibern dieser Entwicklung gehörten neben Dienstleistungen und Industrieerzeugnissen erneut die Lebensmittelpreise. Besonders Preise von Eigenmarken und No-Name-Produkte belasten die Verbraucher zunehmend.

Eigenmarken stiegen überdurchschnittlich stark an

Schluss mit Lebensmittel-Teuerung? Nix da! Entgegen der allgemeinen Erwartung haben sich die Preise für No-Name-Produkte und Handelsmarken in den letzten Monaten überproportional verteuert, insbesondere im Vergleich zu Premium-Marken und anderen Konsumgütern. Zwischen Januar und August 2024 verzeichneten Handelsmarken einen Umsatzanstieg von über 16 Prozent, obwohl die Verkaufszahlen nur um 0,7 Prozent zulegten.

Einige markante Beispiele illustrieren die drastischen Preissteigerungen: Orangensaft aus Handelsmarken ist zum aktuellen Zeitpunkt um 169 Prozent teurer als noch Anfang 2022. Gemahlener Kaffee von „Ja“ oder „Gut & Günstig“ legte um 44 Prozent zu und No-Name-Schokolade verteuerte sich um rund 41 Prozent. Das zeigt eine Auswertung des Preisvergleichsportals Smhaggle, dass eine Analyse für das Handelsblatt bereitstellte.

Auch der Butterpreis erreichte in diesem Jahr ein neues Rekordhoch. Seit Oktober kostet ein 250-Gramm-Päckchen Deutsche Markenbutter einer Eigenmarke aktuell durchschnittlich 2,39 Euro – der höchste jemals in Deutschland verzeichnete Preis für Butter.

Diese beunruhigende Entwicklung wird unter dem Begriff „Cheapflation‟ zusammengefasst und trifft Deutschland besonders stark, da Discounter hierzulande einen hohen Marktanteil besitzen. Laut statista betrug der Marktanteil der Lebensmittel-Discounter im deutschen Einzelhandel im Jahr 2023 etwa 17,6 Prozent. Außerdem verzeichneten Discounter 2023 ein Umsatzwachstum von 6,9 Prozent auf 94,6 Milliarden Euro. Aber billig können sie längst nicht mehr.

Hohe Produktionskosten und Bürokratie– Auch Discounter stehen vor Herausforderungen

Lidl, Aldi, Netto und ähnliche Discounter scheinen die Sparmentalität der Verbraucher gezielt auszunutzen, um ihre Gewinne zu maximieren. Angesichts der anhaltend hohen Inflation griffen in den letzten Jahren immer mehr Konsumenten zu preiswerteren Alternativen wie Eigenmarken oder No-Name-Produkten. Doch was einst als günstige Wahl galt, hat sich still und heimlich in eine Kostenfalle verwandelt. Die Preisanstiege bei Eigenmarken erfolgten schleichend und blieben vielen Verbrauchern verborgen, die weiterhin darauf vertrauten, ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis zu erhalten.

Die Verantwortung für die rasanten Preissteigerungen allein den Discountern zuzuschreiben, ist jedoch nicht richtig. Steigende Produktionskosten durch teurere Rohstoffe, Verpackungsmaterialien und exorbitante Energiepreise setzen die Unternehmen unter Druck. Vor allem in Deutschland verschärften in den letzten Jahren staatliche Abgaben wie die EEG-Umlage die finanzielle Belastung zusätzlich.

Die Kostenexplosionen, unter denen Supermärkte und Händler leiden, werden letztlich an die Verbraucher weitergegeben. Auch die steuerliche Situation für Einzelhändler lässt wenig Spielraum. Ein komplizierter Mix aus Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer, Umsatzsteuer und Einkommensteuer schnürt ein kostspieliges Paket, das deutschen Händlern kaum Luft lässt.

Ein oft übersehener Aspekt ist zudem die geringe Gewinnmarge bei Eigenmarken. Während Premium-Produkte Margen von bis zu 15 Prozent erzielen können, liegt diese bei Handelsmarken oft nur bei 5 Prozent. Dieser knappe Spielraum macht es für Discounter nahezu unmöglich, die steigenden Kosten abzufedern, ohne die Preise für Eigenmarken ebenfalls zu erhöhen.

Preisdruck der Discounter schlägt im Mittelstand hart ein

Zugleich erschwert die zunehmende Bürokratie auf europäischer Ebene das Geschäft der Einzelhändler. Laut einer Studie des Deutschen Handelsverbands berichten 97 Prozent der Handelsunternehmen von gestiegenen Bürokratieanforderungen in den letzten fünf Jahren. Besonders belastend wirken Dokumentations- und Berichtspflichten sowie Auflagen in den Bereichen Personal und Steuern.

Obendrein sorgt das 2023 eingeführte Lieferkettengesetz, das Unternehmen verpflichtet, abstruse Menschen- und Arbeitsrechte entlang ihrer gesamten Lieferketten sicherzustellen, für weiteren bürokratischen Aufwand und steigende Kosten.

Letztlich trifft die wirtschaftliche Krise der Einzelhändler vor allem die Verbraucher der Mittelschicht empfindlich. Um die Lebenshaltungskosten spürbar zu senken, das Einkaufsbudget der Menschen zu stärken und zugleich den Handel zu entlasten, sind entschlossene und koordinierte Maßnahmen auf mehreren Ebenen erforderlich – seitens der Bundesregierung, der EU und insbesondere der Europäischen Zentralbank (EZB). Dabei dürften kurzfristige Entlastungen allein nicht genügen. Es bedarf tiefgreifender struktureller Reformen, die sowohl den finanziellen Druck auf Verbraucher als auch die Belastungen für Unternehmen nachhaltig reduzieren.

Bürokratieabbau, günstigere Energie, Preistransparenz und steuerliche Entlastungen – ein erster Schritt

Die Reduzierung bürokratischer Hürden ist eine essenzielle Maßnahme, um Einzelhändlern und Supermärkten Handlungsspielraum zu verschaffen. Auch steuerliche Erleichterungen und besonders die Senkung der Energiekosten könnten dabei helfen, die steigenden Produktions- und Betriebskosten abzudecken.

Die Rolle der EZB – Inflationsziel neu denken

Eine zentrale Stellschraube für die Verbraucher ist außerdem das Inflationsziel der EZB. Das derzeitige Ziel von 2 Prozent wird zwar als Stabilitätsmaßnahme kommuniziert, doch die Realität ist, dass selbst diese moderate Inflationsrate über Jahre hinweg zu einer schleichenden Entwertung des Euros führt.

Die Lebenshaltungskosten steigen, während die Löhne nicht im gleichen Maße anziehen. Vor allem einkommensschwache Haushalte sind hiervon stark betroffen, da sie einen großen Teil ihres Budgets für Grundbedürfnisse wie Lebensmittel, Energie und Miete ausgeben.

Würde man im Euroraum eine Inflationsrate von rund 1 Prozent oder eventuell sogar weniger anstreben, könnten Verbraucher erheblich profitieren. Günstigere Lebensmittelpreise wären eine direkte Folge, da die Preisdynamik insgesamt gedämpft werden würde.

Gefahr durch Forderungen nach einer höheren Inflationsrate

Trotz der Vorteile befördern „politiknahe Kritiker‟ sogar eine Erhöhung des Inflationsziels – ein Schritt, der die Situation für Verbraucher und die Wirtschaft weiter verschärfen würde. Ein herausragendes Beispiel ist Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Unter anderem die FAZ bezeichnete ihn bereits als „Claqueur der SPD“, da er in der Vergangenheit immer wieder Positionen vertreten hat, die vor allem in den Reihen der Sozialdemokratie Zuspruch finden.

Er sieht in einer höheren Inflationsrate einen erweiterten geldpolitischen Handlungsspielraum, um besser auf Krisen reagieren zu können. Doch diese Sichtweise birgt immense Gefahren. Eine bewusst herbeigeführte Erhöhung der Inflation könnte die Entwertung des Euros noch weiter beschleunigen und die Kaufkraft der Bürger schmälern. Ein solcher Kurs wäre nichts weniger als ein riskantes Spiel mit der Stabilität des gesamten europäischen Wirtschaftsraums.

Vor allen Dingen ist sie eine Enteignung des Verbrauchers – und der Lohnempfänger. Mit dieser Inflationsrate würden die Fehlentscheidungen der Politik versteckt und die Folgen verschleiert – vorübergehend. Denn Inflation nährt die Inflation. Sie gerät bei diesen Prozentsätzen zu leicht außer Kontrolle.

Ausblick: Droht eine Rückkehr der hohen Inflation?

Doch wie geht es jetzt „Inflations-technisch‟ weiter? Ein erneuter kontinuierlicher Anstieg der Teuerungsrate ist keineswegs ausgeschlossen. Neben Bürokratie- und Steuerlasten stellt besonders die Energieversorgung im Euroraum eine wachsende Herausforderung dar.

Der einseitige Verzicht auf russischer Gaslieferungen, die explodierenden Kosten für den Ausbau erneuerbarer Energien und die begrenzte Effizienz grüner Energiequellen drohen, die Energiepreise in den kommenden Jahren unaufhaltsam weiter in die Höhe zu treiben. Die Folgen könnten verheerend sein: Unternehmen stehen bereits jetzt vor existenziellen Herausforderungen, während Privathaushalte unter einer erdrückenden Last ächzen – ein potenzieller Katalysator für erneut steigende Teuerungsraten.

Zusätzlich verschärfen geopolitische Risiken die Unsicherheit. Eine mögliche Eskalation des Ukraine-Konflikts oder des Nahost-Konflikts mit direkten Auswirkungen auf Europa könnte sich als fataler Treiber für neue Inflationsschübe erweisen.

Die derzeitige Stabilität der Preise könnte daher trügerisch sein – der Weg aus der Inflation bleibt mehr als fragil und ist von zahlreichen Risiken bedroht.

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