Mit der „Goldenen Himbeere“ werden Filme ausgezeichnet, die in der Kategorie „verschwendetes Potenzial“ glänzen. Die Brombeer-Koalition mit den mitwirkenden BSW-Darstellern erhält diesen Preis für eine gezwungen wirkende Gesamtperformance, die den Bürgern in Thüringen im besten Fall ein „Weiter-so“ beschert. Das BSW-Thüringen bleibt hinter den Erwartungen der Wähler zurück und wirkt wie ein Fremdkörper im BSW-Gefüge. Wenn ein Kinofilm enttäuschend war, bekommt kein Cineast sein Geld zurück. Auch die BSW-Wähler, die Sahra-Wagenknecht-Politik wollten und nun Katja Wolf bekamen, erhalten ihre Stimme aus der Wahlurne nicht zurück.
Die Krise der Glaubwürdigkeit
Die politische Landschaft in Thüringen steht vor einem Wendepunkt. Nach intensiven Verhandlungen haben CDU, SPD und das BSW einen Koalitionsvertrag ausgearbeitet, der als Grundlage für die Regierungstätigkeit im Land dienen soll. Doch für viele Wähler, Anhänger und Unterstützer des BSW stellt dieser Vertrag eine grobe Enttäuschung dar. Die Frage, die sich aufdrängt, ist: Verletzt dieser Koalitionsvertrag nicht nur das Programm des BSW, sondern auch seine Glaubwürdigkeit? Ich meine: ja!
Es darf trotz Bundestagswahlkampf nicht vergessen werden, wer das BSW wählt. Es wählt uns nicht der Stammwähler der CSU, dem jegliche Widersprüche und leere Versprechungen egal sind. Uns wählen Menschen, die von den bisherigen Parteien enttäuscht und politisch heimatlos geworden sind. Menschen, die kritisch hinterfragen und denen der Zustand unseres Landes große Sorgen bereitet. Wir sind angetreten, um diesen Menschen Gehör zu verschaffen und ehrliche Politik zu machen. Dass es in Thüringen nach der Wahl begann, gehörig schiefzulaufen, war für den interessierten Bürger unübersehbar. Viele sind entsetzt. Das BSW ist bei den Wahlumfragen eingebrochen.
In Thüringen geht es nun nach der offiziellen Vorstellung des Koalitionsvertrags in die nächste Runde. Katja Wolf (BSW) führt das BSW tiefer in die Misere. Gerade die Präambel des Koalitionsvertrags, die als moralischer Kompass der neuen Regierung gelten soll, hat viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen – nicht wegen besonders visionärer Kraft, sondern wegen der Kompromisse und dem Dissens, der dort offenkundig wird.
Die Friedenspräambel: Ein Kompromiss zu viel?
Das BSW hatte in seinem Wahlprogramm und seinen Wahlkampfveranstaltungen vehement für einen sofortigen Frieden in Europa plädiert und einen Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine gefordert. Doch die Präambel im Thüringer Koalitionsvertrag spricht unverändert lediglich von der Unterstützung diplomatischer Initiativen zur Beendigung des Krieges. Eine klare Verurteilung der Waffenlieferungen ist weder in der Präambel noch im Vertragstext zu finden.
Diese Unschärfe stellt einen Rückzug von den klaren Positionen des BSW dar, die als unumstößlich dargestellt wurden. Als Erklärung führen Parteichefin Wagenknecht und Generalsekretär Leye sowie Wolf und Schütz vom BSW-Thüringen an: „Als wir die Präambel verhandelt haben, war die Taurus-Frage noch nicht so brennend wie heute.“ Ob die Thüringer-Wähler das überzeugt? Warum die Präambel nicht geändert wurde, werden sich viele fragen.
Sahra Wagenknecht kämpft dafür, dass das BSW eine laute Stimme für die Deeskalation und gegen eine militärische Lösung des Konflikts in der Ukraine ist. Ihre Aussagen bei Medienauftritten und auf Parteiveranstaltungen ließen keinen Spielraum für Interpretationen offen: Es darf keinen Krieg geben, und die deutsche Außenpolitik muss diplomatische Lösungen forcieren. Im BSW-Landtagswahlprogramm für Thüringen hatte das Thema Frieden eine exponierte Position. Es wurde mit der Überschrift „Ohne Frieden ist alles nichts“ an erster Stelle geführt. Es spiegelt die DNA unserer Partei wider – das uneingeschränkte Eintreten für Frieden und für Diplomatie.
Der Thüringer Koalitionsvertrag ist für viele Anhänger zu wenig konkret und nicht ausreichend kritisch gegenüber der bisherigen deutschen Politik. Dies dürfte sich noch als großer Fehler erweisen.
Die Stationierung von Mittelstreckenraketen: Von Ablehnung zu Kritik
Eine weitere Kernforderung des BSW ist die Ablehnung der Stationierung von US-amerikanischen Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden. Diese Position wurde vom BSW mehrfach deutlich artikuliert, in Thüringen aber aufgegeben. Ist es das wert, liebe Thüringer? Zentrale Forderungen unserer Partei für drei Ministerien aufzugeben? Ich meine, nein, das ist es nicht.
Der Koalitionsvertrag erwähnt zwar die „kritische Sicht“ der Parteien auf die Stationierung von Mittelstreckenraketen, bleibt aber weit hinter der klaren Ablehnung zurück, die das BSW gefordert hat. Eine solche Formulierung lässt Raum für Interpretation und markiert keinen festen Standpunkt. Dieser windelweiche Kompromiss stößt viele Unterstützer und Wähler vor den Kopf. Was sollen die Wähler und Wählerinnen in Thüringen jetzt noch glauben?
Der Koalitionsvertrag spricht von einer Debatte, die über die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen gefördert werden soll, während das BSW vehement gegen eine solche Stationierung Stellung bezogen hat. Das BSW hatte stets richtigerweise betont, dass die Stationierung dieser Raketen die Kriegsgefahr erhöhen würde und daher strikt abgelehnt werden müsse. Die Formulierung im Koalitionsvertrag zeigt einen klaren Widerspruch zu dieser Position, da sie nur ein „sehen wir kritisch“ feststellt, was für viele Anhänger des BSW zu wenig sein dürfte.
Kritisieren bedeutet hier, nicht aktiv gegen etwas vorzugehen, sondern nur eine Meinung zu äußern. Das ist zu schwach. Viel zu schwach! Denn: Jede Verhältnismäßigkeitsprüfung wird von kritischem Hinterfragen begleitet. Ein unreflektiertes Abnicken ist – so zeigte es die Corona-Zeit – gesellschaftsschädlich.
Die Corona-Zeit und die Aufarbeitung: In Thüringen ein Thema für die Schublade
Ein weiteres Kernanliegen des BSW ist die kritische Auseinandersetzung mit der Coronapolitik. Das Landtagswahlprogramm forderte eine Aufarbeitung und stellte deutlich auf die Maßnahmen ab, von denen viele „mehr Schaden als Nutzen brachten“. Auch die verharmlosten Nebenwirkungen der Corona-Impfung werden thematisiert. Der Koalitionsvertrag enthält jedoch nur vage Verweise auf eine „kritische Reflexion“ der Pandemiezeit und stellt nicht auf die Maßnahmen ab, die unermessliches Leid und tiefe gesellschaftliche Spaltung verursachten.
Sahra Wagenknecht und ich hatten in verschiedenen gesellschaftlichen Debatten und auf BSW-Veranstaltungen die Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen als unverzichtbar für die politischen Lernprozesse bezeichnet.
Die fehlende klare Positionierung im Koalitionsvertrag werten die Wähler nun als Verrat an den geschürten Erwartungen. Aufarbeitung betreibt nun scheinbar federführend die AfD. und das hätte nicht passieren dürfen.
Die Impfgeschädigten bleiben im Schatten
Eine weitere bemerkenswerte Diskrepanz im Koalitionsvertrag zu den BSW-Positionen betrifft die Gesundheitspolitik, insbesondere die Unterstützung von Long-Covid-Erkrankten unter Ausschluss der Impfgeschädigten.
Der Koalitionsvertrag betont, dass die Versorgung von Long-Covid und ME/CFS-Betroffenen weiter verbessert werden soll. An sich eine löbliche Initiative, um den Bedürfnissen dieser Gruppe gerecht zu werden. Geradezu verblüffend und unverständlich zugleich ist jedoch, dass keine Erwähnung oder Unterstützung für Menschen erfolgt, die unter den Folgen von Impfschäden leiden. Diese Gruppe, die oft mit schweren körperlichen, neurologischen oder psychischen Langzeitfolgen zu kämpfen hat, wird im Koalitionsvertrag vollständig ignoriert – ein fatales Signal!
Dies wirft die Frage auf, warum eine Gruppe, die ebenfalls in der Corona-Zeit stark beeinträchtigt wurde, keine politische Rücksichtnahme findet. Im Landtagswahlprogramm ist man sehr deutlich und verschweigt die Impfproblematik nicht. Dort heißt es: „Menschen, die sich experimentelle, in Rekordzeit entwickelte und zugelassene Impfstoffe nicht spritzen lassen wollten, wurden ebenfalls verunglimpft, diskriminiert und unter Druck gesetzt, sich trotz der drohenden Nebenwirkungen impfen zu lassen. Inzwischen ist bekannt, dass der Nutzen der Impfungen massiv übertrieben und die Nebenwirkungen zu sehr verharmlost wurden.“
Der Koalitionsvertrag ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die einen kräftezehrenden Kampf gegen Impfschäden und um deren Anerkennung fechten. Das BSW hat sich stets für soziale Gerechtigkeit und die Unterstützung von Randgruppen ausgesprochen. Der Ausschluss von Impfgeschädigten im Koalitionsvertrag steht in krassem Widerspruch zu diesen Prinzipien.
Als BSW müssen wir für eine umfassende Unterstützung aller Betroffenen der Pandemie und Pandemie-Maßnahmen eintreten, nicht nur für eine selektierte Gruppe. Impfschäden sollten nicht weiter politisiert oder ignoriert werden. Menschen in Not müssen Unterstützung erhalten. Das dient auch dem sozialen Frieden.
Ein Testfall für die Zukunft des BSW
Der Koalitionsvertrag in Thüringen stellt das BSW vor eine existenzielle Herausforderung. Die Partei muss sich entscheiden, ob sie ihre Prinzipien aufgibt, um Regierungsverantwortung zu übernehmen, oder ob sie auf ihre ursprünglichen Ideale pocht, was möglicherweise bedeutet, in der Opposition zu verbleiben. Dieses Dilemma könnte die Partei intern spalten und ihre äußere Wahrnehmung nachhaltig verändern. So weit sollte man es nicht kommen lassen. Nur eine ehrliche Fehlerkultur wird hier nachhaltig positive Ergebnisse bringen. Unsere Wähler fordern Ehrlichkeit und werden das honorieren.
Die Frage bleibt: Kann das BSW seine Glaubwürdigkeit wahren und gleichzeitig an der Macht partizipieren oder wird der Kompromissgeist der Koalition das Ende seiner ideologischen Unabhängigkeit bedeuten? Die Antwort auf diese Frage könnte nicht nur die Zukunft des BSW, sondern auch die politische Landschaft in Deutschland als Ganzes beeinflussen. Ja, das muss offen angesprochen werden. Es ist notwendig. Zu diesen Fehlern zu schweigen, wäre ein Fehler.
In Politik und Film entsteht das größte Drama, wenn die Erwartungen am größten sind. Die Brombeer-Koalition hat gezeigt, dass Kompromisse bei identitätsstiftenden Themen einer Partei keinen Applaus einbringt.
MdEP Dr. med. Friedrich Pürner, MPH
Facharzt für Öffentliches Gesundheitswesen, Epidemiologe