Die einzige Zeitung, die offenbar neben Tichys Einblick gemerkt hat, wie der türkische Hase läuft, ist das Manager Magazin. In einem schönen Artikel gratuliert Tom Buschardt dem „Team Erdogan“ neidlos für seine saubere PR-Arbeit.
Die Welt beginnt ihren Artikel zum Thema mit der klaren Fake News, dass sie wisse, was die Kanzlerin nicht wolle, nämlich „Auftritte türkischer Politiker in Deutschland verhindern“. Niemand außer ihr selbst weiß, was Angela Merkel will. Sie mag sagen, dass sie das nicht wolle, was aber nicht dasselbe ist. Die Zeitung zitiert anschließend eine Reihe von Selbstverständlichkeiten aus der montäglichen Ansprache Merkels, z.B. dass „in Deutschland die Werte der Meinungs- und Versammlungsfreiheit“ gelten würden, Auftritte türkischer Regierungsmitglieder in Deutschland innerhalb des geltenden Rechts und der Gesetze (allen, inclusive der Brandschutzordnung) , die bei uns gelten, möglich seien, so weit sie ordnungsgemäß, rechtzeitig und, hier wird sie beinahe martialisch, „mit offenem Visier angekündigt und genehmigt seien“ und dass sie sich „weiter dafür einsetzen werde, dass man seine Grundwerte, die das eigene Land und die Art zu leben ausmachten“ so leben könne, wie man dies für richtig halte“.
Besonders beim Brandschutz und der Versammlungsstättenverordnung VStättV/VStättVO, möchte man hinzufügen, wer wollte dem widersprechen.
Und obwohl man viele gemeinsame Interessen habe, gebe „es tiefgreifende Differenzen über die Meinungs- und Pressefreiheit“, wie z.B. bei der „Inhaftierung des deutsch-journalistischen Deniz Yücel und anderer Journalisten“ (hier unterlief dem journalistischen Verfasser wohl das, was der Ami einen fat-finger-mistake nennen würde). Und für dessen Freilassung, so habe die Kanzlerin betont, setze sich – und hier wird der mitwirkende Personenkreis sehr groß, wohl um die Einschränkung auf die Grenzen der eigenen Macht zu verharmlosen – „die ganze Bundesregierung mit aller in ihrer Macht stehenden Mittel ein“.
Die Welt beeilt sich, Belege dafür zusammenzutragen, dass auch die türkische Gemeinde in Deutschland genauso empört über den Nazivergleich ist wie die deutschen Politiker: Kanzleramtschef Peter Altmaier darf Äußerungen des Präsidenten der Türkei passend im Frühstücksfernsehen als „absolut inakzeptabel“ bezeichnen, was man „ als Bundesregierung auch sehr klar und deutlich zum Ausdruck bringen werde“. Denn Deutschland sei “in Sachen Rechtsstaatlichkeit und Toleranz „nicht zu übertreffen“. Langsam, langsam, möchte man ihm zurufen, Herr Minister, sie handeln sich gleich den nächsten „über alles“ erhabenen Vergleich ein.
Auch n-tv meint, die Solidarität der in Deutschland lebenden Türken mit den hier Regierenden spüren zu müssen und interpretiert das, was eine ihrer Meinung nach nicht nur in Berlin „ausdrücklich“ hinter der Bundesregierung stehende türkische Gemeinde der Bundesregierung von sich gibt, als Lob. Die zitierten Äußerungen des Berliner Gemeinde-Präsidenten Bekir Yilmaz klingen jedoch nüchtern bis zurückhaltend: „Man darf sich nicht auf alles einlassen“, „Vergleiche mit dem Dritten Reich zu ziehen, das ist absolut inakzeptabel.“ Und dass „die aktuellen Spannungen im deutsch-türkischen Verhältnis an den hierzulande lebenden Menschen türkischer Herkunft natürlich nicht spurlos vorbeigingen“.
Bei der Welt versteht man die Worte Herrn Sofuoglus denn auch nicht als lobend: Lediglich „Kritik“ an Erdogan habe der Vorsitzende bei NDR Info geübt, als er ihm vorgeworfen habe, „mit dieser verbalen Entgleisung dem Verhältnis beider Länder zu schaden und einen Schritt zu weit gegangen zu sein.“
Vorsichtige Bedenken gegen zuviel Zurückhaltung aus dem Kanzlerinnenamt lässt der Kommentar bei n-tv durchschimmern. Erdogan sei schon eine Herausforderung (für die Nerven der Kanzlerin) und deshalb solle man sich bei den Reaktionen mäßigen. Zudem hätte man ja, mit einer großen türkischen Gemeinde im Land, bei einer (nicht näher vom Kommentator ausgemalten) Eskalation auch einiges zu verlieren. Dann folgen eine Reihe guter Ratschläge, um der Situation, die, das müsse man eingestehen, ja „ganz schön kompliziert und nicht einfach zu handhaben“ sei, zu begegnen. Kaum ein Tag vergehe, an dem aus türkischer Richtung nicht „neue Tiraden auf Deutschland abgefeuert würden“, deren „aggressiver Ton vor allem verstörend sei“. Und diese Nazivergleiche seien ja sowas von „stumpf, absurd und platt!“ Ja, sicher, aber wirksam sind sie eben.
n-tv adelt sodann die, wenn ins Mikrofon gesprochen, eher hölzern wirkenden Repliken der Bundesregierung, indem es sie als „bemerkenswert“ bezeichnet. Merkel und ihre Minister „ließen sich nicht provozieren“, sondern „setzten auf Ruhe und Gelassenheit“. Die Bundesregierung mache “in diesem Streit durchaus eine vergleichsweise gute Figur.“
Dieser Wertung widerspricht n-tv dann aber sofort selbst. Vor allem die Kanzlerin müsse sich Fehler vorwerfen lassen. Eine ganze Latte Fehler:
- Wo es Erdogan und anderen türkischen Politikern an Diplomatie mangelt, habe Merkel offenbar zu viel davon.
- Im Umgang mit der Regierung in Ankara wirke sie nicht zum ersten Mal allzu zögerlich.
- Vielfach habe Merkel dem schwierigen Partner im Zweifel lieber nachgegeben, als die eigenen Positionen und Werte deutlich zu vertreten.
- Sie müsse im Lichte des Flüchtlingsabkommens dem Eindruck entgegentreten, erpressbar zu sein.
- Sie könne doch anders: im Streit mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin z.B. habe sie die „verbrecherische Annexion“ der Krim verurteilt. Bei Erdogan sei sie wesentlich zurückhaltender.
- Sie müsse aus der Deckung kommen – wenn nicht jetzt, wann dann?
- Im Streit mit der Türkei wirke die Bundesrepublik manchmal wie ein außenpolitischer Zwerg, der der übermächtigen Gegenseite nichts entgegenzusetzen habe und deshalb einknicke.
- Auch im aktuellen Streit habe Merkel die Sache lieber laufen lassen.
- Sie habe ihre Regierungssprecher reden und sich selbst bedeckt gelassen. Werde schon irgendwie werden. Eine Fehleinschätzung.
- Viele Kommunen klagten, sie fühlten sich im Umgang mit den türkischen Wahlkampfauftritten im Stich gelassen. Kleine Städte wie Gaggenau gerieten bei politischen Fragen von dieser Tragweite an ihre Grenzen. Es gebe einen starken Wunsch nach einer unmissverständlichen Ansage von oben.“
Als Regierungschefin obliege es ihr, sehr viel deutlichere Worte zu finden, und Wegducken könne dabei kein Maßstab sein, so die Seite.
Die taz hat eine Erdogan-Falle ausgemacht, in die es nicht zu tappen gelte. Wer Auftritte von Ministern verbiete, der laufe direkt hinein, und an Auftritten von Geert Wilders „hätten sich hingegen bisher nur wenige gestört.“ Deutschland sei Erdogan ein willkommenes Feindbild, gegen das er den starker Mann markieren und dem er die Stirn bieten könne.
Das Blatt will Parallelen ziehen: „1,4 Millionen hier lebende Menschen seien in der Türkei wahlberechtigt, in den Niederlanden und Österreich weitere Hunderttausende. Wie Deutschamerikaner, Deutschpolen und Deutschitaliener seien sie eine Zielgruppe, die von Parteien in ihren Herkunftsländern umworben würden.“ Aber, so die These: „Weil kein Kaczyński und kein Donald Trump zum Wahlkampf nach Deutschland kommen würden, fehle der direkte Vergleich.“ Hier irrt die Zeitung: Trump’s Vorgänger war 2002 unter der Goldelse prominenter Redner und wurde von den „Berliners“ ausgiebig bestaunt. Lech K. hat 2006 in der Humboldt Uni gesprochen.
Die taz fragt: „Würde man auch ihnen verbieten, dies hierzulande unter ihren Landsleuten zu tun? Das sei schwer vorstellbar. Und an Auftritten von Geert Wilders oder Heinz-Christian Strache in Deutschland hätten sich bislang nur wenige gestört – Ungarns Autokrat Victor Orbán sei sogar Gast der CSU.“ Eine versteckte Forderung nach einer Ausweitung von Redeverboten? Wohl kaum, wenn man weiter liest, dass es „SPD und Grüne ehre“, dass sie sich jetzt „im Zweifel für die Meinungsfreiheit türkischer Minister stark machten, auch wenn ihnen deren Meinung zuwider sei ..“
Was durch die Forderung von Claudia Roth, nachdem weitere Politiker Auftrittsverboten das Wort geredet hatten, ergänzt wird: „… solche Verbote könnten kontraproduktiv sein. Es ist eben keine Schwäche, sondern ganz im Gegenteil ein Zeichen der großen Stärke unseres Rechtsstaates, dass er auch unliebsame Auftritte, Meinungen und Botschaften aushält …“
Und ganz im Gegensatz zu den Blättern, die ein Lob der türkischen Gemeinde für die deutsche Position wahrgenommen haben wollten, beschreibt die Zeitung einen interessanten Effekt: „Nur um nicht ‚als Lakaien des Westens dazustehen‘ lehnten auch türkische Oppositionsparteien bis hin zur prokurdischen HDP Auftrittsverbote für türkische Politiker ab. Wie unbeliebt muss dieser ‚Westen‘ in der Türkei sein, um so eine Reaktion hervorzurufen?“
Emil Kohleofen ist freier Publizist.