Die Landtagswahlen in Thüringen haben, wie bei Wahlen üblich, Gewinner und Verlierer produziert. Nicht ganz drei Monate später stellt sich heraus: Es sind sehr wenige Gewinner. Und es sind sehr, sehr viele Verlierer.
Mario Voigt hat gewonnen.
Der CDU-Landesvorsitzende konnte das Wahlergebnis seiner Partei zwar nur um winzige 1,9 Prozentpunkte verbessern, landete mit der Union bei insgesamt mäßigen 23,6 Prozent und wurde von der AfD (32,8 Prozent) geradezu vernichtend geschlagen. Aber er zeigt sich inhaltlich ausreichend desinteressiert – ganz so, wie es moderne Christdemokraten eben tun.
Deshalb kann er mit seiner angeblich christlichen und konservativen CDU ein Bündnis mit der linken SPD und dem noch linkeren BSW eingehen. So wird man Ministerpräsident.
Die SPD hat gewonnen.
Die Sozialdemokraten verloren zwar 2,1 Prozentpunkte und damit fast ein Viertel ihrer (bisher schon überschaubaren) Wählerschaft, landeten insgesamt bei nur noch 6,1 Prozent und erzielten damit das schlechteste Landtagswahlergebnis in der SPD-Geschichte. Also, nicht nur in Thüringen – überhaupt, in ganz Deutschland.
Aber eine Koalition aus der CDU, der „Linken“ und dem BSW ist menschlich unmöglich, schließlich sind die Wagenknechte eine Abspaltung der „Linken“. Also werden die Sozialdemokraten für eine Mehrheit gebraucht. So bleibt man Regierungspartei.
Doch da hört es bei den Gewinnern auch schon auf, und es beginnt die Liste der Verlierer.
Sahra Wagenknecht hat verloren.
Nur ihr hat es das BSW zu verdanken, dass es aus dem Stand 15,8 Prozent holte. Ihre Partei trägt ihren Namen. Ihr Gesicht war flächendeckend auf allen Plakaten ihrer Partei in Thüringen zu sehen, obwohl sie selbst da gar nicht kandidierte. Ihre Haltung vor allem zum Ukraine-Krieg und zu Russland war der zentrale Wahlkampfinhalt des BSW, obwohl dieser Konflikt nun beim besten Willen nicht in Erfurt entschieden wird.
Aber Thüringens BSW-Landesvorsitzende Katja Wolf hatte andere Pläne. Für sie geht Regierungsbeteiligung vor Prinzipientreue. Und so war die frühere Oberbürgermeisterin von Eisenach dazu bereit, in der Friedensfrage – mit der sie die Wahl gewonnen hatte – große Kompromisse einzugehen. Übersetzt: Sie ist eingeknickt.
Dafür war Wolf sogar zu einem öffentlichen Streit mit Parteigründerin Wagenknecht bereit. Deren Versuche, die Koalition in Erfurt von der fernen Parteizentrale in Berlin aus zu verhindern, kamen beim Publikum nur so mittelgut an: Mittlerweile ist das BSW landesweit in den Umfragen auf nur noch vier Prozent abgerutscht und würde den Sprung in den Bundestag verfehlen.
Außerdem muss Wagenknecht nach dem plötzlichen Ampel-Aus nun in Windeseile mit ihrer Partei, die noch nicht einmal in jedem Bundesland organisiert ist, einen Bundestagswahlkampf aus dem Hut zaubern. Also macht Sahra gute Miene zum bösen Spiel und gibt dem Brombeer-Bündnis in Erfurt ihren Segen – auch ohne harte Haltung in der Ukraine-Frage.
Zweifellos sehen wir da die ersten Kratzer im BSW-Lack, und es sind keine kleinen.
Die „Linke“ hat verloren.
Mit Bodo Ramelow stellte sie bisher in Thüringen ihren einzigen Ministerpräsidenten. Doch Wagenknechts Weggang hat die Partei von einstmals stolzen 31 Prozent auf nunmehr gerade noch 13,1 Prozent eingedampft. In die Regierung kann die „Linke“ nicht mehr: Das ginge rechnerisch nur zusammen mit den Abtrünnigen vom BSW, und das verhindert der simple Stolz.
Lustigerweise hat das CDU-BSW-SPD-Bündnis im Erfurter Landtag aber gar keine eigene Mehrheit. Dort sitzen 88 Abgeordnete, die drei Parteien kommen zusammen nur auf 44. Es fehlt also eine Stimme. Wenn man davon ausgeht, dass die AfD als ordentliche Opposition die Vorhaben der neuen Koalition nicht unterstützt, dann ist die Brombeere also darauf angewiesen, dass immer mindestens ein Abgeordneter der „Linken“ bei ihr mitstimmt.
Das dürfte Ramelows Mannen besonders schmerzen – denn sie haben gar keine andere Wahl, als genau das zu tun. Sonst gibt es schlicht keine Mehrheit gegen die AfD. Der selbst ausgerufene „Kampf gegen rechts“ fordert von der „Linken“ also das Opfer, im Erfurter Landtag dauerhaft eine Regierung zu unterstützen, der man selbst gar nicht mehr angehört.
Die AfD hat verloren.
Natürlich nicht bei den Wahlen. Da hat sie 9,4 Prozentpunkte zugelegt, insgesamt 32,8 Prozent geholt und ist mit Abstand stärkste politische Kraft geworden. Aber im Landtag bleibt sie trotzdem in der Opposition: Weil CDU, BSW und SPD die Brombeere machen und die „Linke“ sie (nolens, volens, siehe oben) unterstützen muss.
Man darf gespannt sein, wie die Anhänger der Blauen darauf reagieren, dass die Partei ihrer Wahl auch in den kommenden fünf Jahren (so lange dauert die Legislaturperiode in Erfurt) de facto nichts mitzureden hat.
Der größte Verlierer ist der Wähler in Thüringen.
Wer die CDU gewählt hat, bekommt eine Koalition mit einer linken Partei (SPD) und einer noch linkeren Partei (BSW) – die nur dann überlebt, wenn die Partei, die schon „Die Linke“ heißt, das auch noch unterstützt.
Wer das BSW gewählt hat, bekommt eine Koalition mit zwei Parteien, die in der zentralen inhaltlichen Frage von Krieg und Frieden genau das Gegenteil von dem wollen, was Sahra Wagenknecht versprochen hat.
Wer die „Linke“ gewählt hat, bekommt gerade noch eine Rumpftruppe – die sich selbst dazu verdammt hat, die christliche CDU, die verhasste SPD und sogar die Spalter vom BSW parlamentarisch zu dulden.
Und wer die AfD gewählt hat, bekommt eine riesengroße Opposition – aber keine Regierung, weil sich eine All-Parteien-Volksfront gegen sie gebildet hat.
War da was mit dem Wählerwillen?
Am Freitag wollen CDU, BSW und SPD in Erfurt den Entwurf ihres ausgehandelten Koalitionsvertrags vorstellen. Wer sich fragt, weshalb sich immer mehr Menschen in unserer real existierenden repräsentativen Demokratie nicht mehr repräsentiert fühlen und sich von unserem Staatswesen entfremden:
Ein Blick nach Thüringen liefert ein paar Antworten.