Dass die Freien Wähler (FW) bei der anstehenden Bundestagswahl am 23. Februar 2025 die 5-Prozent-Hürde nehmen, ist unwahrscheinlich. Bei der Bundestagswahl 2021 waren die FW auf 2,4 Prozent und bei der EU-Wahl auf 2,7 Prozent gekommen. Über drei Direktmandate aber könnte den FW der Einzug in den Bundestag diesmal gelingen. Denn drei Direktmandate ziehen selbst bei einem Gesamtergebnis bei der Bundestagswahl von nur 3 bis 4 Prozent 20 bis 30 FW-ler über die FW-Listen in den Bundestag nach. „Vorbild“ (rechnerisch, nicht programmatisch) ist hier das Ergebnis der Partei „Die Linke“, die bei der Bundestagswahl 2021 mit 4,9 Prozent zwar an der 5-Prozent-Hürde scheiterte, aber es über drei Direktmandate (Berlin-Treptow-Köpenick, Berlin-Lichtenberg, Leipzig-Süd) auf 39 Sitze im Bundestag brachte und damit bis zum Ausstieg der Leute des Bündnisses Sarah Wagenknecht sogar – wenn auch knapp – Fraktionsstatus bekam. „Fraktionsstatus“ setzt voraus, dass eine Partei 5 Prozent aller Bundestagsabgeordneten stellt; 2021 waren das 37 von 735.
Nun versuchen sich die FW als Nutznießer dieser Regelung. In Bayern, wo sie besonders stark sind, setzen sie mit vier Leuten darauf, mindestens drei Grundmandate zu erringen. Diese vier Bewerber sind renommierte Kommunalpolitiker, denen es zuzutrauen ist, dass sie es direkt in den Bundestag schaffen. Und damit der CSU mindestens drei Direktmandate streitig machen. Bei der Wahl zum Bayerischen Landtag vom 8. Oktober 2023 ist es den FW immerhin schon einmal gelungen, der CSU zwei Direktmandate abzuluchsen: mit FW-Chef Hubert Aiwanger im Wahlkreis Landshut und mit Roland Weigert im Wahlkreis Neuburg/Schrobenhausen. Allerdings sind die Wahlkreise bei der Bundestagswahl nicht identisch mit den Wahlkreisen bei einer Landtagswahl. In Bayern etwa gibt es für die Landtagswahl 91, für die Bundestagswahl 47 Wahlkreise. Vereinfacht gerechnet, ist ein Wahlkreis bei der Bundestagswahl in etwa doppelt so groß wie einer bei der Landtagswahl.
Die vier 5-Prozent-Knacker der FW
Nun haben die FW Bayern ihre vier Leute nominiert, mit denen sie und in der Folge und unter Umgehung der 5-Prozent-Hürde dann mit weiteren zwanzig bis dreißig Abgeordneten in den Bundestag einziehen wollen. Von der vorhanden Infrastruktur her sind die FW im Gegensatz zu anderen Kleinparteien fit genug, sofort in den Wahlkampf einzusteigen.
Prominentester Kandidat ist der FW-Bundesvorsitzende Hubert Aiwanger (53). Er ist seit 2018 bayerischer Wirtschaftsminister und stellvertretender bayerischer Ministerpräsident. Dem bayerischen Landtag gehört er seit 2008 an. Bei der Landtagswahl 2023 hat er das Direktmandat im Wahlkreis Landshut mit 37,2 Prozent gegen den CSU-Bewerber Helmut Radlmeier (24,8 Prozent) errungen. Aiwanger will bei der Bundestagswahl vom 23. Februar 2025 als Direktkandidat im niederbayerischen Wahlkreis Rottal/Inn antreten. Dieser Wahlkreis war immer schon und namentlich seit 1994 mit Max Straubinger fest in Hand der CSU. Straubinger erzielte teilweise über 60 Prozent, bei der letzten Wahl 2021 aber nur noch 35,1 Prozent. Für die CSU kandidiert in diesem Wahlkreis nun Günter Baumgartner; er ist Bürgermeister in der Rottal-Gemeinde Bayerbach (1.700 Einwohner). Aiwangers Chancen hier stehen gut, hat er doch gegenüber seinem CSU-Konkurrenten einen uneinholbaren Bekanntheitsgrad.
Dass Aiwanger, wiewohl im Landkreis Landshut beheimatet, in den Wahlkreis Rottal-Inn ausweicht, hat mit einem zweiten aussichtsreichen FW-Kandidaten zu tun: Peter Dreier (57). Peter Dreier ist für die FW seit 2014 Landrat des Landkreises Landshut. Bei der letzten Kommunalwahl von 2020 setzte er sich im ersten Wahlgang mit 73 Prozent gegen sieben Mitbewerber durch. Nun ist der Bundestagswahlkreis, für den Dreier antritt, zwar größer als der Landkreis Landshut; er schließt nämlich auch den Bereich Kelheim ein. Dieser Wahlkreis wird seit 2013 von Florian Oßner (CSU) repräsentiert. Bei der Bundestagswahl von 2021 errang er das Mandat mit 36,4 Prozent. Das könnte für Peter Dreier zu schaffen sein.
Dritter FW-Kandidat ist der parteilose Michael Wörle (57). Er ist seit 2014 Erster Bürgermeister der Stadt Gersthofen (23.000 Einwohner) bei Augsburg. Nun tritt er für den Bundestagswahlkreis Augsburg-Land gegen den Mandatsinhaber Hansjörg Durz (CSU) an. Durz, der dem Bundestag seit 2013 angehört, hatte das Direktmandat bei der Bundestagswahl 2021 mit 40,6 Prozent errungen. Das waren zwar erheblich weniger Prozente, als er zuvor erreicht hatte: 60,6 Prozent bei der Wahl 2013 bzw. 47,8 Prozent bei der Wahl 2017. Dennoch dürfte es für den FW-Mann Wörle schwer werden. Er bräuchte einen „Erdrutsch“, zumal der FW-Kandidat dort bei der Wahl 2021 auf nur 6,6 Prozent gekommen war.
„Nummer“ vier der FW-Kandidaten wiederum dürfte relativ gute Aussichten haben: die seit 2020 amtierende Landrätin des Landkreises Oberallgäu (inkl. Kempten, Lindau usw.) Indra Baier-Müller (53). Sie hatte dieses Amt nach 23,3 Prozent im ersten Wahldurchgang bei der Stichwahl überraschend mit 51,8 Prozent errungen. Bei der Wahl zum Bundestag am 23. Februar 2025 tritt sie gegen die amtierende Bundestagsabgeordnete Mechthilde Wittmann von der CSU an. Diese hatte ihr Mandat 2021 mit gerade eben 29,7 Prozent gewinnen können. Zuvor war Wittmann Landtagsabgeordnete gewesen.
Mehr als diese vier mehr oder weniger aussichtsreichen Kandidaten konnte Aiwanger nicht präsentieren. Dem Vernehmen nach konnte Aiwanger weitere kommunal bestens verankerte FW-Bürgermeister bzw. Landräte offenbar nicht gewinnen. Dabei stellen die FW seit der Kommunalwahl 2020 insgesamt 13 der 71 bayerischen Landräte. Absagen dürfte sich Aiwanger vor allem wegen der bald anstehenden Kommunalwahl 2026 eingehandelt haben. Denn wenn MdB-Bewerber der FW mit hohem Kommunalamt am 23. Februar 2025 scheitern, dürfte es für sie bei der Kommunalwahl am 8. März 2026 schwierig werden. Es ist nicht gerade förderlich für das Ansehen in der Region, wenn man es als Direktkandidat nicht geschafft hat, sich dann aber erneut für den Posten des Landrats bewirbt. Das könnte auch die Überlegung von Aiwangers Lebensgefährtin Tanja Schweiger sein, die 2014 für die FW das Amt der Landrätin des Landkreises Regensburg errang und nicht für den Bundestag antritt.
Eine Absage dürfte sich Aiwanger bei FW-Mann Roland Weigert eingehandelt haben. Dieser hätte gute Chancen gehabt, ein MdB-Mandat zu erringen. Der ehemalige Landrat von Neuburg-Schrobenhausen hatte bei den bayerischen Landtagswahlen 2023 ein Direktmandat errungen. Erste Regierungserfahrung hat er von 2018 bis 2023 als Staatssekretär im Wirtschaftsministerium (unter Aiwanger) gesammelt. Zwischen ihm und Aiwanger knistert es aber. Weigert wollte 2023 selbst Minister werden; er tat das öffentlich kund – mit Aiwanger nicht abgesprochen.
Wie sind 3 bis 4 FW-Prozente zu taxieren?
3 bis 4 FW-Prozente bei der Bundestagswahl 2025 sind realistisch. Könnten die FW allein in Bayern ihre 15,8 Prozent von der Landtagswahl 2023 am 23. Februar 2025 wiederholen, so wären das auf den Bund umgerechnet allein schon 2,5 Prozent. Über weitere Bundesländer kämen wohl 1 bis 1,5 Prozente dazu. Das lässt sich aus den jüngeren Wahlergebnissen hochrechnen. 5 Prozent aber bleiben in weiter Ferne.
In allen anderen Ländern rangierte die FW bei 0,3 bis 1,1 Prozent: in Berlin bei den Wahlen vom 27. Februar 2023 mit 0,3 Prozenten, in Mecklenburg-Vorpommern am 26. September 2021 mit 1,1 Prozenten. In großen Bundländern wie NRW (0,7) und Niedersachsen (0,8) brachten die FW bislang kein Bein auf den Boden.
Womit die FW programmatisch punkten wollen
Die Freien Wähler haben Hubert Aiwanger soeben, am 16. November, erneut zu ihrem Bundesvorsitzenden gewählt und gleichzeitig als ihren Spitzenkandidaten für die kommende Bundestagswahl nominiert. Demnach stimmten beim Parteitag im unterfränkischen Geiselwind 93,15 Prozent der Delegierten für ihn als Vorsitzenden – ein Ergebnis, das über dem vom Jahr 2022 (84,93 Prozent) lag. Die Nominierung Aiwangers als Spitzenkandidat erfolgte einstimmig.
Die FW verlangen einen Neuanfang in der Migrationspolitik. Das ist eines der zentralen Themen ihres Wahlkampfes. Damit könnten die FW Wähler aus dem Unions-Lager einheimsen. Aber auch aus Teilen der AfD-Wählerschaft, denen eine Stimme für die AfD womöglich doch zu brisant ist. Die FW haben sich darüber hinaus auf die Fahnen geschrieben: eine niedrigere Energie- und Unternehmenssteuer, eine Abschaffung der Erbschaftssteuer, Einsparungen beim Bürgergeld und den Asylausgaben sowie ein strikteres Asylrecht. Ferner wollen die FW, dass auch auf Bundesebene das sog. Konnexitätsprinzip etabliert wird. Das heißt: „Wer anschafft, zahlt.“ Mit anderen Worten: Wenn der Bund weiter Hunderttausende ins Land lässt und dann von den Bundesländern und Kommunen deren Unterbringung und Versorgung verlangt, dann hat der Bund dafür auch zu zahlen.
Das sind alles Themen, die auch Themen der Union sein müssten. Insofern muss die Union damit rechnen, dass die FW ihr – wenn auch nur im unteren Prozentbereich – wichtige Prozente abnimmt. Spürbar wäre der Aderlass vor allem für Söders CSU und dessen bundesweite Mitspracheansprüche. Immerhin hat Söders CSU bei den Bundestagswahlen 2021 in Bayern nur magere 31,7 Prozente eingefahren. Umgerechnet auf den Bund waren das 5,2 Prozent. Das wäre bei einer Wiederholung dieses Ergebnisses im Februar 2025 gar nicht so weit über den bis zu 4 Prozent, die die FW bundesweit einfahren könnten. Die Nervosität in der CSU ob der bundesweiten Ambitionen der FW ist insofern nachvollziehbar.
Allerdings dürfte Aiwangers Hoffnung auf eine Koalition aus Union/FDP/FW im Bund samt Ministerposten für Aiwanger doch etwas abgehoben sein. Denn mehr als zusammen maximal 40 Prozent (so die FDP den Sprung in den Bundestag überhaupt schafft), wird dieses Dreier-Bündnis bei der Wahl nicht einfahren können. Für eine Regierungskoalition reicht das nicht.