Tichys Einblick
Woran soll sich unsere Gesellschaft noch gewöhnen?

Parallelstrukturen schaffen Hürden

„Die Gewöhnung stumpft unsere Sinne ab“ sagte schon de Montaigne. Deshalb müssen wir immer hellwach bleiben und dürfen die Fehler der letzten 60 Jahre in der Integrationspolitik nicht wiederholen.

Bereits seit mehr als 60 Jahren können wir uns als Bundesrepublik stolz als Integrationsmotor bezeichnen. Seither gilt unsere Willkommenskultur. Menschen sind aus verschiedensten Gründen zu uns gekommen und die meisten von ihnen haben hier eine neue Heimat gefunden. Wir können im Großen und Ganzen von einer gelungenen Integration sprechen. Doch in der langen Einwanderungsgeschichte wurden die damit verbundenen diversen Problematiken oft nicht wahrgenommen, ignoriert oder unter dem Deckmantel einer „Multi-Kulti-Romantik“ und falsch verstandener Toleranz als nicht zu beachten bewertet.

Es wurden in den letzten Jahren verschiedenste Diskussionen und Debatten zum Thema Integration geführt, die heute keinen mehr zu interessieren scheinen. Erinnern wir uns nur ein paar Jahre zurück. Als es um das Tragen von Kopftüchern oder zu einem späteren Zeitpunkt um das Tragen eines Turbans ging, war der Aufschrei noch groß. Es ging zunächst um ein Quadratmeter und dann um zwei Quadratmeter Stoff. Heute sind dies Themen, die von nahezu niemandem mehr angesprochen werden. Aktuell beschäftigt sich unsere Gesellschaft auf verschiedenen Ebenen mit einem Verbot der Vollverschleierung, also mit etwa 3,5 Quadratmeter Stoff.

Zu oft wird mir vorgeworfen, mit der Forderung eines Verbots der Vollverschleierung eine Scheindebatte ausgelöst zu haben. Für mich war und ist das Vollverschleierungsverbot eine Debatte der Demokratie, eine Debatte unseres Rechtsstaats und unserer Wertegesellschaft, denn hier wiederhole ich mich gerne: Vollverschleierung, bekannt auch unter Burka oder Niqab, entrechtet die Frauen und nimmt ihnen ihr Gesicht. Dieses Verhüllungsstück ist für mich ein mobiles Stoff-Gefängnis für Frauen. Und das gehört nicht in unsere Gesellschaft. Dabei wird zumeist mit dem Argument der Religionsfreiheit versucht, solche Debatten in die entsprechende Richtung zu lenken und zu beenden. Doch zu welchem Ergebnis führt diese falsch verstandene Toleranz? Es lässt sich hierbei ein stringenter Weg hin zu Parallelgesellschaften erkennen. Und hier stelle ich mir sehr oft die Frage: Woran soll sich unsere Gesellschaft noch gewöhnen? Nach Kopftuch und Turban nun an die Vollverschleierung?

Es begann doch schon auf der kleinsten, lokalen Ebene der Integration mit der Gründung eigener Sportvereine. Es gab und gibt genügend Möglichkeiten auch beim einheimischen Sportverein Mitglied zu werden. War es nötig in der Vergangenheit die Türk FC’s, SC Marok’s, Español‘… zu gründen? Es findet schon dort ein Szenario statt, welches weit weg ist von den Integrationsbemühungen der Bundesrepublik.

Immer mehr Parallelgesellschaften

Es entwickelten und entwickeln sich immer mehr Parallelgesellschaften, die für die Integration mehr als nur ein Hindernis darstellen. Schauen wir uns nur einmal radikale Moscheegemeinden an. Wenn wir solche Strukturen einfach unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit gewähren lassen, ist in vielen Fällen der Weg nicht mehr weit, bis sich fundamentalistische Strukturen bilden. In der Vergangenheit haben wir zu meinem Unverständnis viele fundamentalistische, islamistische und salafistische Tendenzen zugelassen. Viele Hinterhofmoscheen wurden trotz augenscheinlicher fundamentalistischer Aktivitäten nicht wahrgenommen oder verantwortungslos ignoriert. Das Problem ist für mich nicht die Moschee, sondern was in und um die Moschee passiert, und diesem Detail wurde in unserer Gesellschaft nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt. Wir haben jahrzehntelang eine der größten Bedrohungen und Gefahren für unsere Gesellschaft unverzeihlich gedeihen lassen. Das Phänomen des Salafismus und Dschihadismus ist in Deutschland nicht neu. Bereits Anfang der 80er Jahre konnte man die ersten Anzeichen von salafistischen Bestrebungen erkennen.

Man hat sich aber trotz mehrfacher Hinweise auf diese Gefahr weder in der Gesellschaft noch in der Politik richtig fokussiert. Vielleicht hat sich unsere Gesellschaft wieder an mögliche Drohungen und Gefahren gewöhnt und nach meiner Meinung eine in uns gedeihende Bestie nicht wahrgenommen. Gewöhnung? Ja, wir haben uns in den letzten Jahrzenten an viele Aktivitäten und gefährliche Strukturen gewöhnt. Es war bequemer, über die Gefahr hinwegzusehen, als im Klartext darüber zu diskutieren. Deswegen konnten sich nicht nur integrationspolitische Parallelstrukturen, sondern auch extremistische, religiöse sowie salafistische Gesinnungen verfestigen und wachsen. Weil wir die Gefahren und die Bedrohungen nicht rechtzeitig erkannt haben und dagegen mit rechtsstaatlichen Mitteln vorgegangen sind, weinen heute Mütter und Väter um ihre Kinder. Inzwischen sind mehrere tausend Jugendliche von Salafisten rekrutiert, konvertiert und auch radikalisiert worden. Mittlerweile sind mehr als 2.500 Jugendliche in Syrien, die dort in Camps des IS ausgebildet werden. Mehr als 200 von ihnen aus unserer gesellschaftlichen Mitte sind bereits dort gestorben.

Wenn wir spätestens heute nicht entschieden dagegen vorgehen und handeln, werden wir in Zukunft noch mehr Kinder im Sumpf des IS verlieren. Genau hier dürfen wir uns nicht „einlullen“ lassen und uns an die verbrecherischen IS-Strategien gewöhnen, denn wenn wir uns an die brodelnde Gefahr und tickende Zeitbombe des Salafismus gewöhnen, werden wir dieses Krebsgeschwür nicht mehr los.

Erste wirksame Maßnahmen gegen Salafismus und Co.

Ein aktuelles Beispiel hierfür ist die türkisch-nationalistische rockerähnliche Gruppierung der „Osmanen“, bei der jüngst eine großangelegte Razzia stattfand. Auch solche Substrukturen sind das letzte, was wir in unserer Gesellschaft brauchen.

Ich bin froh, dass nun endlich von Seiten der Behörden reagiert wurde und gegen die kriminellen Strukturen der Osmanen vorgegangen wird. Es scheint sich aktuell viel in die richtige Richtung zu bewegen. Dazu zähle ich auch den Erfolg unseres Innenministers Peter Beuth, der das Problem der Vollverschleierung erkannt und durch ein Verbot der Vollverschleierung im neuen Tarifvertrag des Landes Hessen verankert hat. Ein weiterer Punkt, der mich froh stimmt, ist das Vorgehen gegen die salafistische Bewegung in Deutschland und hier ist Hessen Leuchtturm unter allen anderen Bundesländern.

Wir dürfen aber jetzt nicht Halt machen. Der erste Schritt ist getan, aber nun gilt es, ein allgemeines Verbot der Vollverschleierung im öffentlichen Raum zu erwirken. Des Weiteren müssen wir es schaffen, ein bundesweites Betätigungsverbot für Salafisten und salafistische Hass-Prediger zu erwirken, welches zudem gewährleistet, dass Salafisten nichts an deutschen Schulen zu suchen haben, um mit ihren Propagandamaßnahmen für sich zu werben. Nur so schaffen wir es, dass ein weiterer Anstieg von Parallelgesellschaften verhindert werden kann und wir weiterhin in unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung friedlich zusammenleben können. Denn wir haben nur eine gemeinsame Zukunft und nur eine Heimat.
„Die Gewöhnung stumpft unsere Sinne ab“ sagte schon de Montaigne. Deshalb müssen wir immer hellwach bleiben und dürfen die Fehler der letzten 60 Jahre in der Integrationspolitik nicht wiederholen.

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