Es scheint viel zu wenig echte politische und historische Bildung in Deutschland zu geben, nicht für die Schüler, sondern vor allem für die Politiker des Brandmauerkombinats zu Fragen der Demokratie, insbesondere der repräsentativen Demokratie, des demokratischen Staates, des Parlamentarismus und der Achtung des Wählers. So bedürfen Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer und Sachsens SPD-Chef Henning Homann dringend einer Unterweisung darüber, was ein Parlament ist und welche Rechte und Pflichten es hat. Ein Parlament setzt sich zusammen aus den gewählten Vertretern der Wähler, Abgeordnete genannt. Sie repräsentieren nicht nur den Wählerwillen, sondern sollten eigentlich die Interessen ihrer Wähler vertreten. Das ist nicht immer so, beispielsweise bei Annalena Baerbock, die deutlich gesagt hat, dass sie die Interessen der Ukraine vertritt, ganz gleich, was ihre deutschen Wähler davon halten.
Die Aufgabe des Parlaments besteht darin, dass dort – und nur dort! – die öffentlichen Angelegenheiten debattiert und schließlich dort die entsprechenden Gesetze und Verordnungen, aber auch Willensbekundungen, Resolutionen und Stellungnahmen zu Ereignissen mit gesellschaftlicher Relevanz beschlossen oder abgelehnt werden. In Sachsen soll nun nach dem Willen der CDU und der SPD das Parlament zu einer bloßen Scheinveranstaltung degradiert werden, indem die politische Auseinandersetzung aus dem Parlament genommen und der Öffentlichkeit entzogen werden, indem man sie in nicht öffentliche Kungelrunden verlagert. Weniger Achtung kann man vor dem Parlament und vor dem Wähler, genauer vor mindestens 31 % aller Wähler nicht an den Tag legen, heftiger kann man das Parlament nicht verachten, indem man es zur Attrappe macht.
Michael Kretschmer will in Sachsen mit der SPD eine Minderheitsregierung bilden, weil er sich schließlich mit dem BSW nicht einigen konnte und der Druck in der eigenen Partei gegen eine Koalition mit dem BSW zu groß wurde. Kultusminister Christian Piwarz (CDU), der König des Lehrermangels und Held des Niedergangs des sächsischen Bildungswesens, gab auf einer Pressekonferenz in Dresden bekannt: „Es wird einen Konsultationsmechanismus geben, der dem eigentlichen Gesetzgebungsprozess vorgelagert ist“. Die Landtagsabgeordneten sollen über Projekte der Landesregierung frühzeitig informiert werden, um sich daran zu beteiligen. Änderungsvorschläge und Ideen könnten dann eingearbeitet werden, bevor im Parlament abgestimmt wird. Wozu soll dann eigentlich im Parlament noch abgestimmt werden, wenn bereits vorher alles ausgekungelt wurde? Das Ganze wirkt ein wenig wie mittelalterliche Feme, wie politischer Exorzismus, Inquisition und Ketzerverfolgung. Zumindest scheint sich SPD-Chef Hohmann in diesen geistigen Welten zu bewegen, wenn er deutlicher als Piwarz wird, worum es eigentlich geht, denn trotz des lästigen Gesetzgebungsverfahren werden in den vorgelagerten Konsultationen AfD-Abgeordnete „keinen praktischen Einfluss mit ihren ketzerischen, mit ihren antisozialen Thesen auf Politik in Sachsen“ erhalten. Glaubenskrieger Homann geht es also um Ketzerverfolgung, darum 31 % der sächsischen Wähler jeden Einfluss auf die Gesetzgebung im Freistaat zu verwehren. Angesichts dessen stellt sich schon die Frage, ob der Begriff Frei-Staat noch angemessen ist.
Der sächsische AfD-Chef Jörg Urban hat leider recht, wenn er kritisiert, dass der Wählerwille „verhöhnt“ wird. Aber der Wählerwille wird nicht nur verhöhnt, sondern Geist und Buchstaben der Landesverfassung werden suspendiert. Im Artikel 48 heißt es: „Die Verhandlungen des Landtages sind öffentlich…“ Von einem Konsultationsmechanismus ist dort nicht die Rede, auch nicht, dass die Entscheidungen im Konsultationsmechanismus fallen, sondern der: „Landtag beschließt mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen…“ Und zwar öffentlich. Und falls weder Michael Kretschmer, noch Henning Homann in der Lektüre der sächsischen Landesverfassung bis zum Artikel 52 gekommen sind, soll er hier lieber zitiert werden: „Der Landtag bildet ständige Ausschüsse.“ In diesen Ausschüssen finden die Konsultationen statt, werden bei Bedarf Experten geladen. Die Ausschüsse sind die verfassungsmäßigen Orte der Konsultationen, die nach Wählerwillen besetzt sind. Die sächsische Landesverfassung bietet also ein ausgezeichnetes und staatsrechtlich einwandfreies Verfahren zur Beratung, Qualifizierung und schließlich Abstimmung über Gesetze und Projekte.
Wenn man aber mit dem Konsultationsmechanismus ein Schattengremium schafft, dann wird das durch die Verfassung geschaffene Gremium zum Schatten, dann wird die Verfassung zum Schatten, dann wird die Demokratie zum Opfer der Bürokratie, die Legislative zum Opfer der Exekutive. Worum es aber eigentlich geht, versucht Kretschmer zu verheimlichen, ohne, dass es ihm wirklich gelingt. Kretschmer behauptet, dass auch die AfD Fraktion befragt wird, muss er ja, weil er die Opposition nicht aus dem Gesetzgebungsverfahren ausschließen darf, aber eben am Anfang und dennoch werde es mit der AfD keine Zusammenarbeit geben, die Abgrenzung bleibe bestehen. Also die AfD wird gefragt, aber ihre Antworten hört man nicht an oder sie wandern gleich in den Papierkorb? Hohmann von der SPD bestätigt den Verdacht, wenn er sagt, dass die AfD-Abgeordneten „keinen praktischen Einfluss mit ihren ketzerischen, mit ihren antisozialen Thesen auf Politik in Sachsen“, haben, denn in Sachsen werden wieder Ketzer ausgeschlossen.
Aber im Grunde ist der sogenannte Konsultationsmechanismus nur ein anderer Name für eine informelle Koalition mit dem BSW. Weil Kretschmer einerseits zu viel Ablehnung in der eigenen Partei erfährt, von nicht wenigen Mitgliedern, die eher einer Zusammenarbeit mit der AfD zuneigen und wenig Verständnis dafür besitzen, auf der Blockflöte zu spielen in der Zusammenarbeit mit den Postkommunisten. Andererseits Wagenknecht eine Regierungsbeteiligung in Sachsen, noch dazu mit Abstrichen an den eigenen Forderungen gerade mit Blick auf die Bundestagswahl ungelegen kommt, ist doch der Konsultationsmechanismus ein hübsches Potjomkinsches Dorf, hinter dessen Kulissen man sich in einer informellen Koalition trifft. Jedenfalls lehnt das BSW den Konsultationsmechanismus nicht ab, zeigt sich offen für eine Zusammenarbeit, weil man sich natürlich „guten Lösungen nicht verschließen“ werde.
Aber Kretschmers Problem scheint eigentlich darin zu liegen, dass er Angst vor den Roten und vor den Grünen hat, mit denen er es sich nicht verderben will, weder in Sachsen, aber erst recht nicht im Bund, denn Kretschmer will nach Berlin. Und man weiß ja nicht, ob es zu einer schwarz-grünen oder zu einer Großen Koalition im Bund kommt. Hätte Kretschmer einzig und allein Sachsen im Blick, müssten seine Entscheidungen anders aussehen. Also taktiert er, er muss nur aufpassen, dass er sich am Ende nicht einmal zu viel um die eigene Achse gedreht hat.