Tichys Einblick
Der Fall P. Diddy:

Im Hinterzimmer des schönen Scheins

Seit September befindet sich P. Diddy wegen zahlreicher Anschuldigungen in Untersuchungshaft. Auf den von ihm organisierten Orgien, bei denen sich Promis (nicht nur) die Klinke in die Hand gaben, soll sexueller Missbrauch Minderjähriger stattgefunden und sogar Menschenhandel eingeleitet worden sein.

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Politik wird in den Parlamenten gemacht. Oder auf der Straße. Oder in Hinterzimmern. Letzteres ist zwar nicht ideal, aber man ist bereit, es bis zu einem gewissen Grad zu akzeptieren. Aber es gibt Lagen des öffentlichen Lebens, deren Existenz man zwar immer wieder erahnt, die im Alltag aber allzu oft verdrängt werden, da sie anzuerkennen weitreichende Konsequenzen hätte. Egal wie schlecht die Politik der Regierung ist, es ist bequemer sich über sie zu echauffieren, anstatt über die Realität mafiös agierender Netzwerke, die mit Drogen, Sex und Menschenhandel Abhängigkeiten erzeugen, die weite Teile der Reichen, Schönen & Mächtigen zu Marionetten machen, nachzudenken.

Einst war es Marc Dutroux, dann Jeffrey Epstein, nun ist es P. Diddy. Dazwischen waren es die nie geklärten Fälle rund um Pizzagate und John Podesta. Und zahlreiche ähnliche Fälle, die nie geklärt, als Verschwörungstheorien diffamiert oder einfach unter den Teppich gekehrt wurden. Eine wiederkehrende Gemeinsamkeit ist, dass Kronzeugen, Kläger, Ermittler und Journalisten oftmals tragisch ums Leben kommen. Suizide oder Unfälle setzen diesen Fällen oft einen unerwarteten Schlusspunkt. Die Sorge um die leibliche Unversehrtheit des US-Rappers P. Diddy ist also mehr wie gerechtfertigt.

Seit Mitte September befindet sich der Rapper und Musikproduzent, der mit bürgerlichem Namen Sean Combs heißt, in Untersuchungshaft. Die von ihm angebotene Kaution in Höhe von sage und schreibe 50 Millionen US-Dollar lehnte das Gericht ab. Neben sexuellem Missbrauch und Betäubung von einer Reihe von Opfern, sowohl männlichen als auch weiblichen Geschlechts, steht bei P. Diddy auch der Vorwurf des sexuellen Menschenhandels, u.a. Minderjähriger im Raum. Dies verleiht dem Fall eine Dimension, die selbst jene des Falls Epstein übersteigt.

Öffentlich zur Schau gestellter Sonderstatus der Eliten

Denn im Gegensatz zum Fall von Epstein, der einzelnen Mitgliedern der gesellschaftlichen Elite auf seiner Privatinsel Fallen stellte, agierte P. Diddy im großen Stil und fast schon öffentlich. Bereits im Jahr 2002 erzählte der Rapper in der Late-Night-Show von Conan O’Brien lachend von seinen “Freak-Off” genannten Partys. Stand heute würde man diese wohl eher als Orgien bezeichnen. Beiläufig scherzte Combs damals, dass die Türen versperrt und die Atmosphäre bewusst sexuell aufgeheizt würde. Ob Moderator O’Brien sein Unwohlsein damals nur spielte, oder tatsächlich unangenehm berührt war, wird sich nicht glaubwürdig eruieren lassen, wichtig ist nur, dass es sich bei diesen Vorgängen keineswegs um Geheimnisse handelte.

Das Internet steht voll von Videos von P. Diddy, unter anderem mit dem minderjährigen Justin Bieber, die angesichts der Anschuldigungen an den Rapper die Frage aufwerfen, wie es möglich war, dass in all den Jahren niemand mitbekam, was für Dinge vorgingen. Die Wahrheit ist aber wahrscheinlich, dass fast alle es wohl mitbekommen haben, die Menschen aber entweder kompromittiert waren, oder diesen Lebensstil als Teil des Privilegs der Reichen & Schönen erachteten. Drogen, Sex, tun und lassen was man möchte: All das muss vielen Neuankömmlingen wie der erhoffte Sonderstatus erscheinen, für den sie wohl bereit waren, vieles zu tun und noch viel mehr zu übersehen.

Aber nicht jeder machte freiwillig mit, sonst gäbe es keine Kläger. Natürlich gilt es auch hier Vorsicht walten zu lassen, denn bereits im Fall der #metoo-Klagen im Zuge der Vorwürfe an Harvey Weinstein und andere stellte sich die Frage, ob es nicht zumindest in Teilen auch in der Verantwortung der Kläger lag, sich auf bestimmte Situationen erst gar nicht einzulassen. Doch im Fall von P. Diddy stellen sich die Anschuldigungen deutlicher dar. Nicht nur, dass angeblich viele Betroffene unter Drogen gesetzt oder betäubt wurden, sie sollen dabei auch mit versteckter Kamera gefilmt und im Falle des Falles erpresst worden sein.

Gemeinsam vollzogener Exzess als Verschwiegenheitsgarantie

Wie immer stellt sich dabei die Frage des cui bono. Ausschweifende Sex-Parties mögen noch dem Fetisch neureicher Promis entsprechen, doch Erpressungen müssen nicht zwingend nur der finanziellen Bereicherung dienen. Angesichts der engen Verbindungen zwischen Promis und Politik müssen etwaige Erpressungen auch im politischen Kontext betrachtet werden. Ähnliches galt auch bei den nie vollends geklärten Vorwürfen rund um kompromittierendes Bildmaterial im Besitz von Jeffrey Epstein.

Die Vermutung, dass Epstein nicht nur ein skrupelloser Geschäftsmann, sondern eher ein Produkt eines Geheimdienstes war, steht unbeantwortet im Raum. Wie aber verhält es sich bei P Diddy? Im Gegensatz zu Epstein, ist der Werdegang von Sean Combs recht gut dokumentiert, er tauchte also nicht gefühlt aus dem Nichts auf. Dennoch ist bei solchen Ausschweifungen der Faktor Macht nicht wegzudenken, denn selbst ohne explizite Erpressungen gleicht die Anwesenheit bei den Freak-Offs einem Geheimpakt, der alle Anwesenden in ihrer Hemmungslosigkeit miteinander verschweißt.

Solche Orgien sind auch nicht neu. Ob nun unter Eliten oder in sogenannten Künstlerkreisen, sind diese Ausschweifungen so alt, wie der sie bevölkernde Stand. Dabei darf bei allen Anschuldigungen nicht vergessen werden, dass die Teilnahme an diesen Orgien zwar einem gewissen Gruppenzwang unterliegt, dabei aber unterbewusst auch oft ein Kalkül mitschwingt. Wer der Verlockung zur Sünde erliegt, kann – zumindest moralisch – keinen Freispruch erwarten, nur weil er davor Gewissensbisse hatte.

Wären es aber nur Orgien, die im Raum stünden, dann würde dies zwar am Stuhl moralischer Überlegenheit dieser Eliten sägen, die ansonsten so gerne das Fußvolk über Moral belehren wollen, es wäre aber nicht strafbar. Doch die Tatsache, dass auch Minderjährige und sexueller Menschenhandel im Raum stehen, ließ halb Hollywood in Windeseile notdürftige Dementis verfassen, plötzlich wollte niemand Diddy seit Jahren gesehen haben.

Ganz zu schweigen von jenen Spekulationen über mögliche satanische Rituale, die solche Anschuldigungen fast immer notgedrungen begleiten. Doch bei aller legitimen Sorge um die in Hollywood und der Musikindustrie offen zur Schau gestellte Vorliebe für satanisch anmutende Bildsprache, führen auch diese Spekulationen meist ins Leere und verleihen der berechtigten Sorge oftmals den Hauch der anrüchigen Verschwörungstheorie.

Ist die Gesellschaft bereit für eine Demaskierung?

Im Mai 2025 soll es zum Prozess gegen Sean Combs kommen. Aber wie realistisch ist es, dass tatsächlich die Namen aller Beteiligten offengelegt werden? Dass nachweislich festgestellt werden kann, dass dieser Schauspieler oder jener Politiker wissentlich an sexuellem Menschenhandel beteiligt war? Ungefähr so wahrscheinlich, wie die Offenlegung aller Geheimdienstenakten zur Ermordung von John F. Kennedy oder dem 11. September.

Denn es geht bei solchen Skandalen eben nicht nur um einzelne Täter, um das absehbare Bauernopfer, sondern um weite Kreise einer verschworenen Schicksalsgemeinschaft, die gemeinsam einen hierarchischen Machtblock bilden. Sollte dieser in seiner Gesamtheit zur Rechenschaft gezogen werden, käme das einer Revolution gleich und ein anderer Machtblock würde sich an dessen Stelle begeben. Bereits die #metoo-Bewegung galt weniger der Zerschlagung hierarchischer Strukturen, als vielmehr deren (begrenzter) Umgestaltung.

Öffentlich vollzogene Revolutionen aber wirken destabilisierend. Künstler, Promis und Politiker formen dabei gemeinsam eine eigentlich stabilisierende gesellschaftliche Schicht, die den Massen einen moralischen und politischen Rahmen bietet. Wer diesen Rahmen mit einem Ruck entfernt, riskiert, das gesellschaftliche Bild ernsthaft zu beschädigen. Das heißt nicht, dass es nicht höchste Zeit wäre, diesen Schleier hinfort zu reißen. Aber es darf bezweifelt werden, dass die Gesellschaft dafür bereit ist.

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