Tichys Einblick
Dunkelflaute in Deutschland

Der Novemberblues der Energiewende

Vier Feinde behinderten den Aufbau des real existierenden Sozialismus: Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter. Nun erschweren sie die Große Transformation. Wollte man früher den Jahreszeiten trotzen, werden wir ihnen heute folgen. Die Naturkräfte werden das Leben nach der Transformation bestimmen.

picture alliance / galoppfoto | Sabine Brose Sorge

Es liegt in der Natur der Sache, nämlich der Neigung der Erdachse auf der Umlaufbahn um die Sonne, dass wir verschiedene Jahreszeiten mit sehr verschiedenem Wetter haben. Justament in der kältesten Zeit des Jahres ist unser Energieverbrauch am höchsten und die Energiezufuhr durch solare Wärme am geringsten. Das ist ungünstig, wenn man sie zum „Rückgrat“ unserer Energieversorgung machen will. Dennoch gibt es in Deutschland maßgebende Kräfte, die der Welt beweisen wollen, dass Wind- und Solarenergie ein Industrieland versorgen können.

Eben sind zwei Novemberwochen vergangen, in denen die Naturkräfte uns nur sehr sparsam Energie lieferten. Wenig Wind und kaum Sonne ließen das Stromangebot sinken und die Preise steigen. Die Bezeichnung der Windkraft als dem „Arbeitspferd“ der Energiewende wurde entlarvt als das, was sie ist – ein Märchen. Ein Arbeitspferd reagiert auf Kommandos, während Windenergie von den Launen der Natur abhängt.

Da der Strommangel im Netz, Folge rückwärtsgewandter männlich gelesener Physik, zwar in grünen Stuhlkreisen besprochen, aber nicht geändert werden kann, waren andere Stromerzeuger im In- und Ausland umfangreich gefordert. Selbst in Frankreich ging am Standort Saint-Avold wieder ein Kohlekraftwerk in Betrieb. Gut, dass es noch nicht stillgelegt wurde.

Der Import trieb die Preise. Der zuständige grüne Minister und Kanzlerkandidat legte seine ganz eigene Sicht dar: Wenn mehr „Erneuerbare“ einspeisen, wird der Strom wieder billiger, also müsse man mehr davon bauen. Dass bei Keinwind unabhängig von deren Anzahl auch Keinwindrad läuft, bleibt bei der vorliegenden und in grünen Kreisen verbreiteten Rechen- und Logikschwäche seiner Erkenntnis versagt.

Nicht nur die Strompreise stiegen, auch die spezifischen CO2-Emissionen pro erzeugter Kilowattstunde. Mit zeitweise mehr als 500 gerieten wir im Ranking der europäischen Staaten ans untere Ende. Unverdrossen halten uns einige Politiker für vorbildhaft und beispielgebend. Realitätswahrnehmung war noch nie die Stärke der Bundesregierungen seit 1998.

Die Dunkelflaute und ihre Folgen wurden in den sozialen Medien viel diskutiert, es überwogen Bedenken und Entrüstung über die eingetretene Entwicklung. Jedoch fanden sich auch Einträge von den Fähnlein der Aufrechten der Energiewende, die mit den bekannten Beschwichtigungen und Schuldzuweisungen aufwarteten. Das Ausland helfe uns, das sei halt in einem europäischen Markt ganz normal. Nein, das ist nicht normal. Das europäische Netz ist in hundert Jahren gebaut und ausgebaut worden, um vor allem Sicherheit zu geben und sich zu helfen in Störungsfällen. Natürlich läuft darüber auch der Handel, aber es ist nicht der Geist europäischer Zusammenarbeit, sein eigenes Energiesystem so weit zu schrumpfen, dass eine sichere Eigenversorgung nicht mehr möglich ist und man importabhängig wird.

Auch können im europäischen Netz grüne Zukunftsträume nicht realisiert werden. Sonnenstrom aus dem Süden im Sommer nach Skandinavien zu liefern und Windstrom von dort im Winter retour, das bleibt Theorie. Große Mengen über große Entfernungen zu liefern, ist genauso unmöglich, wie Strom bei Dunkelflaute mit großen Überkapazitäten von Wind- und PV-Anlagen überhaupt zu liefern. Einige vermuten, wir selbst hätten noch genug Reserven gehabt, die nur aus Preisgründen nicht betrieben worden wären. Sicher ist, dass bei Preisen von bis zu 820 Euro pro Megawattstunde in Deutschland alle am Markt tätigen und betriebsfähigen Kraftwerke in Betrieb waren. Bis zu 700 Megawatt kamen sogar aus alten Öl(!)kraftwerken mit schlechten Wirkungsgraden und hohen Emissionen.

Hohe Strompreise am Markt machen das möglich, was auch eine weitere grüne Hoffnung zerstört. Die lautet, dass der Kohleausstieg 2030 von ganz allein kommt, wenn die CO2-Zertifikatepreise steigen und die Anlagen unwirtschaftlich und aus dem Markt gedrängt werden. Sicher, die Zertifikatepreise werden weiter steigen, die Strompreise aber auch. Entscheidend ist der „Clean Spread“, die Differenz von Strompreis minus Gestehungskosten inklusive CO2-Zertifikatekosten. Bleibt dieser Wert positiv, bringt der Weiterbetrieb Gewinn. Seit Anfang 2023 ist der CO2-Preis von etwa 100 auf heute 65 Euro pro Tonne gesunken. Zurzeit machen die Fossilstromer also gute Geschäfte und das wird noch länger so bleiben.

Ein weiterer Vorwurf lautet, die Regierung hätte den Netzausbau verschlafen, was erst recht fehl geht, denn wenn Strom nicht da ist, muss er nicht transportiert werden. Ach ja, und natürlich die Speicher, die man längst hätte bauen müssen. Welche Kapazität hätten wir gebraucht? Legen wir einen durchschnittlichen Import von 9 Gigawatt im Zeitraum vom 1. bis 10. November zu Grunde, hätten zur Eigenversorgung 2.160 Gigawattstunden gefehlt. Das wäre die 27-fache Kapazität, die wir heute an Batterie- und Pumpspeicherkapazität haben. Mit jedem weiteren abgeschalteten konventionellen Kraftwerk erhöht sich die nötige Kapazität.

Dennoch wird jede neue Batterie, die ans Netz geht, wie ein Messias gefeiert. Bei Arzberg im Fichtelgebirge ging ein „Riesen-Batteriespeicher“ mit 200 Megawattstunden Kapazität in Betrieb. Das macht Sinn für die schnelle Netzregelung, wo es sich auch rechnet, das macht keinen Sinn für die Überbrückung von Dunkelflauten. Das Kernkraftwerk Isar 2 hätte diesen Speicher in theoretisch 8 Minuten vollgeladen, nach einer Stunde Dunkelflaute wäre er wieder leer gewesen. Er nützt wenig, kostet aber 110 Millionen Euro.

Die Wasser-Stoffwechselstörung

Und wieder ruft jemand aus dem Hintergrund „Wasserstoff“. Wann wie viel Wasserstoff zu welchem Preis zur Verfügung stehen wird, kann nicht beantwortet werden, dennoch ist es nun das einzige Pferd, auf das die Bundesregierung unser Land in der Zukunft setzen will. Nur bei drei Prozent der vorgesehenen Elektrolyseure gibt es eine Investitionsentscheidung, die allermeisten Ideen der Wasserstoffgewinnung und -verarbeitung haben das Stadium einer Powerpoint-Präsentation nicht verlassen.

Selbst Agora Industrie geht davon aus, dass die Kosten für grünen Wasserstoff im Jahr 2030 zwei- bis dreimal höher liegen werden als angenommen und insgesamt das Siebenfache des Erdgaspreises erreichen. Maßgebend ist dafür der Strompreis, der auf vier Cent pro Kilowattstunde oder weniger sinken müsste, um annähernd Wirtschaftlichkeit zu erreichen. Das ist schlicht Utopie im dauerprogressiven Deutschland, in dem das Abschalten von Kraftwerken Priorität hat. Der H2-Preis ist für die Abnehmer weitab von jeglicher Wirtschaftlichkeit. Der Import von grünem Wasserstoff soll es richten, aber der norwegische Konzern Equinor hat ein Pipelineprojekt nach NRW gestoppt, die Dänen ein solches auf mindestens 2031 verschoben. Sie wollen eine Abnahme- und Preisgarantie.

Die HH2E AG meldete Insolvenz an. Ein Vorhaben, südlich von Leipzig, aus Elektrolyse-Wasserstoff Kerosin herzustellen, erwies sich als wirtschaftlich nicht darstellbar. Bei der Projekteröffnung war von einer Vorreiterrolle für die Luftfahrt und einem Leuchtturmprojekt die Rede. Ein weiterer Leuchtturm der HH2E bei Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern mit einer gewaltigen 1000-Megawatt-Anlage hat nach Absprung eines Investors vorerst das Licht ausgemacht.

Auch das Westküstenprojekt Hyscale 100 in Schleswig-Holstein, schon wieder ein „Leuchtturm“, mit einem 100-Megawatt-Elektrolyseur, eines aus dem Programm „Reallabore der Energiewende“, endete nach drei Jahren Vorbereitungs- und Projektierungsarbeit. Es rechnet sich schlicht nicht, trotz 36 Millionen Euro Förderung. Das Geld ist nicht weg, nur woanders. Uniper streckt vorerst sein grünes Investitionsprogramm von acht Milliarden Euro über einen längeren Zeitraum bis Anfang der 30er-Jahre. Auch im Ausland sind die Erfolgsmeldungen knapp. Trotz des Inflation Reduction Act (IRA) in den USA reichen die Steuererleichterungen für Investoren nicht aus. Bei Bayton, Texas und Rochester, New York, sind Wasserstoffprojekte mangels Finanzierbarkeit gestoppt worden.

Das beeindruckt unsere noch amtierende Regierung nicht. Sie leidet offenbar an einer Wasser-Stoffwechselstörung und wirft weiter Geld in das Fass ohne Boden. Der „Wirtschaftsminister“ geht nach eigenem Bekunden voll ins Risiko, „vielleicht gelingt es ja auch“. Und wenn nicht? Es gibt keinen Plan B, nur eine Idee, die an Maos „Großen Sprung nach vorn“ von 1959 erinnert. Damals wurden Großbetriebe wie Stahlwerke geschlossen, um in kleinen dörflichen Hochöfen zu produzieren. Wir schließen große verbrauchernahe Kraftwerke, um aus kleinen über das Land verteilten Zufallsstromerzeugern Strom zu gewinnen, der teuer über das ganze Land eingesammelt werden muss. Dann wundern wir uns, dass manchmal der Wind nicht weht.

Zu viel oder zu wenig

Wohin geht der Trend der deutschen Stromerzeugungstechnologien? Er geht von der Kernspaltung zur Vogelspaltung und zur Wasserspaltung. Das hat Folgen. Je nach Wetter und Jahreszeit haben wir zu viel oder zu wenig Strom, niemals aber bedarfsgerecht. Manchmal, wie jetzt im November, stehen fast alle Windkraftanlagen still. Sie stehen aber nicht nur so rum, sie ziehen auch noch von dem knappen Strom im Netz etwas ab für ihren Standby-Bedarf. Dafür gibt es im Sommer zu viel Strom, aus dem wir künftig (ohne Terminangabe) grünen Wasserstoff machen, der verlustreich gelagert und im Winter mit einem Gesamtwirkungsgrad von weniger als 25 Prozent rückverstromt werden soll. Gleichzeitig sollen die Sektoren Wärme und Mobilität elektrifiziert werden.

„Kommunismus ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes“, sagte Lenin. Grüne Energiepolitik ist deutscher Größenwahn plus E-Mobilität plus Wärmepumpe. Das offensichtliche Scheitern dieses Vorgehens wird kaum benannt, vor allem nicht von der betroffenen Industrie. Eine Ausnahme macht Thyssen-Krupp-Chef Lopez, der die Subventionierung von Wind- und Solarenergie grundsätzlich in Frage stellt.

In den sogenannten Qualitätsmedien gibt es eher Sparsamkeit in der Berichterstattung über die Dunkelflaute, abgesehen von „Welt“, BZ-Berlin und einigen kleineren Erzeugnissen. Es gibt auch dringendere Schlagzeilen wie den Ausgang des „Kopf-an-Kopf-Rennens“ bei den US-Präsidentschaftswahlen und eine bundespolitische Debatte nach dem Platzen der Ampel-Regierung (auf dem Niveau von „Nein, Herr Merz, die Ente bleibt draußen …“).

Einige Versorger sahen sich zur Aussage genötigt, dass die Versorgung gesichert sei. Zeitpunktgerecht erschien eine Meldung von dpa, dass sich Stromausfälle „im normalen Rahmen“ bewegen, wobei man sich auf den sogenannten SAIDI-Wert bezieht, der Stromausfälle bei Endkunden von mehr als drei Minuten erfasst. Informationen, die die Bevölkerung verunsichern könnten, sollen vermieden werden.

Wie groß ist die Gefahr wirklich? Professor Markus Löffler vom westfälischen Energieinstitut (WIE) beschäftigte sich intensiv mit der Schwankungsproblematik im Netz und stellt fest, dass die geplanten steuerbaren Ersatzkraftwerke auf Gas- oder Wasserstoffbasis bei weitem nicht ausreichen werden. Folgerichtig empfiehlt er, den Ausbau der „Erneuerbaren“ zu reduzieren. Insgesamt müssten 150 Gigawatt abrufbarer Leistung in Deutschland bereitstehen. Die Leopoldina Nationale Akademie der Wissenschaften veranschlagte vor einigen Jahren 100 Gigawatt und musste sich dafür von der grünen Szene stark kritisieren lassen.

Nicht nur der Mangel kann zum Problem werden, der Überschuss ist möglicherweise gefährlicher. Auch hier spielen Wetter und Jahreszeit eine maßgebende Rolle. Wir kennen Ostern, Pfingsten, Himmelfahrt und sonnige Sommerwochenenden, wo eine hohe PV-Stromerzeugung einem geringen Verbrauch gegenübersteht. An verlängerten Wochenenden pausieren oft auch mittelständische Firmen, die sonst am Wochenende durcharbeiten. Nach dem Mittagessen an einem sonnigen Pfingstsonntag geht es aufs Sofa oder an den Baggersee, dafür braucht es wenig Strom. Aber 29 Gigawatt Sonnenstromkapazität oder ein Drittel der insgesamt installierten PV-Leistung ist nicht fernsteuerbar und damit nicht abregelbar. Das kann in den Verteilnetzen zu instabilen Situationen führen, denn die Netzregelung erfolgt nach wie vor über die Höchstspannungsebene.

Denken schadet der Illusion (Hildegard Knef). Die Grünen haben einen negativen Wissensvorsprung und werden uns weiter die Welt erklären wollen. Grün sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen zu tun – im Sinne der dahinter stehenden Lobby. Ungeachtet der Jahreszeit – von deutschem Boden sollte nie wieder eine Energiewende ausgehen.

Wie geht es weiter? Das System wird zunehmend „auf Sicht“ gefahren werden müssen, um kurzfristig die Versorgung der nächsten Wochen und Tage zu sichern. Hochfliegende Erwartungen an einen schnellen Netzausbau und eine Wasserstoffwirtschaft werden versanden. Die Versorgungssicherheit kommt in den Sonntagsreden weitgehend folgenlos vor. Eine ähnliche Wetterlage wie im November würde im Januar auf Grund niedrigerer Temperaturen deutlich kritischer. Die Franzosen heizen gern mit Strom, der dann nicht nach Osten über die Grenze geht.

Wir können auf einen gnädigen Wettergott hoffen, aber wer zum Regentanz geht, sollte wenigstens einen Schirm mitnehmen.


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