Friedrich Merz hat noch einmal bekräftigt, dass Neuwahlen stattfinden müssen, jawohl, wirklich Neuwahlen. Na gut, nicht gleich im Januar, wie er gerade eben einlenkt, das wäre ja falsch verstandene Demokratie, sozusagen Demokratieextremismus. Aber im Februar, ja im Februar! Oder vielleicht doch lieber Anfang März? Der 16. März wäre noch akzeptabel, aber der 23. März wirklich nicht mehr? Das ginge gar nicht. Eine kleine Nachfrage stellt sich noch: März 2025? Oder besser März 2026? Schließlich muss die von Nancy Faeser berufene Bundeswahlleiterin dafür sorgen, dass die Wahlen entsprechend der neuen Definition für Demokratie demokratisch ablaufen. Nach jüngsten Meldungen sollen sich Union und SPD auf den 23. Februar, wir nehmen an 2025 und nicht 2026, als Termin für die Wahl des Bundestages geeinigt haben.
Es blockparteit in der CDU übrigens gewaltig. Der Wähler darf sich entscheiden zwischen Bohnen- oder Erbsensuppe, aber Suppe bleibt es. Wer ein Schnitzel will, ist rechts, ist ein „Schreihals“, ein „Extremist“. Ein Schnitzelschreihalsextremist.
In ihrer Freund-Feind-Rhetorik erinnern zuweilen die demokratischen Parteien des demokratischen Sektors des Bundestages an die Blockparteien des demokratischen Sektors von Groß-Berlin.
Deutschland steht kurz vor dem freien Fall: wirtschaftlich, politisch, kulturell. Die politischen Eliten des Brandmauerkombinats haben die innere Sicherheit gegen die innere Unsicherheit eingetauscht. Sie schauen lethargisch dem Zerfall der Infrastruktur zu, betrachten den Zusammenbruch des öffentlichen Verkehrs als Putins Werk, der ohnehin an allem schuld ist, vor allem an dem, was der Ampel misslingt, weil die Ampel nicht schuld sein kann. Die Flucht der Fluggesellschaften aus Deutschland wird als Sieg über – worüber eigentlich nochmal? – gefeiert. Die Deutschen werden bald jeden Spatzen beneiden, weil der fliegen kann. Das Fliegen wird bald schon der Oberklasse von Neu-Versailles, den Habecks, den Baerbocks, den Merz´, den Faesers und den Neubauers, den Tina Hassels vorbehalten bleiben.
Jeder außerhalb der Berliner Blase, außerhalb von Neu-Versailles spürt, dass sich grundlegend etwas ändern muss. Und immer mehr Menschen in diesem Land erkennen, dass der Horizont der neuen Aristokratie an der Bezirksgrenze von Berlin Mitte endet, weil die neue Oberschicht ihre abgehobenen politischen Spielchen mit der Wirklichkeit verwechselt. Die Liste bizarrer Beispiele wird immer länger. Anspruch auf die Spitze bizarrer Ideen dürfte momentan noch die SPD mit ihrem Vorschlag erheben, die Vertrauensfrage früher zu stellen, wenn die Union im Gegenzug bereit ist, einige Gesetze, die der SPD am Herzen liegen, mit abzunicken.
Wenn die Union bereit ist, einige Vorhaben der SPD mit durch den Bundestag zu bringen, „wenn wir eine solche Agenda vereinbaren können“, so der SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich in der Süddeutschen Zeitung, „dürfte es nach der angekündigten Gesprächsbereitschaft des Kanzlers leicht gelingen, einen sinnvollen Termin für die Wahl zu finden.“ Wer das für eine Erpressung hält, ist ein Extremist, schlimmer noch ein Populist, noch viel schlimmer ein Demokrat.
Welchen Umrechnungskurs schlägt die SPD vor? Wieviel Tage, wieviel Stunden eher, die Vertrauensfrage zu stellen, ist welches SPD-Projekt wert? Wie viel Stunden die Vertrauensfrage eher gestellt bedeuten die Zustimmung zum Kindergeld, wie viele Stunden das Deutschlandticket? Belehrt die SPD gerade den Wähler darüber, wie „demokratische Parteien“ miteinander umgehen? Geschieht das, wenn der Bürger seine Stimme abgegeben hat? Hat der Wähler überhaupt eine Wahl? Oder hat der exklusive Klub der Herrschenden in Neu-Versailles bereits festgelegt, entweder herrscht die CDU mit der SPD oder die Grünen mit der CDU über die CDU?
Vorsorglich hat Friedrich Merz bereits im Interview mit dem Stern klargestellt: „Herr Habeck ist ein angenehmer Gesprächspartner.“ Schließlich ist Robert Habeck „studierter Philosoph, promovierter Literaturwissenschaftler und hat Bücher geschrieben.“ Stimmt: Bücher wie „Flug der Falken“ und „Zwei Wege in den Sommer“ und sehr wichtig für die Zukunft: „Kleine Helden, große Abenteuer (Band 2): Neue Vorlesegeschichten“, indem auch Emily aus erster Hand erfährt, „wie aufregend ein nächtlicher Stromausfall sein kann.“
Nun sollte man auf das literarische Urteil von Friedrich Merz auch nicht allzu viel geben, denn er zitiert beherzt Brecht mit dem Satz: „Stell Dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin. Dann kommt der Krieg zu Dir.“ Das Dumme ist nur, der Satz stammt nicht von Bertolt Brecht, sondern von dem amerikanischen Schriftsteller Carl Sandburg oder wie es Gerd Buurmann hübsch auf der Achse des Guten dargestellt hat: „Das Gedicht ist somit nicht von Bertolt Brecht, sondern ein lyrischer Cocktail aus Carl Sandburg, Bertolt Brecht, Thornton Wilder, einem anonymen Scherzkeks und einem Schuss Marx – Harpo, nicht Karl!“
Auch Markus Söder scheint in der Abneigung gegenüber den Grünen in der Härte der Ablehnung zu machtschwächeln und postengeschmeidig zu werden.
Das Gebot der Stunde lautet, Verantwortung in der Sache zu übernehmen. Die scheut aber der Liebhaber von Robert Habecks literarischen Werken Friedrich Merz.
In meiner in wenigen Tagen erscheinenden Biographie über Angela Merkel analysiere ich Merkels Weg zur Macht, gehe der Frage nach, in welcher Verfassung die CDU und das Land war, dass die Eroberung der Macht Angela Merkel so vollständig gelingen konnte. Und es gelang ihr, so die bittere Wahrheit, weil auch Friedrich Merz damals nicht über das Format verfügte, sich gegen sie durchzusetzen. Das Schicksal oder die Geschichte oder der liebe Gott – ad libitum – hat ihm noch einmal die Chance gegeben, Format zu beweisen, vergangene Fehler nicht zu wiederholen. Doch ich fürchte, er hat damals zurecht verloren, wie er wieder verlieren wird, auch wenn er vorübergehend Kanzler einer schwarz-grünen oder einer schwarz-roten Koalition wird. Ihm fehlt das Macht-Gen, die letzte Kaltblütigkeit. Er bleibt der nette Friedrich aus dem Sauerland, der gefallen will. Allerdings steht dann die Frage, ob er, wenn er Kanzler wird, es solange wie Olaf Scholz bleibt.
Was zu tun ist, ist klar, Roland Tichy, andere, auch ich haben oft genug die Themen benannt, die angepackt werden müssen. Nicht an Problemanalysen und Lösungsvorschläge mangelt es, es mangelt an der politischen Kraft oder den politischen Willen, diese umzusetzen. Wir haben kein Erkenntnisproblem, wir haben ein Opportunismus-Problem. Bürger und Politiker haben immer weniger miteinander zu tun. Der Souverän in Deutschland ist immer weniger das deutsche Volk, sondern die classe politique, die neue Aristokratie von Neu-Versailles.
Aber eines ist sicher: wenn die Union nicht ihre Aufgabe erfüllt, werden das andere Kräfte, die sich bilden, übernehmen, dann wird die CDU nicht mehr gebraucht, das ist Geschichte – und es ist so sicher wie der Reisesack, der in China umfällt und uns inzwischen immer stärker interessiert, weil Deutschland eine neue Rolle in der sich verändernden Welt finden muss, wenn das Land prosperieren soll. Der Weg dahin ist nicht lang, aber steil. In der Sänfte wird man dahin nicht gelangen. Doch will Friedrich Merz die Sänfte verlassen?