Können Sie sich noch an Heinrich Lohse erinnern? Der Protagonist aus Loriots Pappa ante portas wird mit 59 Jahren in den Vorruhestand versetzt, weil er Schreibmaschinenpapier bestellt hatte. Auf den Einwurf der Mitarbeiterin, sie habe noch „100 Blatt“, erwidert Lohse: „Der blattweise Kauf von Schreibmaschinenpapier ist kaufmännisch nicht zu verantworten. Wenn wir im Großen abnehmen, fällt der Preis bei 500.000 Blatt schon um 35 Prozent und so weiter.“
Lohse erwarb genügend Papier für 40 Jahre. Stolz verkündete er: mit 50 Prozent Kostenersparnis. Der Generaldirektor war davon offenbar weniger überzeugt.
Loriot wollte damit die deutsche Krämerseele karikieren, auf Vorsicht, Voraussicht und Pfennigsparerei bedacht. Es ist aber diese deutsche Seele, nicht zuletzt auch in den einst preußischen Beamtenstuben, die das ökonomische und staatliche Zahnrad am Laufen gehalten hat.
Heinrich Lohse wäre heute ein Held. Denn neben den vielen anderen Ausreden, warum eine Minderheitsregierung, die weder das Vertrauen des Volkes noch das Vertrauen des Bundestags besitzt, im Amt bleiben darf, springt nun die Bundeswahlleiterin bei. Eine vorgezogene Wahl, so Ruth Brand, könnte zu „unabwägbaren Risiken auf allen Ebenen, insbesondere auf Gemeindeebene, führen und Beschaffungsmaßnahmen faktisch kaum realisierbar machen“.
Gleich fünf Punkte führt Brand auf. Hängen bleibt aber vor allem eins: Beschaffungsmaßnahmen. In der Tagesschau dann der Gipfel: Es sei eine „große Herausforderung in der heutigen Zeit, wirklich das Papier zu beschaffen und die Druckaufträge durchzuführen“, sagte Brand.
Das ist gleich nach dem verschlungenen Argument, man wolle dem Bürger (und sich selbst) den Urnengang nicht in der Adventszeit zumuten, eine neue Eskalation. Wie man es dreht und wendet: Soll etwa Papiermangel eine standesgemäße Ausrede sein? Entweder Deutschland ist zu inkompetent für eine Wahl – oder man will sie nicht. Das eine macht das andere nicht besser. Deutschland soll angeblich dazu in der Lage sein, seine Energieversorgung zu „wenden“ und sich selbst zu „transformieren“, scheitert aber an der Vorbreitung einer Wahl. Und das, wo Robert Habeck doch eine Papierfabrik mit 564 Millionen Euro subventioniert hatte.
Übersetzt heißt es: Berlin ist überall. Und so eine Chaoswahl wollen wir ja nicht riskieren.
Andere Länder hatten kein Problem damit, in den vergangenen Jahren vorgezogene Wahlen zu organisieren.
- In Italien trat am 21. Juli 2022 Draghi zurück. Neuwahlen fanden am 25. September statt.
- Am 22. Mai 2024 wurden im Vereinigten Königreich Neuwahlen ausgerufen. Sie fanden am 4. Juli statt.
- Nach dem desaströsen Ergebnis bei den EU-Wahlen löste Emmanuel Macron die französische Nationalversammlung am 9. Juni 2024 auf. Ein erster Wahlgang fand am 30. Juni statt.
Das alles aber ist in Deutschland gar nicht durchführbar, wie uns die Bundeswahlleitung, Medien und Partemänner und -frauen zusichern. Wahlen bedrohen also tatsächlich die demokratische Stabilität.
Seliger Heinrich Lohse, hilf!
Aktualisierung von 17:30 Uhr:
Heinrich Lohse hat sich über die Papierindustrie gemeldet. Diese stellte fest: „Wir haben Papier. Die deutsche Papierindustrie ist sehr leistungsfähig. (…) Bei rechtzeitiger Bestellung können wir das benötigte Papier für eine vorgezogene Bundestagswahl liefern.“
Wir warten gespannt auf die nächste Meldung von Brand. Womöglich liegt es an den fehlenden Radiergummis.