Tichys Einblick
Eher SPD als FDP?

Wissing: Vor allem „sich selbst treu“

Volker Wissing war ein Eckstein der Ampel – weil er bei Verbrenner-Verbot wie bei digitalen Meldestellen liberal mimte, aber links agierte. Seine politische Arbeit steht stellvertretend dafür, wie Rot-Grün-Gelb funktionierte. Nun werden ihm sogar die Staatssekretäre untreu.

picture alliance/dpa | Michael Kappeler

In Verona gibt es neben der Loggia an der Piazza dei Signori einen Torbogen, unter dem die Ratsherren früher zu ihren Sitzungen gehen mussten. Auf dem Bogen thront eine Statue des Mediziners Girolamo Fracastoro, der einen Globus in der Rechten hält. Die Veroneser sagen, dass dem ersten ehrlichen Politiker, der durch den Bogen geht, die Kugel auf den Kopf fällt.

Die Marmorstatue steht seit über 450 Jahren an diesem Platz. Bis heute hält Fracastoro den Marmorball in der Hand.

Wie lohnend ist es also, sich über den Charakter von Politikern aufzuregen? Im Falle von Volker Wissing, der zum vermeintlichen Wohle Deutschlands im Amt als Verkehrs- und Digitalminister bleibt, und dafür aus seiner Partei austritt, wurde offenbar alles gesagt. Spätestens seit gestern Nacht debattiert das Land aufgeregt über die Niedertracht von Politikern, weil der Bundeskanzler in einer wenig souveränen Rede über den Ex-Finanzminister Christian Lindner lästerte wie ein Schulmädchen in ihrer Mittelstufen-Clique.

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Das sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, welche strategische Rolle Volker Wissing in der Ampel-Koalition zukam. TE-Hauptstadtkorrespondent Mario Thurnes hat das heute Morgen bereits belichtet: Wissing war der Architekt von Rot-Grün-Gelb und brachte dafür Erfahrungen aus Rheinland-Pfalz mit.

Als die FDP sich auf den Absprung vorbereitete, kritisierte der Landauer das. Er dürfte in den zahlreichen Ampel-Krisen zu den Beharrungskräften in der Partei gehört haben. Am Ende beharrte er mehr auf der Ampel als auf seiner Parteimitgliedschaft. Er wolle sich „treu bleiben“, sagte Wissing.

Das gilt nicht für jeden. Die Staatssekretäre von Wissing etwa. Die drei parlamentarischen FDP-Staatssekretäre Daniela Kluckert, Oliver Luksic und Gero Hocker haben sich mit ihrem Behördenchef zerstritten und um Entlassung gebeten.

Luksic ist eine Chiffre. Als die DUH mit Bundesfördergeldern Deutschland im Feinstaub-Atem hielt, da war Luksic einer der prominentesten FDP-Männer, der sich für den Diesel und gegen die NGO einsetzte. Luksic hatte sich in der Vergangenheit wie in der Gegenwart also klar positioniert.

Bei Wissing kann man jedoch Zweifel hegen, wie sehr er sich tatsächlich dafür einsetzte, das Verbrenner-Verbot zu kippen. Medial wurde Wissing als Gegner des Verbrenner-Verbots dargestellt. In Wirklichkeit wollte Wissing nur eine Ausnahme bei E-Fuels oder beim Biokraftstoff HVO100 (Hydrotreated Vegetable Oil). In einem Interview sagte Wissing zuletzt im Zuge der EU-Wahl:

„Es macht keinen Sinn, in Zukunft Verbrennungsmotoren mit fossilen Kraftstoffen zu betreiben, dann werden wir ja nicht klimaneutral.“

Vordergründig setzte sich Wissing für „Technologieoffenheit“ ein. Das Zitat lässt aber erkennen, das nicht der Technologiewettbewerb oder der „Markt“, sondern staatliche Vorgaben im Klimasektor ausschlaggebend sind. Und erst recht nicht ökonomische Prinzipien oder gar die Sorge der Geringverdiener, sich in Zukunft überhaupt noch ein Auto leisten zu können.

Eine sehr ähnliche Argumentation verfolgte Wissing bei E-Autos. Noch 2023 forderte er eine Subvention für elektrische Dienstwagen. Dann folgte das Projekt, das Hausbesitzern 10.000 Euro vom Staat zusicherte, wenn sie sich eine Photovoltaikanlage zulegten, um ihr E-Auto zu laden. Sind das tatsächlich die richtigen Anreize?

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2024 sagte Wissing dann zwar, dass man nicht allein auf E-Autos setzen könne. Er blieb aber beim „ehrgeizigen“ Ziel, dass Deutschland bis 2030 die anvisierten 15 Millionen E-Autos auf die Straße bringen wolle. TE hat bereits in der Vergangenheit darüber berichtet, warum dieses Ziel kaum zu erreichen ist. Derzeit gibt es in Deutschland rund 1,4 Millionen E-Autos. Das sind sechs Jahre, in denen plötzlich mehr als 13 Millionen E-Autos auftauchen sollen. Ohne Ladeinfrastruktur. Ohne Prämie.

Statt reinen Wein einzuschenken und klar zu diagnostizieren, dass die gesamte E-Auto-Strategie gescheitert ist, bleibt Wissing bei einem Plan, der vorsah, dass im Jahr 2025 bereits 3 Millionen E-Autos auf deutschen Straßen fahren sollen. Eine Verdopplung. In einem Jahr, in dem viele E-Auto-Besitzer zum Verbrenner-Modell zurückwechseln – und der E-Auto-Markt eingebrochen ist. Ob man das als Traumtänzerei, Unehrlichkeit oder Starrköpfigkeit bezeichnen will, wäre in einer Charakterstudie zu klären.

Festzuhalten ist: Als FDP-Mann hat der Verkehrsminister nicht nur im Autosektor rote Politik mit gelben Worten betrieben. Als Eisenbahnchef hat er auch den gegenwärtigen Zustand der deutschen Bummelbahn zu verantworten. Es ist freilich richtig, wenn Wissing sagt, dass vieles davon auf ein zweifelhaftes Merkel-Erbe zurückgeht. Andererseits hat Wissing auch nichts unternommen, um die Managerboni bei der Bahn zu verhindern. Spott und Hohn für die genervten Bahnkunden.

Stattdessen gab es 9-Euro-Tickets und Nachfolger wie das Deutschlandticket. Der Staat „entlastet“ die Bürger – indem er ihnen Steuern abknöpft, und diese als kleine Wohltaten wieder zurückgibt. Man könnte das als liberale Politik neuen Typs bezeichnen. Oder eben sozialdemokratisch. Kein Wunder, dass sich Wissing bei Olaf Scholz so wohlfühlt.

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Auch in anderer Hinsicht hat Wissing sich eher als SPD- denn als FDP-Politiker verantwortlich gezeigt. Bundesnetzagentur, Meldestellen, Robert Habeck und Klaus Müller – alles schön und gut. Wer sich aber „Digitalminister“ nennen lässt, der muss auch in Sachen Internet ein Widerwort einlegen, wenn dort die Netzzensur droht. Besonders, wenn er behauptet, einer liberalen Partei anzugehören.

Zwischenrufe von Wissing waren von ihm, der einer Partei angehört, die mal das NetzDG abschaffen wollte, nicht zu hören. Ganz im Gegenteil. Wissing hat die Agora Digitale Transformation mit üppigen Staatsgeldern gefüttert. Die Mutter der Agora, die Stiftung Mercator, spielt bereits seit Jahren das Narrativ, dass die Meinungsfreiheit im Netz gefährlich für die Demokratie sei – ein Narrativ, dessen sich Fernsehmoderatoren, Journalisten und Politiker heute nonchalant bedienen, indem sie nicht die Meldestellen, sondern Elon Musk zum Problem der Demokratie abstempeln.

1,2 Millionen Euro hat Wissing für die Agora Digitale Transformation bereitgestellt. Im Rat sitzt FDP-Kollege Konstantin Kuhle, der bereits in der Vergangenheit wegen seiner „Vergrünung“ auffiel. Ratsvorsitzende ist Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, ehemalige Bundesjustizministerin. Das hätten SPD und Grüne nicht besser einfädeln können. Vielleicht wäre ein Wechsel Wissings zur SPD nur der konsequenteste Schritt.

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