Der Tag X ist gekommen. Seit 12 Uhr MEZ sind in den USA die ersten Wahllokale geöffnet. Lange Schlangen, sowohl von Anhängern von Kamala Harris, als auch von Donald Trump, wurden gesichtet, Wartezeiten von mehreren Stunden werden erwartet. Die Kandidaten riefen ihre Unterstützer dazu auf, sich davon nicht abschrecken zu lassen und bis zur endgültigen Stimmabgabe durchzuhalten.
Noch einen Tag vor der Wahl vollendete der weltgrößte Podcaster Joe Rogan seinen Hattrick zur Wahl. Nachdem bereits Donald Trump und J.D. Vance bei Rogan zu Gast waren, trat auch Elon Musk ein weiteres Mal auf und erneuerte eindringlich seinen Aufruf, wählen zu gehen, da es sich „um die womöglich letzte Wahl“ in den USA handeln könnte, da die Demokraten die Masseneinbürgerung illegaler Einwanderer planen, die in den Swing States das Gleichgewicht dauerhaft zugunsten der Demokraten kippen würden. Rogan selbst verkündete nach der Sendung ebenfalls seine offizielle Unterstützung von Donald Trump.
Wie immer in diesem Wahlkampf der Kuriositäten – die Tatsache, dass es nicht nur eins, sondern gleich zwei versuchte Attentate auf Donald Trump gab, ist fast in Vergessenheit geraten – gilt auch hier auf beiden Seiten: Unter dem Superlativ tut man es in den USA nicht. Am Ende dürfte auch hier der Brei nicht so heiß gegessen werden, wie er in den letzten Tagen vor der Wahl gekocht wurde. Dass Wahlen gerade in den USA auch ein Spektakel sind, ist wahrlich kein Geheimnis. Doch so wie die konstante Reizüberflutung in modernen Filmspektakeln Ermüdung statt Spannung aufkommen lässt, so gilt dies auch für die Wahl in den USA, die in den Tagen danach garantiert Massen von Menschen – bis tief nach Deutschland – verkatert zurücklassen wird.
Big Money zeigt sich situationselastisch
Denn bei aller Hoffnung, dass der Souverän an den Wahlurnen das Ruder des Westens herumreißen könnte, sollte man die Skepsis, mit der man in modernen Massendemokratien dem Wahlprozess an den allermeisten Tagen zwischen den Wahlen zu recht begegnet, nicht vergessen. Der im Endspurt des Wahlkampfs offen ausgetragene Kampf der Milliardäre (aber auch der Millionäre, wie die zahlreichen Promis, die noch auf eine Wahlkampfbühne gekarrt wurden, belegen) ist ein Indiz dafür, dass die Weichenstellung im Hintergrund womöglich schon vor langer Zeit vollzogen wurde.
Denn während bei Trumps erstem Wahlkampf 2016 unter den Vertretern von Big Tech und sonstigen Promis noch einig Ablehnung vorherrschte, stehen Trump und Musk schon längst nicht mehr isoliert. Das Blatt woke-progressiver Gesellschaftspolitik als Basis eines spätkapitalistischen Wirtschaftsmodells wurde bis zuletzt ausgereizt und große Investoren vollzogen bereits im Laufe der Biden-Präsidentschaft eine inhaltlich pragmatische Wende, die fast schon notgedrungen in einer Trump-Präsidentschaft münden muss.
Denn während in Deutschland auch Teile der Industrie bereit sind, für ihre ideologischen Überzeugungen festen Blickes in den Ruin voranzuschreiten, möchte man in den USA auch in Zukunft noch der wachsenden Konkurrenz aus China und anderen aufstrebenden Schwellenländern die Stirn bieten. ESG Ratings und dergleichen erweisen sich zunehmend als ein Mittel zum Machterhalt von Big Money, da man sich sicher sein konnte, dass man selbst im Wettkampf zum Boden am ehesten den nötigen langen Atem haben würde, um möglichst unbeschadet – wenn nicht sogar mit Gewinn – aus der Sache auszusteigen, während andere ruiniert werden.
Meinungsforschung oder Meinungsbildung?
Es wäre auch bei dieser Wahl fatal zu glauben, dass solch schwerwiegende Interessen, die von Trump und Harris nicht unterschiedlicher vertreten werden könnten, tatsächlich in einem Kopf-an-Kopf-Rennen im letzten Moment vom Souverän entschieden würden. Das allerdings ist die Vorhersage vieler Meinungsforschungsinstitute vor der Wahl. Die New York Times räumte zwar am Wahltag ein, dass Trump gerade in den Swing-States bei den letzten beiden Wahlen jeweils deutlich besser abschnitt, als prognostiziert wurde, sagt aber dennoch ein knappes Rennen zugunsten von Harris aus. Würde allerdings die Schwankungsbreite zugunsten von Trump ausfallen, hätte man es mit einem deutlichen Sieg Trumps zu tun.
Andere Marktforscher, wie die Wettseite Polymarket, sehen Trump deshalb auch deutlich in Führung. Zwar hatten die Quoten, die Trump bereits mit fast 68-prozentiger Sicherheit in Führung sahen, wenige Tage vor der Wahl einen plötzlichen Einbruch erlitten, diese stiegen aber am Wahltag wieder auf deutlich über 60 Prozent an. So zeichnen sich zwei mögliche Szenarien ab. Entweder Trump straft die traditionellen Marktforscher lügen und feiert einen deutlichen Gewinn, der womöglich schon früh am Abend feststehen könnte. Oder es wird, falls Harris den Sieg davon trägt, ein knappes Rennen, das womöglich erst am nächsten Tag, wenn nicht Tage oder Wochen später entschieden werden könnte.
In beiden Fällen wird die Rolle der Umfragen bei der Meinungsbildung beleuchtet werden müssen, da die enorme Diskrepanz in den Vorhersagen naturwüchsig Skepsis über die Glaubwürdigkeit der Umfragen hervorruft. Darüber hinaus zeigt diese Diskrepanz auch deutlich die Gefahr eines isolierten Daseins in Meinungsblasen auf, eine Gefahr, die in den letzten Wochen all jenen, die bewusst nach Informationen beider Lager suchten, ins Auge stach.
„Too big to rig“ und das Leben geht weiter
Die Sorge vor etwaiger Manipulation der Wahlen sorgt für zusätzliches Chaos in einem ohnehin schon chaotischen Spektakel. Immerhin wird erwartet, dass die Wahlbeteiligung, die in den USA lange Zeit zwischen 50 und 60 Prozent pendelte, bis sie bei der letzten Wahl erstmals die 66-Prozent-Marke knackte, dieses Jahr ein Rekordhoch erreichen dürfte. Vor allem republikanische Wähler registrierten sich bereits im Vorfeld der Wahl – wohl aus Angst vor einer Manipulation – in weitaus höherem Ausmaß als noch vor vier Jahren. Folgt man historischen Trends, dürften sie am Wahltag das vermeintlich knappe Rennen in vielen Bundesstaaten deutlich zugunsten von Trump entscheiden.
Doch Ähnliches dachte man nach der ersten erfolgreichen Trump-Präsidentschaft auch. Der diesjährige Wahlkampf von Trump stand daher von Anfang an unter dem Motto „too big to rig“, was so viel bedeutet wie „zu deutlich, um manipuliert zu werden“. Glaubt man ersten Berichten, dürfte das Wähleraufkommen vor allem unter Männern besonders hoch sein, was ebenfalls für Trump sprechen sollte.
Doch wie die nun geworfenen Würfel tatsächlich fallen werden, wird man in den nächsten Tagen erfahren. Während aber noch 2016 die Wahl von Trump tatsächlich in vielen Kreisen als Überraschung wahrgenommen wurde, darf man 2024 wohl davon ausgehen, dass, egal wer das Rennen macht, die entscheidenden Kräfte in Wirtschaft und Politik sich wohl schon längst darauf eingestellt haben. Tröstlich also: Die Welt wird, unabhängig vom Ergebnis, wohl nicht untergehen. Ein beruhigender Gedanke, wenn man sich an Tag 1 nach „der wichtigsten Wahl aller Zeiten“ wieder in die Arbeit schleppt und merkt, dass auch beim Sieg des Wunschkandidaten zahlreiche Emails beantwortet werden müssen. Aber zumindest ein gutes Thema für die Kaffeepause dürfte die Wahl auch dann noch sein.
— Kevin Sorbo (@ksorbs) November 4, 2024