Tichys Einblick
Gehampel mit der Ampel

Pssst. Nicht so laut: Die FDP will Mittwoch die Regierung verlassen

Das jüngste Gerücht: Die FDP verlässt diesen Mittwoch die Ampel. Doch die Bürger bewegt das gar nicht mal mehr so viel – zu Recht. Denn voraussichtlich werden SPD und Grüne ohne den dritten Partner weitermachen. Das geht.

IMAGO / dts Nachrichtenagentur

In der Sesamstraße gibt es die eine Puppe, die mit einem Trenchcoat auf der Kreuzung steht. Kommt eine andere Puppe vorbei, hebt sie den Mantel und sagt: „Hey Du.“ „Wer ich?“ „Ja, Du, ich verkaufe ein B.“ „Ein B?“ „Pssst. Nicht so laut.“ In Berlin läuft es derzeit so ähnlich. Allenthalb warten Angebote – ob per Mail, Telefon oder tatsächlich auf der Straße – und einer sagt: „Hey Du. Ich weiß, wann die Koalition endet.“ „Die Koalition endet?“ „Pssst. Nicht so laut.“

Wobei das nur die eine Seite am Berliner Politbetrieb ist. Auf der anderen laufen seine Vertreter derzeit zu ihrer Höchstform in Sachen Volksferne auf. Die Politiker produzieren Sätze der Kritik, Angebote, Ulitmaten oder – derzeit arg beliebt – treffen sich zu Gipfeln. Journalisten geben dies ihren Lesern, Hörern und Zuschauern als Top-Nachrichten weiter. Doch für die ist eigentlich nur noch eine Frage interessant: Ist die Koalition jetzt endlich zerbrochen?

„Wirtschaftsminister“ Robert Habeck (Grüne) bietet zum Beispiel dem Finanzminister Christian Lindner (FDP) an, er könne die zehn Milliarden Euro für seinen Haushalt haben, die nach dem Intel-Aus in Magdeburg freigeworden sind. Für die Süddeutsche Zeitung eine Top-Geschichte. Die Bild bietet sogar einen Live-Ticker an. In dem feiern es Journalisten, wenn Olaf Scholz (SPD) Sätze sagt wie „Ich bin Kanzler“, und deuten allgemeine Sätze über Regierungsverantwortung, während der Leser nur noch denkt: Ist die Koalition jetzt endlich zerbrochen?

Springt die FDP?
Der Ampel-Countdown läuft
Nun verstärkt sich das Gerücht, die Ampel zerbreche am Mittwoch. Nach der Wahl in den USA und im Umfeld des Koalitionsausschusses. „Was, die Koalition zerbricht?“ „Pssst. Nicht so laut.“ Ein Ende am Mittwoch wäre schade. Besser würde die Ampel erst am Donnerstag scheitern. Sonst brächte das die Journalisten um eine Top-Geschichte wie „Lindner stellt ein letztes Ultimatum“. Gut. Der Bürger würde immer noch denken: Ist die Koalition jetzt endlich zerbrochen? Aber was der Bürger denkt, spielt im Berliner Politbetrieb schon lange keine Rolle mehr. Für Politiker ebenso wenig wie für Journalisten. Es gibt ja Gründe, warum alle außerhalb des Betriebs froh waren, dass 16 Jahre Angela Merkel endlich vorbei waren. Und nach nur drei Jahren alle froh sein werden, wenn die Ampel endlich beendet wird.

Doch selbst das wird keine Euphorie mehr auslösen. Weil es eben nach 16 Jahren Angela Merkel nicht besser geworden ist. Und weil die Ampel nicht explodieren wird. Sie wird dysfunktional weiter im Weg stehen. Um es ohne Metapher und deutlicher zu sagen: Bestenfalls wird die FDP die Regierung verlassen, dann werden SPD und Grüne ohne die Liberalen weitermachen. Als Minderheitsregierung. Scholz’ Nicht-Aussagen und was Saskia Esken verkündet hat, lassen darauf schließen. Ebenso wie die Aussagen des Noch-Vorsitzenden der Grünen, Omid Nouripour.

Zwischen den Wirtschaftsgipfeln
Worauf wartet die FDP eigentlich noch?
Diese Minderheitsregierung zu beenden, wäre gar nicht so einfach. Eine Vertrauensfrage müsste Scholz selbst stellen. Ein „Konstruktives Misstrauensvotum“ wie 1982 geht nur, wenn sich eine Mehrheit auf einen anderen Kandidaten einigt. Ohne die Stimmen der CDU/CSU und der AfD ginge das nicht. Die Union müsste also mindestens akzeptieren, dass ihr Kandidat von der AfD mitgewählt wird. Angesichts ihrer deutlichen Bekenntnisse zur „Brandmauer“ kann sie sich das nicht erlauben – zumindest nicht ohne Gesichtsverlust.

Apropos Gesichtsverlust. Entgegen aller Gerüchte ist es noch gar nicht so sicher, dass Lindner die Ampel wirklich verlassen will. Zwar hat er sich mit seinem Papier an Scholz und Habeck selbst massiv unter Druck gesetzt, alle erwarten von ihm eigentlich nun das Ende der Koalition. Doch der FDP-Chef könnte immer noch ein Angebot annehmen, etwa das Intel-Geld von Habeck. Das wäre kaum glaubwürdig. Das wäre noch weniger als halbherzig. Das wäre politisch maximal schwach. Also kurzum: Es läge genau auf der Linie von Christian Lindner.

Eine Minderheitsregierung müsste sich jede Mehrheit im Bundestag mühevoll erkämpfen. Etwa beim anstehenden Haushalt. Sie müsste so viele Kompromisse eingehen, dass keine Politik aus einem Guss mehr möglich wäre, sondern ein nicht funktionierendes politisches Konstrukt. Dass etwa ein Haushalt rauskommt, der schöngerechnet ist, auf Luftnummern beruht, sich widersprechende Ziele anstrebt und im Sommer durch einen Nachtragshaushalt korrigiert werden müsste. Mit anderen Worten: Es wäre unter einer Minderheitsregierung genau wie unter der Ampel.

Noch knapp 24 Stunden liegen vor dem erwarteten Ende der Ampel. Bis dahin gibt es noch viele für die ARD inszenierte Gipfel. Gut informierte Quellen werden die Top-Meldung verbreiten, dass Habeck noch ein Angebot gemacht hat. Analysten darüber schreiben, wie sich ein mögliches Ende der Ampel auf das Weltklima oder den Weltfrieden auswirken wird. Der Leser, der Hörer und der Zuschauer, die werden sich indes fragen: Ist die Koalition jetzt endlich zerbrochen? Und bis diese Frage beantwortet ist, wenden sie sich weiter von der Politik ab – auch das wie unter der Ampel. Die Politiker und Journalisten verlieren das Volk. Das Volk? Pssst. Nicht so laut.

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