Tichys Einblick
Cancel Culture gegen Frauenrechtlerinnen

Globale Proteste gegen das Selbstbestimmungsgesetz – aber kein mediales Echo

Gegen das Selbstbestimmungsgesetz protestierten Frauen rund um den Globus. Wer sich in Deutschland vorrangig über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk informiert, erfuhr davon aller Wahrscheinlichkeit nach – nichts.

picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Die Tagesschau widmet sich keinen Ereignissen, die nur von „regionaler“ Bedeutung und Relevanz sind – das wissen wir spätestens seit 2016 und dem Mord an der Freiburger Studentin Maria, deren Schicksal anfänglich gecancelt wurde – was immerhin breite Empörung auslöste, nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch in Kommentaren anderer Medien.

Seit dem Inkrafttreten des Selbstbestimmungsgesetzes am 1. November muss man sich allerdings fragen, welche Kriterien für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk überhaupt gelten, wenn die Relevanz von Geschehnissen eruiert wird: Denn auch globale Ereignisse schaffen es offensichtlich mitunter nicht auf den Bildschirm, selbst wenn ihr Bezug zu Deutschland ins Auge springt.

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Gleich, ob nur eine Person wie in Japan, oder Hunderte wie in Großbritannien; immerhin in 26 Ländern von Neuseeland bis Portugal, von Norwegen bis Brasilien hatten sich Frauen vor deutschen Botschaften und Konsulaten versammelt, um ihre Solidarität mit Frauen und Mädchen in Deutschland zu zeigen, und gegen das Selbstbestimmungsgesetz zu protestieren: „Self ID is Fake ID“, oder „Gefühle von Männern sind nicht wichtiger als die Rechte von Frauen“, Stand auf Transparenten und Plakaten.

In den Nachrichten dagegen kamen Kritiker des Gesetzes nur in homöopathischen Dosen vor – und wurden natürlich auch sogleich von entsprechenden „Fachleuten“ und Betroffenen eingerahmt, die eine Einordnung im Sinne des Gesetzes sicherstellten. Eine fundierte Darstellung der Fakten inklusive der weitreichenden Folgen und der Kritikpunkte: Fehlanzeige. Endlich können die Marginalisierten und Unterdrückten, die jahrelang dafür gekämpft haben, ihr Geschlecht „ändern“, ohne dafür ein psychologisches Gutachten vorweisen zu müssen – der Leidensdruck Betroffener wird ernst genommen, der Protest feministischer Gruppen nicht.

Die Dynamik der Cancel Culture zeigt sich an dieser Stelle mehr als deutlich, und wird die Initiatoren der Proteste womöglich nachdenklich stimmen: Trotz globaler Vernetzung, und obwohl die Gegner des Selbstbestimmungsgesetzes aus verschiedenen politischen und weltanschaulichen „Lagern“ stammen, gelingt es ihnen nicht, breitere Aufmerksamkeit zu erzeugen, weil eine vorrangig von Translobbyisten und ihren „Allies“ aufgebaute veröffentlichte Meinung all jenen, die anders denken, ohne viel Aufhebens den Saft abdreht.

Linke Abweichler der intersektionellen Wokeria werden nicht zum Schweigen gebracht, ihnen wird schlicht und einfach kein Podium geboten. Und das, obwohl sie – sachlich zutreffend – nicht nur auf die feministische Dimension des Problems hinweisen, sondern viel grundsätzlicher die Legitimität eines Gesetzes in Frage stellen, das die Benennung der Wirklichkeit unter Strafe stellt: Das Logo der Protestaktion zieht eine Parallele zwischen 2024 und „1984“ und bezieht sich damit auf den gleichnamigen Titel des dystopischen Romans George Orwells, der eine Gesellschaft beschreibt, in der dieses Prinzip in allen Lebensbereichen gilt, und in der das Individuum dazu gezwungen wird, die Realität zu verleugnen. Das von diesen radikalen Feministinnen angesprochene Problem ist also von breiter gesellschaftlicher Relevanz, und es ist den öffentlich-rechtlichen Medien und ihrer mangelhaften Berichterstattung anzulasten, dass der deutschen Bevölkerung die Bedeutung dieses Gesetzes nicht ansatzweise klar ist; wie auch immer sich die Menschen dann auch dazu positionieren wollen.

Andere, zahlenmäßig ebenfalls kleine oder noch viel kleinere Gruppen – eben zum Beispiel jene Angehörigen der Translobby, die sich aggressiv für das Selbstbestimmungsgesetz eingesetzt haben, aber auch Akteure, die andere linke Kernthemen bespielen, wie etwa die Ablehnung eines bedingungslosen Lebensrechts, oder „antirassistischen“ oder „antifaschistischen“ Kampf – werden indes in einem völlig unproportionalen Verhältnis überrepräsentiert, und natürlich vor allem durch entsprechendes Framing als „Experten“ mit Autorität und artifizieller Bedeutung ausgestattet.

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Die mediale Darstellung des SBGG ist so einerseits ein Paradebeispiel dafür, dass Bedeutung und mediale Präsenz häufig nicht nur nicht miteinander übereinstimmen, sondern dass eine maßgeblich ideologisch gesteuerte Berichterstattung zunehmend unbekümmert die mediale Realität selbst kreiert.

Andererseits zeigt sich auch die Unfähigkeit oder der Unwille, eine Sachlage auch nur näherungsweise ihrer Komplexität entsprechend darzustellen. Stattdessen dominiert mittlerweile auch im ÖRR das für die sozialen Medien typische sogenannte „Storytelling“: Gefühle statt Fakten, Emotion statt Information, und von letzterer dann eben vorrangig das, was zum gewählten Blickwinkel und zum konstruierten Narrativ passt.

Dabei ist angesichts der Fülle an Meldungen und Nachrichten völlig klar, dass Medien und Journalisten eine Filterfunktion haben. Diese ist aber mit einer ungeheuren Verantwortung verbunden. Dieser wird insbesondere der öffentlich-rechtliche Rundfunk immer weniger gerecht: Wenn Proteste rund um den Globus nicht relevant sind, weil sie von einer Minderheit feministischer Frauen initiiert werden, während eine ideologisch opportune Minderheit Sendezeit hinterhergeworfen wird, dann herrscht eindeutig eine Schieflage in der Berichterstattung. Eine Schieflage, der seltsamerweise mal wieder vor allem Frauen und Mädchen zum Opfer fallen.

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