Tichys Einblick
CEO Oliver Blume: „Erfolg wagen“

Ende der Camouflage – China zieht bei VW den Stecker

Mit dem unerwarteten Abbruch der China-Erfolgsstory wurde der VW-Konzernleitung über Nacht die „Gewinndecke“ weggezogen. Die Gewinne aus dem China-Geschäft kaschierten, dass bei VW über viele Jahre schon notwendige Veränderungen hätten stattfinden müssen, die aber unterblieben und heute schmerzhaft nachgeholt werden müssen.

Oliver Blume, CEO der Volkswagen-Gruppe, stellt vor der Automesse in Peking seine Ziele für China vor, 24.04.2024

picture alliance/dpa | Johannes Neudecker

So schwierig hätte sich Oliver Blume sein Amt als Vorstandsvorsitzender des Volkswagen-Konzerns, das er am 1. September 2022 angetreten hat, wohl nicht vorgestellt. Welch eine kolossale Veränderung der ehemaligen Wohlfühloase am Mittellandkanal. Und auf einmal so viele „Baustellen“ (O-Ton Oliver Blume). Das höchste Gehalt unter den Dax-Vorständen (10 Millionen Euro) war schwer verdient – für VW-Kenner auch als Zeichen der Zukunftsvorsorge gedeutet.

In den sieben Jahren zuvor hatte Blume als CEO von Porsche den Zuffenhausener Sportwagenhersteller unentwegt von Erfolg zu Erfolg geführt. Hatte in dieser Zeit – auch dank China – Porsche zum Renditeweltmeister gemacht. Und hatte dabei als Initiator einer Produktionsklitsche am Ende der Welt in Chile zur Herstellung von synthetischem Treibstoff für seine Hochleistungs-Verbrenner-Boliden die Hoffnung aufblitzen lassen, dass er anders als seine am Batterie-Elektroauto berauschten Kollegen im VW-Zentralvorstand in Wolfsburg beim notwendigen Ersatz der fossilen Verbrennungsmotoren über eine gewisse Technologieoffenheit verfüge. – Im Nachhinein war es wohl nur ein Wetterleuchten.

Und jetzt, fast auf den Tag genau zwei Jahre später, wie aus heiterem Himmel die Hiobsbotschaften der Konzernführung für Öffentlichkeit, Politik, deutsche Autobranche und vor allem für die VW- Belegschaften: Volkswagen ist ein Sanierungsfall, bis zu drei Werke müssen geschlossen, Arbeitsplatzgarantien aufgekündigt und Mitarbeiter erstmals nach dreißig Jahren betriebsbedingt massenweise entlassen werden.

Vorstand und Arbeitnehmer verhandeln inzwischen über geplante Einsparungen bei VW. Die Gewerkschaft spricht von „Kahlschlagfantasien“. Zuvor verkündet das Unternehmen einen Gewinneinbruch von 64 Prozent im dritten Quartal 2024. Kurz: Der Gewinn von Volkswagen ist eingebrochen, die Kernmarke VW ist nicht mehr wettbewerbsfähig, alles muss auf den Kostenprüfstand. Danach kommt Audi …

Die Ende Oktober vorgelegten VW-Geschäftszahlen für das dritte Quartal 2024 sprechen Bände. Finanzchef Arno Antlitz stellte der Mitteilung zu den Zahlen voran, dass die Kernmarke VW nur noch eine operative Marge von zwei Prozent erzielt, das heißt, dass die Produktion von Golf, Passat, Tiguan und Co. und damit die Stammmarke VW kaum noch profitabel wären (Gewinn von Volkswagen bricht ein – Marke VW kaum noch profitabel | Automobilwoche.de):

VW hatte bereits im September 2024 im Vorfeld der inzwischen laufenden Haus-Tarifverhandlungen ein hartes Sparprogramm angekündigt. Dieses wurde inzwischen im Groben präzisiert: Demnach will das Unternehmen drei Werke der Stammmarke VW in Deutschland schließen. Zehntausende Jobs sollen wegfallen, von der Belegschaft erwartet das Unternehmen Gehaltskürzungen von 20 Prozent, von den Führungskräften ebenfalls. Vom Finanzvorstand Arno Antlitz kam vor kurzem die neue Meldung, auch die Komponentenwerke seien nicht mehr wettbewerbsfähig.https://www.tichyseinblick.de/wirtschaft/mobilitaet/china-letzte-ausfahrt-fuer-deutsche-autohersteller/

Die zentrale Frage ist, was sind die Ursachen für diese überraschende, manche sagen „Panikreaktion“ in der Führung des VW-Konzerns? Was treibt CEO Oliver Blume und seinen Finanzvorstand Arno Antlitz um, Öffentlichkeit und Politik so abrupt aus dem selbstzufriedenen „grünen Wohlstandsschlaf“ zu reißen. Denn das hat es zweifellos getan: Entsetzen allenthalben. Nachrichten und Medien überbieten sich in Schlagzeilen, in Talkshows und sogar in der seriösen Wirtschaftsforschung macht das Unwort von der „Deindustrialisierung Deutschlands“ die Runde.
Politik und große Teile der Bevölkerung sind völlig konsterniert: „Grüne“ Transformation, saubere Energie und Klimaschutz natürlich, aber doch nicht mit diesen Folgen und zu diesem Preis!

Als wäre all das nicht längst bekannt gewesen. Aber bekanntlich: „Ein Prophet gilt nirgend weniger denn in seinem Vaterland und in seinem Hause.“ (Luther nach Mt 13,57b)

Aktuell schiebt die VW-Konzernleitung den Gewinnrückgang „auf erhebliche Restrukturierungsaufwendungen in Höhe von 2,2 Milliarden Euro“ vor allem bei den Marken VW und Audi (Gewinn von Volkswagen bricht ein – Marke VW kaum noch profitabel | Automobilwoche.de). Dahinter verbergen sich nichts anderes als hohe Kosten für lukrative Abfindungsangebote für vorzeitiges Ausscheiden von Mitarbeitern und Führungskräften. Diese Abfindungskosten sind jedoch nur ein Teil der Wahrheit, weshalb sich die Lage des VW-Konzerns und vor allem der Stammmarke Volkswagen so dramatisch verschlechtert hat.

Verantwortlich für die Entwicklung ist nicht Oliver Blume, er muss nur ausbaden, was sein Vorgänger Herbert Diess dem Konzern eingebrockt hat. Sachlich verantwortlich ist ein Strauß von Ursachen, die indirekt bis direkt zu der gegenwärtigen VW-Malaise geführt haben. Sie reichen von strategischen, personenbezogenen Fehlentscheidungen bis hin zu historischen strukturellen Schwächen. Als da wären:

Ex-CEO Herbert Diess zwang den VW-Konzern wie vor allem die Stammmarke Volkswagen in einen Außenseiter-Wettbewerb zu treten:
– beim Absatz mit dem Gros seiner traditionellen Kundschaft, die erkennbar keine E-Autos wollten, sondern lieber beim Verbrenner blieben,
– beim Angebot im oberen Marktsegment mit dem etablierten Luxus-Anbieter und Weltmarktführer bei Batterieelektroautos (BEV) Tesla,
– im unteren Marktbereich mit der mit riesigen Schritten aufholenden chinesischen Autoindustrie, die seit einer Dekade dem einstigen China-Marktführer Volkswagen-Konzern mit seinen 37 Werken und 5 Millionen Jahresabsatz Jahr für Jahr mit kleinen und billigen Elektroautos Marktanteile abnimmt und ihn gegenwärtig auf 14vH gedrückt, besser: halbiert, hat.

Drei Werke sollen geschlossen, tausende Mitarbeiter entlassen werden. „ …. um es mal im Robert Habeck-Stil zu sagen: Liebe VWler, eure Arbeitsplätze sind ja nicht weg. Sie sind jetzt nur eben woanders.“ (Langweiler-Autos mit Plastik-Cockpits – das wahre VW-Problem erwähnt kaum einer – FOCUS online) Gewinne machten 2024 nur noch die Verbrenner (siehe Skoda). Aber auch dort hatte VW Einbußen, denn die Nachfrage nach Autos ist nach Corona in Europa um 2 Millionen geschrumpft, 500.000 Neuwagen davon fehlen rein rechnerisch bei VW, die Kapazität eines Werkes. Herbert Diess musste gehen, Porsche-Chef Oliver Blume kam, die „electric only“-Strategie blieb, wurde jedenfalls bis dato offiziell nicht in Richtung Technologieoffenheit à la BMW korrigiert.

Konkret: Kritisiert werden Hartplasten-Wüsten in den meisten VW-Modellen, in Kombination oder solo mit einem beispiellosen Software-Desaster wie beim neuen Golf, der Achte, mit fummelig-fehlerhafter Bedienung mit neuen „Slidern“ statt Knöpfen. Zum enttäuschenden Qualitätseindruck und nicht zu Ende entwickelter Technik kam gerade bei den neuen E-Autos ein eher langweiliges und beliebiges Design, sodass die VW-Schwestermarken Skoda oder Cupra dagegen frisch, modern und jugendlich wirken.

Dazu die Stimme eines Experten aus der Autopresse: „Solange Qualität, Preis und Leistung stimmten, haben die VW-Kunden das akzeptiert. Doch wenn die Konkurrenz immer besser wird – sowohl aus dem eigenen Haus mit Skoda und Cupra als auch von den enorm stark gewordenen Marken Hyundai und Kia und on top jetzt noch von China-Newcomern wie BYD, XPeng, MG oder Great Wall – dann reicht es eben nicht mehr.“ (Langweiler-Autos mit Plastik-Cockpits – das wahre VW-Problem erwähnt kaum einer – FOCUS online) Und gleichzeitig ließ Diess die bewährte Verbrenner-Produktpalette wegen deren beabsichtigtem Ende schleifen und dünnte sie bei wichtigen Einstiegsmodellen aus.

Das ist ein internes VW-Problem, kein Problem der politischen Rahmenbedingungen, wie es die Konzernleitung bei VW wie bei vielen anderen deutschen Industrieunternehmen der Politik gerne in die Schuhe schieben. Die Lohnkosten sind zu hoch, die Haustarife von VW liegen seit Jahrzehnten 30 Prozent über den normalen Lohntarifen der Metallgewerkschaften. Fertigung, Logistik und Verwaltung bei VW sind Insidern zufolge overstoked, sämtliche Abläufe zu schwerfällig und zu bürokratisch. Und über alldem wacht mit Argusaugen seit Gründung 1938 als „Kraft-durch Freude“ Unternehmen der Gewerkschaften der Gesamt-Betriebsrat und das Land Niedersachen als Anteilseigner mit Sperrminorität im Aufsichtsrat. Rationalisierungsmaßnahmen zur Kostensenkung waren stets eine Kraftanstrengung und enden meist ungut für den Initiator.

Die bisherige Verlust-Camouflage durch China ging damit zu Ende. Peinlich wurde es erst dadurch, dass das bei allen bisherigen Gewinnbringern Audi und Porsche gleichzeitig geschah. Damit hatte niemand gerechnet.

Mit dem unerwarteten Abbruch der China-Erfolgsstory wurde der VW-Konzernleitung über Nacht die „Gewinndecke“ weggezogen, die bislang alle notwendigen, aber schmerzhaften Kostensenkungen und Verluste aus strategischen Fehlentscheidungen und Narreteien von Vorstand und Aufsichtsrat zu- und abgedeckt hatte. Die Gewinne aus dem China-Geschäft kaschierten – grob gesprochen –, dass bei VW über viele Jahre schon notwendige Veränderungen hätten stattfinden müssen und dann schleichend hätten können, die aber unterblieben und heute schmerzhaft nachgeholt werden müssen. Strukturen, Lohnkosten und Privilegien der Mitarbeiter und Führungskräfte hätten auf Wettbewerbsniveau angepasst, die Anzahl der Mitarbeiter deutlich gesenkt werden müssen, wie zu Beginn von Diess geplant. Nichts von alledem geschah als showcase, nicht nachhaltig.

Die über dreißig Milliarden Strafzahlungen aus dem Diesel-Skandal hätten locker zur Entwicklung einer zukunftsfähigen Technik und eines bezahlbaren Elektro-Volkswagens verwendet werden, die ohnehin exzellenten Verbrennungsmotoren hätten für die Zukunft noch umweltfreundlicher gemacht werden können. Milliardenhohe CO2-Strafzahlungen im Jahr 2025 nach Brüssel wären VW möglicherweise so erspart geblieben. Milliarden Fehl-Investitionen in Autonomes Fahren hätte man sich sparen können, ebenso hohe Dividendenausschüttungen von zum Beispiel 4,5 Milliarden für 2023 in Zeiten absehbarer Schieflagen. Das Gleiche gilt für ein exorbitant hohes Gehalt für den Vorstandsvorsitzenden. Stattdessen sollen jetzt Löhne und Gehälter der Mitarbeiter im Hauruckverfahren um 20 Prozent gekürzt, und die Anzahl der Empfänger um Zigtausende abgebaut werden.

Dem steht eine Lohnforderung der Gewerkschaften von 7 Prozent gegenüber – verkehrte Welt. Für eine Einsicht der Gewerkschaft in die notwendigen Kostensenkungen bei VW zur Rettung der Wettbewerbsfähigkeit spricht das aktuell (noch) nicht. Aber daran wird kein Weg vorbeiführen. Denn inzwischen hat der Konzern die Weichen so gestellt, dass der China-Markt und damit die Gewinne von dort völlig von der Zentrale in Wolfsburg abgekoppelt werden. Die Stammmarke Volkswagen muss in Zukunft „ihre Brötchen selber verdienen“ und wird nicht mehr aus China subventioniert. Im Gegenteil: China-Aktivitäten in Wolfsburg werden eingestellt oder verlagert werden müssen.

Was bislang von CEO Oliver Blume fehlt, ist die klare und verlässliche Linie in der künftigen Antriebspolitik, ist die öffentlich bekundete Einsicht, dass auf Jahre hinaus VW selbst mit mehr E-Autos und einem Elektro-Marktanteil von rund 20 Prozent oder mehr an allen Neuwagen auf Dauer seine internen verharzten Kostenstrukturen nicht verbessern kann. Was fehlt für die Öffentlichkeit und die irritierte Kundschaft, ist das Bekenntnis, dass auf absehbare Zeit nur der Verbrenner eine tragende Säule der VW-Profitabilität bleiben wird. Und dass man in Zukunft zunächst einmal, wie BMW, technologisch zweigleisig fährt und den Verbrenner wieder umweltfreundlich weiterentwickelt. Bis das Elektro-Zeitalter endgültig anbricht.

VW hat eine mächtige Stimme. Was fehlt, ist die Forderung an die Politik, das unselige Verbrennerverbot aufzuheben und den Weg für klimafreundliche Alternativen zum Batterie-Elektroauto frei zu machen.

Dann hat die Hoffnung, die Finanzvorstand Arno Antlitz für das Vierte Quartal 2024 geweckt hat, ein Fundament. Die da salopp lautet: „Autobauer plant Aufholjagd im 4. Quartal: Volle Pulle auf den Verbrenner (Das bedeuten die VW-Zahlen für Mitarbeiter, Kunden, Aktionäre – René will Rendite – FOCUS online). Danach plant VW für das vierte Quartal ein operatives Ergebnis von 5,1 Milliarden Euro, was aber laut Experten nur zu erreichen ist, wenn der Konzern mehr Verbrennerfahrzeuge absetzt. Rund 870.000 Fahrzeuge sind laut Antlitz bereits bestellt, davon allerdings 170.000 Elektroautos, die kaum Gewinne abwerfen, und auch die E-Werke nicht füllen. – Eine saftige Dividendenkürzung für 2024 ist vorprogrammiert, auch der Vorstands-Boni und -Gehälter.

Blume selber hielt sich bisher bei der Überbringung von schlechten Botschaften und Zahlen im Hintergrund. Vom ihm stammt allerdings der Ausspruch, in Volkswagen stecke das Wort „wagen“. „Wir müssen wieder etwas wagen: Erfolg wagen“. Soll das mehr sein als eine nette Phrase vom netten „Olli“ (O-Ton Diess), liegt da noch eine steinige Wegstrecke vor ihm. Als erstes der Infight mit dem Betriebsrat in der laufenden Tarifrunde: Zwischen einer Lohnkürzung um 20 Prozent und einer geforderten Lohnerhöhung um 7 Prozent liegt ein „weites Feld“ (Günter Grass). Dann säumen auch noch die mächtigen Brocken Massenentlassungen und Werkschließungen die Wehstrecke. Aufsichtsratmitglied und Niedersachsens Ministerpräsident Stefan Weil hat bereits öffentlich verkündet, Werksschließungen werde es nicht geben.

Einen solchen Showdown wie Oliver Blume mit Betriebs- und Aufsichtsrat hat seit 87 Jahren in Wolfsburg noch niemand gewagt, selbst der smarte Herbert Diess nicht. – Es bleibt spannend.

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