Tichys Einblick
Diffamierung des politischen Gegners

Feindbild Populismus: Der Charme des „Schlangenöls“

Der britische Premier Starmer stellt Populismus gerne als Quacksalberei hin. Auch andere westliche Regierungschefs führen einen antipopulistischen Kampf, weil sie die Werte der Eliten bedroht sehen. Von Frank Furedi

Olaf Scholz begrüßt Keir Starmer in Berlin am 28. August 2024

Es gibt eine unheilige Allianz westlicher Staats- und Regierungschefs – darunter der britische Premierminister Keir Starmer, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz – die ihren Hass auf das, was sie Populismus nennen, unverhohlen zum Ausdruck bringt. Bei seinen Besuchen in Berlin und Paris wies Starmer immer wieder auf die Bedrohung durch den Populismus hin. Bei seinem Treffen mit Scholz am 28. August in Berlin bezeichnete er „Populismus und Nationalismus“ als „Schlangenöl“ – also als Quacksalber-Medikament, als vermeintliches Allheilmittel –, das es zu bekämpfen gelte. Er betonte, dass der Populismus für ihn eine Bedrohung für die Macht der technokratischen Eliten in ganz Europa darstelle.

In einer Rede in Paris einen Tag später bezeichnete Starmer die extreme Rechte als „sehr reale Bedrohung“ und bezeichnete den Populismus erneut als „Schlangenöl“. Starmer spricht unablässig vom „Schlangenöl des Populismus“.

Heutzutage wird praktisch jedes politische Problem dem Populismus zugeschrieben. Nach den jüngsten Unruhen in Großbritannien ging Starmer so weit, die Konservative Partei für diese gewalttätigen Ereignisse verantwortlich zu machen, weil die vorherige Regierung gegenüber den Populisten nachgiebig gewesen sei: „Jedes Mal, wenn [die Konservativen] vor einem schwierigen Problem standen, haben sie es versäumt, ehrlich zu sein. Sie boten das Schlangenöl des Populismus an, das nur noch mehr Misserfolge brachte, Runde um Runde um Runde.“
Die Verbindung des Begriffs „Schlangenöl“ mit Populismus wird in der Propaganda der technokratischen politischen Elite ständig verwendet. Die Bekämpfung und Diskreditierung von Schlangenöl-Populisten ist in der Tat ihre oberste Priorität. Selbst in einer Regierungserklärung vor dem Parlament betonte Starmer, dass seine Politik „in dieser komplizierten und unbeständigen Welt eine Absage an diejenigen darstellt, die nur einfache Antworten anbieten können – den Schlangenöl-Charme des Populismus“.

Ein Skandal jagt den nächsten
Desinformation und Manipulation: Der ÖRR in der Glaubwürdigkeitskrise
Die Medien, die die antipopulistische Oligarchie unterstützen, dienen als Echokammer für die Stimme ihres Meisters. „Früher oder später wird man sich mit dem Schlangenöl-Charme von Nigel Farage und Reform UK auseinandersetzen müssen –vor allem, wenn Trump ins Weiße Haus zurückkehrt“, meinte John Harris, Kommentator des Guardian, im Juli.

Woher kommt eigentlich die antipopulistische Hysterie der Eliten? Die Erklärung liegt darin, dass sie wissen, dass sie den Kontakt zu den Erwartungen der Öffentlichkeit verloren haben und dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sie von einer populistischen Bewegung ernsthaft herausgefordert werden. So stellte Harris heraus:

„Inmitten von Starmers politischen Flitterwochen kommt diese Feststellung zur Unzeit, aber unser nationaler Zustand wird immer noch weitgehend von einem populistischen Erfolg bestimmt, den Labour immer noch nicht in Frage stellen kann: den Brexit, den wohl größten Triumph der neuen Rechten in der demokratischen Welt. Am 4. Juli haben zudem mehr als 4 Millionen Menschen für Reform UK gestimmt, womit diese Partei weit vor den wiederbelebten Liberaldemokraten de facto zur dritten Partei des Vereinigten Königreichs wurde, der dieser Status nur aufgrund unseres absurden Wahlsystems verwehrt wurde.“

Symbol statt Inhalt
Populismus als Antwort auf entnationalisierte Eliten
Praktisch dasselbe gilt für die Herausforderung durch populistische Parteien in Frankreich oder Deutschland. Es ist einem „absurden“ Wahlsystem zu verdanken, dass der Einfluss populistischer Parteien ernsthaft gemindert werden kann. Die ständigen Beschimpfungen des Populismus zielen darauf ab, Bewegungen zu pathologisieren, deren Werte oft im Gegensatz zu denen des kulturellen und politischen Establishments stehen. Nahezu jede Bewegung, die sich gegen das Establishment wendet, wird von den im Technokraten-Universum Verankerten als eine Variante desselben Übels abgetan – „Populismus“.

Die hysterische Propaganda, die gegen den Populismus gerichtet ist, zeitigt relative Erfolge. Selbst viele rechte Kommentatoren betrachten den Populismus als negatives Phänomen. Die Assoziation von Populismus mit Schlangenölcharme soll nahelegen, dass es sich um ein im Grunde unehrliches Unterfangen handelt. Der Populismus wird in die Rolle eines moralisch minderwertigen Phänomens gedrängt, dessen Stimme man nicht glauben und dessen Versprechen man nicht ernst nehmen kann. Dem antipopulistischen Narrativ zufolge ist der Populismus die Pathologie der einfältigen Massen, derjenigen, die offenbar zu autoritären, fremdenfeindlichen und antidemokratischen Einstellungen neigen. Sie sind das, was Hillary Clinton die „Deplorables“ nannte.

Ihre bewusst verzerrte Version des Populismus hat nichts mit den Ansichten und Leidenschaften der Menschen zu tun, die sie anprangern. Es ist schwierig, die Bedeutung des Populismus des 21. Jahrhunderts zu erfassen, weil die Verwendung des Wortes „populistisch“ so stark von der antipopulistischen Stimmung beeinflusst wurde, die den öffentlichen Sprachgebrauch beherrscht.

In der Vergangenheit war Populismus eine Form der Selbstbezeichnung – man bezeichnete sich bewusst selbst als populistisch. Im 19. Jahrhundert waren die landwirtschaftlichen Radikalen, die Narodniki in Russland, ebenso wie die People’s Party in den USA, stolz auf ihre populistische Einstellung. Im 20. Jahrhundert wurde der Populismus von Kommentatoren oft neutral und sogar positiv gesehen. Im 21. Jahrhundert sind es jedoch die Anhänger des Antipopulismus, die ihre Gegner als Populisten bezeichnen. Der Politikwissenschaftler Ivan Krastev warf eine wichtige Frage auf: „Wer entscheidet, welche Politik ‚populistisch‘ und welche ‚vernünftig‘ ist?“ Die Antwort: ein einflussreicher Kreis von Antipopulisten.

Die antipopulistische Hysterie spielt eine wichtige Rolle in den heutigen Kulturkämpfen. Warum? Weil die als populistisch bezeichneten Bewegungen nicht nur gegen die Politik ihrer Konkurrenten, sondern auch gegen die kulturellen Werte der Eliten gerichtet sind. Es ist diese direkte Infragestellung der Werte, die von den herrschenden Institutionen der Gesellschaft als verbindlich dargestellt werden, die antipopulistische Kommentatoren so schwer akzeptieren können. Wie die politische Theoretikerin Margaret Canovan darlegt, stellt der Populismus im Gegensatz zu anderen sozialen Bewegungen nicht nur den Inhaber der Macht, sondern auch die „Werte der Elite“ in Frage. Seine Feindseligkeit richtet sich also auch gegen „Meinungsmacher und Medien“.

In der Tat bieten die von der populistischen Bewegung vertretenen Werte eine Alternative zur politischen Kultur der Eliten. Nun ist es aber so, dass die Werte des Populismus bei vielen Menschen in der Gesellschaft auf Resonanz stoßen. Die aktuelle Debatte über die Massenmigration ist ein gutes Beispiel dafür. Populistische Parteien, die ein Ende der Massenmigration fordern, werden deshalb als rassistisch und fremdenfeindlich bezeichnet, weil ihre Gegner nicht bereit sind, auf ihre Argumente einzugehen. Es ist einfacher, sie als „rechtsextrem“ zu verteufeln, als sich mit ihren Argumenten auseinanderzusetzen.

Machen Sie sich keine Sorgen über den vermeintlichen Schlangenöl-Charme des Populismus – hüten Sie sich vor den uncharmanten Betrügern, die versuchen, die öffentliche Diskussion durch eine Vielzahl von rechtlichen Instrumenten wie Gesetzen gegen Hassäußerungen, Desinformation usw. zu unterbinden.

Denken Sie daran, dass die derzeitige ideologische Attacke auf den Populismus als Spiel über Bande dazu dient, die Demokratie anzugreifen. Diese sorgfältig kultivierte Hysterie kann durchaus als Vorspiel für autoritäre Maßnahmen dienen, die sich gegen die Rede- und Versammlungsfreiheit richten. Halten Sie die Augen auf!


Dieser Beitrag ist zuerst auf Frank Furedis Substack erschienen.

Frank Furedi @Furedibyte ist geschäftsführender Direktor des Think-Tanks MCC-Brussels, Autor zahlreicher Bücher und politischer Kommentator der Gegenwart. Mehr von Frank Furedi lesen Sie in den Büchern „Die sortierte Gesellschaft – Zur Kritik der Identitätspolitik“, „Schwarzes Leben, weiße Privilegien? Zur Kritik an Black Lives Matter“ und in seinem neuen Buch: „The war against the past – Why the west must fight for its history.”

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