Tichys Einblick
„The Economist“

Merkels Schatten: Eine Ära des Rückschritts für Deutschland

Das Wirtschaftsmagazin „The Economist“ hat kürzlich eine scharfe Kritik an der Kanzlerschaft von Angela Merkel veröffentlicht, die ihre 16-jährige Amtszeit als eine Ära des Niedergangs für Deutschland darstellt. Die Analyse beleuchtet verschiedene Aspekte ihrer Politik und deren langfristige Auswirkungen. Von Hannes Märtin

picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka

The Economist zeichnet in seiner Analyse ein kritisches Bild der wirtschaftlichen Situation Deutschlands und beschreibt unser Land als den „kranken Mann Europas“. Nach 16 Jahren Merkel fehle es an dringend benötigten Reformen, so das Dossier.

Beinahe jede Entscheidung der ehemaligen Bundeskanzlerin habe dazu geführt, dass es sowohl Deutschland schlechter gehe, führt The Economist an, als auch Europa.

— The Economist (@TheEconomist) October 27, 2024

In wirtschaftlicher Hinsicht war Merkels Kanzlerschaft von einer zentralen Maßnahme geprägt: der Einführung der Schuldenbremse. Die daraufhin großangelegte Sparpolitik führte langfristig auch zu einer massiven Unterfinanzierung öffentlicher Infrastrukturen – ein Punkt, den The Economist treffend kritisiert. Deutschlands Schulen, Straßen und Krankenhäuser – um nur ein paar wenige Beispiele zu nennen – sind inzwischen in einem erschreckend schlechten Zustand.

Allein für die Sanierung der deutschen Schulgebäude wären zum aktuellen Zeitpunkt rund 45 Milliarden Euro nötig. Die Mängelliste ist lang und besorgniserregend: Zahlreiche Schulen kämpfen mit rissigen Wänden, undichten Fenstern, überfüllten und oft unhygienischen Sanitäranlagen sowie unbrauchbaren Sporteinrichtungen. Einzelne Beispiele verdeutlichen das Ausmaß dieses Problems:

Diese Vorkommnisse sind tragisch, markieren aber tatsächlich nur die Spitze des Eisbergs. Laut einer KfW-Umfrage (Kreditanstalt für Wiederaufbau) sehen 17 Prozent der Kommunen bundesweit die Lage der Schulen als gravierend an. Etwa ein Viertel der befragten Kommunen rechnet sogar noch mit einem weiteren Anstieg des Sanierungsdefizits.

Bildung kann man sich nicht zusammendaddeln
Aus dem „digital native“ darf kein digitaler Naivling werden
Deutschlands Schulsystem leidet zudem unter akutem Lehrermangel: Derzeit fehlen in Deutschland etwa 12.000 Lehrkräfte, und bis 2030 wird der Bedarf wohl auf bis zu 55.000 Lehrer steigen. Parallel dazu bleibt die Digitalisierung eine kaum bewältigte Herausforderung. Viele Schulen verfügen nicht über die nötige technische Ausstattung und Lehrkräfte werden im Bereich digitaler Medien nur unzureichend geschult.

Auch der Zustand der deutschen Straßeninfrastruktur hat sich in den vergangenen Jahren merklich verschlechtert, wie aktuelle Studien und Erhebungen belegen. In der jüngsten Zustandserfassung des Bundesverkehrsministeriums für das Jahr 2021/22 wurden insgesamt 7.112 Kilometer Autobahnfahrstreifen als dringend sanierungsbedürftig eingestuft – ein erheblicher Anstieg gegenüber der letzten Erhebung von 2017/18, bei der nur 5.797 Kilometer erfasst wurden.

Anzunehmen ist, dass die aktuelle Zahl sanierungsbedürftiger Strecken seit der letzten Erfassung stetig angestiegen ist und mittlerweile mit Sicherheit auf die 10.000-Kilometer-Marke zusteuert. Ähnlich alarmierend ist die Situation der Autobahnbrücken: Rund 8.000 Brücken gelten als sanierungsbedürftig. Besonders kritisch ist jedoch der Zustand der kommunalen Straßen, die den Großteil des deutschen Straßennetzes ausmachen.

Von den insgesamt 714.000 Kilometern kommunaler Straßen befindet sich etwa ein Drittel in einem schlechten oder sehr schlechten Zustand, wobei jeder zehnte Kilometer stark beschädigt ist. Fast die Hälfte der kommunalen Straßenbrücken weist zudem erhebliche Mängel auf. Diese Tatsachen verdeutlichen, wie dringend staatliche Investitionen im Bereich der Infrastruktur sind.

Anreiz ärztliche Behandlung
Milliarden Euro für die Gesundheit von Asylbewerbern
Auch im Gesundheitssystem zeigen sich massive Probleme. Die Zahl der Krankenhäuser in Deutschland ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich zurückgegangen. Im Jahr 2023 gab es bundesweit nur noch 1.874 Kliniken, ein signifikanter Rückgang im Vergleich zu den rund 2.400 Krankenhäusern, die 1990 noch in Betrieb waren.

Dieser Abbau geht Hand in Hand mit akutem Personalmangel, insbesondere im Pflegebereich. Hier hätte die Regierung längst reagieren und eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Sozialberufe anstreben müssen, um den Pflegeberuf attraktiver zu machen. Gleiches gilt für den Lehrermangel und Engpass an Erziehungskräften.

Zudem leiden viele Krankenhäuser, ebenso wie die gesamte öffentliche Infrastruktur Deutschlands, unter massivem Investitionsstau. Finanzmittel für dringend notwendige Erneuerungen von Gebäuden und Ausstattung sind oft nicht ausreichend vorhanden. Statt Milliarden an Fördergeldern ins Ausland, in die Energiewende oder in die Finanzierung des Bürgergeldes zu pumpen, sollte die Regierung diese Gelder auf nachhaltige Projekte lenken. – Sanierungen von Schulen, Straßen oder Krankenhäusern beispielsweise sind dringend erforderlich und würden der Gesellschaft unmittelbar zugutekommen. Es bedarf einer Umstrukturierung des Bundeshaushalts und der verteilten Mittel.

Abgesehen von dem desolaten Zustand der deutschen Infrastruktur betont The Economist, dass Deutschland unter der Kanzlerschaft von Angela Merkel in gravierende geopolitische Abhängigkeiten geraten ist. Ein prägnantes Beispiel hierfür ist die starke Abhängigkeit des deutschen Wirtschaftswachstums vom Export nach China. Im Jahr 2016 überholte China erstmals die USA und wurde zum wichtigsten Handelspartner Deutschlands, eine Position, die das Land seither erfolgreich behauptet hat.

Industrie zeigt sich besorgt
Chinas Antwort auf die EU-Zölle: Ein drohender Handelskrieg?
Im Jahr 2021 erreichte das bilaterale Handelsvolumen zwischen Deutschland und China einen neuen Höchststand von etwa 245 Milliarden Euro. Dies wird besonders deutlich durch die Absatzzahlen deutscher Unternehmen in China: Volkswagen verkauft rund 40 Prozent seiner Fahrzeuge auf dem chinesischen Markt, während BMW etwa 33 Prozent und Mercedes-Benz circa 35 Prozent seiner Pkw dort absetzt.

Angesichts dieser hohen wirtschaftlichen Verflechtung ist es von entscheidender Bedeutung, gute Beziehungen zur China zu pflegen. Die Einführung der E-Auto-Zölle etwa könnte sich im Nachhinein als der falsche Weg erweisen. Potenzielle Gegenreaktionen Chinas auf diese Zölle oder Sanktionen infolge eines möglichen Taiwan-Konflikts oder einer ausgeweiteten Eskalation des Ukraine-Konflikts könnten der deutschen Wirtschaft verheerenden Schaden zufügen.

Daher ist es unerlässlich, die Abhängigkeit von China zu reduzieren oder, falls nicht möglich, zumindest in Neutralität zu verharren und sich nicht in Handelskriege der EU oder geopolitische Auseinandersetzungen verwickeln zu lassen.

Neben den geopolitischen Abhängigkeiten, die The Economist kritisiert, haben Merkels Entscheidungen Deutschland auch in anderen Schlüsselbereichen tiefgreifend geschadet. Besonders ihre Migrations- und Energiepolitik zeigen deutliche Spuren der Fehlsteuerung und haben dem Land massive Lasten aufgebürdet.

Die Migrationspolitik Merkels brachte erhebliche Herausforderungen für die innere Sicherheit und Integration mit sich. Kritiker weisen auf den verschärften Wohnungsmangel, zunehmende Integrationsprobleme und eine steigende Kriminalitätsrate hin. Die Belastung des Bildungssektors ist ein weiteres, oft kritisiertes Ergebnis dieser Politik – Schulen und Lehrkräfte sind überfordert, und die Qualität des Bildungssystems leidet zunehmend.

Auch Merkels Energiepolitik hat Deutschland in eine Zwickmühle geführt – konkret: in eine besorgniserregende Versorgungslücke manövriert. Anstatt eine stabile, nachhaltige Energieversorgung sicherzustellen, schuf der überhastete Atomausstieg ein energiepolitisches Vakuum.

Der Entschluss, die Atomkraftwerke abzuschalten, war zweifellos ein einschneidender Kurswechsel, ausgelöst durch die Nuklearkatastrophe von Fukushima am 11. März 2011. Nur drei Tage nach dem Unglück verkündete Merkel ein Moratorium zur Sicherheitsüberprüfung deutscher Reaktoren, und bereits am 9. Juni 2011 skizzierte sie den schrittweisen Atomausstieg bis 2022 – eine fatale Fehlentscheidung zu Lasten der deutschen Wirtschaft und der Steuerzahler.

Die Bundesregierung beschloss daraufhin offiziell den Ausbau der erneuerbaren Energien, deren Effizienz und Stabilität jedoch der deutschen Wirtschaft nur unzureichend gerecht werden. Die dreistelligen Milliardeninvestitionen in Wind- und Solarenergie haben bisher keineswegs die erwartete Versorgungsstabilität gebracht, im Gegenteil.

Statt Milliardensummen aufzuwenden, um den Ausbau von Wind- und Solarkraft voranzutreiben, wäre es sinnvoller gewesen, weiter auf die altbekannte, etablierte und zuverlässige Atomkraft zu setzen. Die enormen Summen, die in die Energiewende geflossen sind, hätten stattdessen gezielt den Kommunen zur Verfügung gestellt werden können, um dringend notwendige Sanierungen öffentlicher Infrastruktur voranzutreiben.

Anhand der Kritik von The Economist an Angela Merkels Vermächtnis wird einmal mehr klar: Ihre Kanzlerschaft war geprägt von Entscheidungen, die Deutschland langfristig gesehen mit schwerwiegenden Folgen belastet haben. Die Ära Merkel hinterlässt Deutschland in desolatem Zustand – wirtschaftlich, infrastrukturell und geopolitisch.

Anzeige
Die mobile Version verlassen