Tichys Einblick
hoher Krankenstand, Bürgergeld etc

Unter Karl Lauterbach explodieren die Kosten fürs Gesundheitssystem

Bei explodierenden Kassenbeiträgen schiebt Lauterbach die Schuld auf die Kassen. Sie arbeiteten ineffizient. Das ist gleich doppelt unfair. Zum einen heißt es „Gesetzliche Krankenversicherung“. Die meisten – und höchsten - Ausgaben gibt der Staat vor. Zum anderen macht die Regierung mit ihrem Lieblingsprojekt Bürgergeld die Erhöhung der Beiträge notwendig.

IMAGO

Das deutsche Gesundheitssystem arbeitet ineffektiv. Eine harte Aussage gegen die Ampel und ihren Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Trotzdem müssen die „Faktenfinder“ der ARD jetzt keine Fake News nachweisen. Auch brauchen staatlich finanzierte Zivilgesellschaften das nicht aus den sozialen Netzwerken löschen zu lassen, weil hier „Hass und Hetze unterhalb der Strafbarkeitsgrenze“ verbreitet würde. Dieses vernichtende Urteil über die Gesundheitspolitik der Ampel stammt aus deren eigenen Reihen und sogar vom zuständigen Minister persönlich. Das deutsche Gesundheitsministerium arbeitet also ineffektiv.

Bezahlen für diese Ineffektivität müssen die Betriebe und ihre Beschäftigten über die Zwangsabgaben für Kranken- und Pflegeversicherung. Beide steigen zum Jahreswechsel. In der Pflege muss das Lauterbach persönlich entscheiden, in der Krankenversicherung handeln die Kassen in eigener Verantwortung. Der Kostendruck auf sie ist so hoch, dass die Erhöhungswelle bereits begonnen hat. Am Ende dieses Prozesses wird laut Schätzerkreis der Bundesregierung jede Kasse ihren Beitrag im Schnitt um 0,8 Prozentpunkte angehoben haben. Allein das macht durchschnittliche Arbeitsplätze um 400 Euro im Jahr teurer.

Eine Fehlbesetzung durch und durch
Als Karl Lauterbach sich selbst um Kopf und Kragen redet
Die Kosten explodieren unter Lauterbachs Nase. Die Ineffizienz des Systems verantwortet Lauterbach. Das heißt: Er sollte sie verantworten. Denn Deutschlands erster Talkshow-Minister macht das, was er immer tut, wenn er eigene Unzulänglichkeiten überspielen muss: Er verspricht, dass bald alles besser werde, weil die nächste Reform wirklich greifen werde. Und er zeigt mit dem Finger auf andere und gibt ihnen die Schuld. Beides kann er tun, ohne dass die meisten Medien ihm widersprechen. Als Minister hat Lauterbach so viel Geld für Anzeigen ausgegeben, dass ihn der Bundesrechnungshof dafür kritisiert hat. Wenigstens das Füttern von „Journalisten“ mit Steuergeld hat sich für den Mann aus Leverkusen also gelohnt.

In Sachen explodierende Kassenbeiträge hat Lauterbach die Schuld auf die Kassen geschoben. Sie arbeiteten ineffizient. Doch der Vorwurf ist gleich doppelt unfair. Zum einen heißt das Konstrukt aus gutem Grund „Gesetzliche Krankenversicherung“. Denn die meisten – und höchsten – Ausgaben gibt der Staat den Kassen vor. Zum anderen ist es die Bundesregierung, die mit ihrem Lieblingsprojekt die Erhöhung der Beiträge notwendig macht: mit dem Bürgergeld.

Rund zehn Milliarden Euro schuldet die Ampel den Kassen. Jedes Jahr aufs Neue. Pro Empfänger von Bürgergeld zahlt der Bund den Kassen 119 Euro im Monat. Das ist nur etwas mehr als ein Drittel dessen, was die über die Bezieher von Mindestlohn erhalten. Der Bund rechnet seine eigenen Kosten fürs Bürgergeld also niedrig, um den eigenen Haushalt verfassungsgemäß zu führen und den Anschein der „Schuldenbremse“ einzuhalten. Die Rechnung – rund zehn Milliarden Euro im Jahr – zahlen die Betriebe und ihre Beschäftigten über ihre Beiträge. In einem Beitrag der Bild weisen die Chefs der Krankenkassen auf diesen Zusammenhang hin und fordern, Lauterbach müsse nur ein Versprechen der Ampel einlösen und so viel für die Behandlung von Bürgergeld-Empfängern zu zahlen, wie diese Behandlung halt kostet. Dann ließe sich der Anstieg der Kassenbeiträge bremsen.

Prognose des Schätzerkreises
Karl Lauterbach braucht ein Wunder: Die Beiträge der Krankenkassen steigen drastisch
Das Abwälzen der eigenen Kosten durch die Ampel ist der offensichtlichste Grund für die Finanznot der Krankenkassen. Ein anderer ist der Krankenstand. Die Deutschen machen so gerne von ihrem Recht auf bezahlte Krankentage Gebrauch wie kaum ein anderes europäisches Land. Sie feiern im Schnitt drei Mal so oft krank wie die Briten, hat der britische Pioneer jüngst festgestellt.

Eine aktuelle Statistik der DAK-Gesundheit gibt dem Pioneer Recht. Seit der Pandemie berichtet die Krankenkasse von einem neuen Rekord nach dem anderen. So auch jetzt wieder. Demnach ist der Krankenstand im Sommerquartal auf 5,0 Prozent geklettert. Von Juli bis September gab es neun Prozent mehr Krankschreibungen als im dritten Quartal des Vorjahres, wie die DAK mitteilt.

Mit der Pandemie hat sich die Ursache für Krankschreibungen verändert. Zwar führen Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems nach wie vor zu den meisten Krankheitsfällen. Doch nun folgen auf Platz zwei psychische Erkrankungen und auf Platz drei Erkrankungen der Atemwege. Vor der Pandemie und ihren politischen Maßnahmen wie der Ausgrenzung Ungeimpfter war es umgekehrt. „Wir brauchen jetzt eine seriöse und gründliche Debatte über die wirklichen Ursachen für den anhaltend hohen Krankenstand“, sagt DAK-Vorstandschef Andreas Storm: „Angesichts der anhaltenden Wirtschaftsschwäche in Deutschland kommt den Fehlzeiten der Beschäftigten eine besondere Bedeutung zu. Der hohe Krankenstand ist ein zusätzliches Risiko für die Erfolgschancen der Unternehmen, die Wachstumsschwäche zu überwinden.“

45 von 100 Mitarbeitern haben sich krankschreiben lassen. Im Sommerquartal. Zwischen Juli und September 2023 seien es nur 41 von 100 Mitarbeitern gewesen: „Diese sogenannte Betroffenheitsquote ist für ein Sommer-Quartal mit hohen Temperaturen und vielen Ferienwochen ungewöhnlich hoch“, teilt die DAK-Gesundheit mit. Die Falldauer ist indes zurückgegangen. Pro Krankschreibung haben die Arbeitnehmer also kürzer gefehlt als bisher.

Quo vadis, Pflegeversicherung?
Lauterbach bei Lanz ganz in seinem Element: viel reden, nichts sagend
Das hört sich erst einmal nach einer guten Nachricht an. Aber: Angesichts der zunehmenden Bedeutungen von psychischen Erkrankungen sollte diese Zahl aufhorchen lassen. Denn der Natur der Sache entsprechend dauern psychische Erkrankungen grundsätzlich deutlich länger als zum Beispiel Erkrankungen der Atemwege. Wenn sich also mehr Menschen für kürzere Zeit krankschreiben lassen, spricht das gegen ihre Arbeitsmoral. Und tatsächlich: „Bei Schnupfen, Bronchitis und anderen Infekten gingen die Krankschreibungen im Vergleich zum Vorjahresquartal um 19 Prozent hoch. Die Anzahl der Atemwegs-Fehltage stieg von 56 auf 64 Tage je 100 Beschäftigte“, wie die DAK mitteilt.

DAK-Chef Storm will über Blaumachen als mögliche Ursache für die Rekorde nicht diskutieren, wenn er auch sonst eine „gründliche Debatte“ über die möglichen Ursachen fordert. Doch die Zahlen lassen auf solche Ursachen schließen. Die Fakten auch: In Deutschland ist mittlerweile die telefonische Krankschreibung Standard. Am Lohn müssen die Kranken keinerlei Einbußen hinnehmen. Und angesichts eines Bürgergeldes, das auskömmlicher ist als manches Gehalt, schreckt auch der mögliche Verlust des Arbeitsplatzes kaum noch jemanden ab. Krankschreiben ist in kaum einem anderen Land so attraktiv wie in Deutschland – krankgeschrieben wird in kaum einem anderen Land so oft wie in Deutschland. Wer einen möglichen Zusammenhang von Anfang an ausschließen will, diskutiert nicht gerade ergebnissoffen. Und wird sich von Lauterbach die Schuld an dem ineffizienten Gesundheitssystem geben lassen müssen. Inhaltlich unberechtigt – moralisch aber auf seine Weise ok.

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