Die Bundesregierung der drei Ampelparteien steckt nicht gerade in einer rosigen Zeit. Und jetzt braucht Außenministerin Annalena Baerbock einmal mehr unsere Aufmerksamkeit in ihrer Rolle als Schirmherrin des Bundesaufnahmeprogramms für Ex-Ortskräfte und andere Einreisewillige aus Afghanistan. Klar ist seit einiger Zeit, dass es hier nicht durchweg um politisch verfolgte oder „besonders gefährdete“ Personen ging, sondern in vielen Fällen um schlichte Glücksritter und Vorteilssucher, die am Ende auch gar keinen afghanischen Hintergrund haben mussten, um sich für das Programm zu qualifizieren. Dieser Hintergrund stand in mehreren Fällen in Frage, was aber im Baerbock-Amt niemanden störte. Vielmehr ging man davon aus, dass afghanische Pässe ohnehin das Papier nicht wert sind, auf dem sie gedruckt wurden.
Jetzt ist ein weiteres pikantes Detail aus dem Bundesaufnahmeprogramm für 40.000 Afghanen durch Recherchen von Business Insider bekannt geworden.
Lange war unklar, welche die „Meldestellen“ sind, über die dem Auswärtigen Amt die Einreiseanträge von vermeintlich verfolgten Afghanen zukommen. Nach außen gedrungen waren lediglich die Namen weniger Nicht- oder Nebenregierungsorganisationen (NGO) wie der grünennahen „Luftbrücke Kabul“, die an der Schaltstelle zwischen Politik und „humanitärem Engagement“ gegründet wurde, und also Öffentlichkeit wie die Luft zum Atmen brauchte. Das offizielle Schweigen ließ Beobachter zum Schluss kommen, dass sich hinter den restlichen Meldestellen auch NGOs verbergen. In mindestens einem Fall war das aber nicht so.
Wie sich jetzt herausstellt, war auch Deutschlands einziger Staatssender, die Deutsche Welle (DW), auf seine Art eine „meldeberechtigte Stelle“ mit direktem Zugang zum Auswärtigen Amt. Laut BI-Reporter Ulrich Thiele hat die Deutsche Welle selbst Listen mit Vorschlägen zur Evakuierung vorgelegt. Das Auswärtige Amt habe dann auf Staatskosten evakuiert.
Apropos Kosten: Auch diese sind erheblich. Die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) hat seit 2021 rund 11.000 Reisen von Afghanistan nach Pakistan organisiert, weiß die Welt am Sonntag. Die Kosten für Transport, Unterkunft und Versorgung während des Visumverfahrens übernahm so indirekt die Bundesregierung.
Ein Geretteter betreibt ein Airbnb in Afghanistan
Die DW untersteht seit 2021 einer weiteren Grünen-Politikerin, der Staatsministerin für Kultur im Kanzleramt, Claudia Roth. Nun werden Konsequenzen auch für die grüne Staatsministerin gefordert, die es schon bisher nicht skandalfrei durch die drei Jahre Ampelkoalition geschafft hat. Nach mehreren Antisemitismus-Skandalen (bei Documenta und Berlinale) folgt nun als indirektes, aber vielleicht von ihr zu verantwortendes Machwerk der Kulturministerin das Einfliegen von 300 bis 400 angeblich gefährdeten Afghanen nach Deutschland. Das begann allerdings unter ihrer Vorgängerin Monika Grütters (CDU). Die Verantwortung dürfte eine geteilte sein.
Auch hier soll die Vetternwirtschaft geglüht haben, Verwandte „weit über den Kreis der Kernfamilie hinaus“ seien so nach Deutschland gekommen. Sogar die Söhne eines Taliban seien evakuiert worden, der war nämlich der Schwiegervater eines DW-Mitarbeiters der Dari/Pashtu-Redaktion. Die Zusammenfassung liegt auf der Hand: Dank der DW-Leitung und des Einvernehmens der Bundesregierung sind Taliban-Söhne nach Deutschland gekommen. Doch die DW bestreitet die Anschuldigungen. Der DW-Chef Peter Limbourg rühmte sich noch lange des damals gezeigten Einsatzes. „Himmel und Hölle“ habe man in Bewegung gesetzt und nächtelang nicht geschlafen. Alles, um die afghanischen Redakteure der DW mitsamt ihren „Kernfamilien“ zu evakuieren, in jenem tumultuarischen Sommer 2021, als Angela Merkel noch an der Macht war und Innenminister Horst Seehofer sich mit anderen Ministern zur sukzessiven Ausweitung des Ortskräfte-Begriffs verständigte.
Laut Business Insider sind einige der damals aufgenommenen afghanischen DW-Mitarbeiter seither zumindest zeitweise in ihre Heimat zurückgekehrt. Von Verfolgung oder ernsthafter Gefährdung offenbar keine Spur. Einer der Aufgenommenen soll sogar ein Airbnb in Masar-e Scharif betreiben, was noch einmal die Attraktivität des Landes für Touristen bestätigt und illustriert. Die DW dazu laut Business Insider: „Das private Verhalten (z.B. Reiseverhalten) von evakuierten Personen liegt nicht im Verantwortungs- oder Einflussbereich der DW. Auch die Beurteilung des aktuellen Gefährdungsstatus evakuierter Personen obliegt nicht der DW.“ Kurz danach wurde das Airbnb-Angebot gelöscht. Trotzdem scheint die Gefährdung dieses Mannes, Khalid H., in Afghanistan gegen null zu tendieren.
Und auch mit Waffen und wilden Söhnen des Vorhimalayas ist gedient: In den sozialen Medien sind Bilder der „unschuldig Verfolgten“ aufgetaucht, auf denen sie unbeeindruckt vor einem Nobel-Auto neben Bewaffneten im Taliban-Stil stehen. Darunter einer der Schwager von Khalid H., dem freien Mitarbeiter der Deutschen Welle, der einen Taliban zum Schwiegervater hatte. Wie die beiden Schwager eines DW-Mitarbeiters überhaupt nach Deutschland eingeflogen werden konnten, bleibt ohnedies ein Rätsel. Laut Business Insider kamen teils 20 bis 30 Verwandte dank eines DW-Mitarbeiters nach Deutschland. Das geht weit über jede Kernfamilie hinaus und zeigt die Vetternwirtschaft rund um die Afghanen-Flüge so deutlich wie nie zuvor auf.
Personen aus Taliban-Umfeld profitierten von deutschen Flügen
Hier darf man sich noch einmal die Worte des Sprechers von Außenministerin Baerbock ins Gedächtnis rufen, wo es von den eingereisten Afghanen heißt: „Sie mussten sich Verfolgung in Afghanistan vergegenwärtigen, entweder weil sie als Ortskräfte für die Bundesregierung gearbeitet haben oder weil sie sich zivilgesellschaftlich oder beruflich so engagiert haben, dass die Wahrscheinlichkeit hoch war, dass sie ins Visier der Taliban geraten.“ Das scheint dann doch nicht in allen Fällen genau so gewesen zu sein. Von den zugelassenen Scharia-Richtern und „Bad boys“, also üblen Kerlen, die einst für deutsche Behörden oder Heeresabteilungen gearbeitet haben, dann wegen Fehlverhaltens entlassen, am Ende aber nach Deutschland eingeschleust wurden, war schon öfter die Rede. Immer wieder scheinen Personen aus dem Umfeld der Taliban so vom deutschen Aufnahmeprogramm profitiert zu haben.
Im Auswärtigen Amt zeigte sich im Laufe der Enthüllungen ein nicht für möglich gehaltener Sumpf von Abhängigkeiten und Gefälligkeiten. Dreh- und Angelpunkt waren die Afghanistan-Einflüge, die Baerbock bald nach ihrem Amtsantritt zur Chefsache erklärt hatte. Der „vielschrittige Prozess“ (Baerbock-Sprecher), den die Afghanen zu durchlaufen hatten, lief nicht immer normal ab und wurde etliche Male abgekürzt. Zwei Millionen deutsche Visa werden im Jahr weltweit vergeben. Baerbock hat viel getan, um die Vergabe gerade in Nahost und Afrika auszuweiten.
Von ganz oben wurde die Direktive ausgegeben, Visa auch in solchen Fällen zu erteilen, in denen die Identität und die „Verfolgungsgeschichte“ des Antragstellers Lücken aufwiesen oder rundherum fraglich waren. Deshalb ermitteln nun die Staatsanwaltschaften Berlin und Cottbus gegen mindestens drei hochrangige Ministeriumsmitarbeiter. Daneben fiel ein Referatsleiter der Visa-Grundsatzabteilung auf, dessen Frau eine afghanische Rechtsanwältin ist, die Afghanen vertrat, welche in Islamabad deutsche Visa beantragt hatten – Vetternwirtschaft in Baerbocks Visa-Abteilung, hieß es darauf hin nicht nur bei Tichys Einblick.
Ein auszufliegender „Bruder“ in Pakistan war vielleicht gar keiner, und ein afghanischer Familienvater möglicherweise ein pakistanischer Agent.
Das seltsame Demokratieverständnis der Ampel
Aus dem Auswärtigen Amt erfährt man dazu derzeit nichts. Die Ermittlungsverfahren dienen als Rechtfertigung, um selbst nichts zum Thema zu sagen. Man will den Staatsanwälten ja nicht vorgreifen. Dabei steht die Bundesregierung in der Pflicht, etwa das Parlament aufzuklären. Das steht auch für den CDU-Bundestagsabgeordneten Detlef Seif fest, der die Regierung kritisiert. „Die Ampel verheimlicht wichtige Informationen und verstärkt den Eindruck, dass es sich bei der Visa-Affäre nur um die Spitze eines Eisbergs handelt“, sagte er der Welt am Sonntag. Dieses Verhalten zeige außerdem den „mangelnden Respekt vor dem Fragerecht des Parlaments und ein seltsames Demokratieverständnis“ der Regierenden.
Die AfD-Vorsitzende Alice Weidel hatte schon im August von einem „Abgrund an Rechtsverachtung“ gesprochen. Das Auswärtige Amt sei unter Baerbock „zum Einwanderungs- und Schleuseramt degradiert worden“. „Tausende Migranten“ seien „unter vorsätzlicher Umgehung von Recht und Gesetz nach Deutschland eingeschleust“ worden, was dem „Land und seinen Bürgern schweren Schaden“ zufüge und die innere Sicherheit gefährde. In der Tat prüft die Kriminalpolizei Tausende von erteilten Visa aus zahlreichen Botschaften, nicht nur jener in Pakistan. Aber auch die Sicherheitsbehörden sind in die Visaerteilungen verwickelt: In Islamabad hatte die Bundespolizei die falschen Proxypässe nicht erkannt. Auch hier fragt sich, auf wessen Weisung. Die Frage geht an das Innenministerium und Nancy Faeser ebenso wie ans Auswärtige Amt von Annalena Baerbock. Neue Fragen gehen an die Kultur- und Medienbeauftragte im Kanzleramt, Claudia Roth, und ihre Vorgängerin Monika Grütters.
Was die eilig organisierten Flüge aus Kabul und ihre Nachfolger aus Islamabad angeht, urteilen Experten inzwischen deutlich bedächtiger. Die Gefährdungslage für ehemalige Beschäftigte der Bundesrepublik in Afghanistan gilt als undurchsichtig. Das anfangs „befürchtete Schreckensszenario einer strukturellen Verfolgung“ habe sich nicht bewahrheitet, meint die Afghanistan-Expertin der Konrad-Adenauer-Stiftung, Dr. Ellinor Zeino. Die Gefährdungsprüfungen der Bundesregierung seien „zum Teil sehr pauschal getroffen worden“ – und damit ist noch wenig gesagt. Dabei seien noch nicht einmal ehemalige Ortskräfte oder NGO-Mitarbeiter „per se“ aufgrund ihrer ehemaligen Tätigkeit gefährdet, so Zeino. Die verschiedenen Bundesregierungen seit 2021 haben jedenfalls ihr Bestes getan, um aus der Rettungsaktion eine Gruppenreise für die gesamte Verwandtschaft samt Schwagern und Schwippschwagern zu machen. Einen Beitrag dazu leistete auch die Deutsche Welle unter Peter Limbourg.