Tichys Einblick
Helds Ausblick – 9/2024

Wo die CDU versagt

Die CDU bietet sich als Alternative zur gegenwärtigen Regierung an. Aber sie ist nicht mehr die Partei, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung von Staat und Wirtschaft in kritischen Situationen zu verteidigen wusste.

picture alliance/dpa | Jörg Carstensen

Die Deutschland-Krise betrifft nicht nur einzelne Fehlentwicklungen. In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten haben belastende Eingriffe in die Grundordnung von Wirtschaft und Staat stattgefunden, die sich nun als Irrweg erweisen. Auf dem gewählten Kurs steuert Deutschland auf einen fundamentalen Engpass zu. Noch nie in der Geschichte dieser Republik war das Missverhältnis zwischen den Lasten, die dem Land aufgebürdet werden, und der real zur Verfügung stehenden Produktivität von Betrieben und Infrastrukturen so groß.

Die Konsequenz ist eine Reproduktionskrise: Es gelingt nicht mehr, die Grundelemente von Wirtschaft und Staat aus den eigenen Erträgen zu finanzieren. Der Niedergang ehemals tragender Industriebranchen wie Automobilbau, Chemie und Maschinenbau kann nicht mehr als bloß konjunkturelles Problem betrachtet werden. Das Gleiche gilt für die immer größere Sanierungslücke bei der Brücken-, Straßen- und Schienen-Infrastruktur. Dazu trägt auch eine fundamentale Arbeitskrise bei: Es gelingt in Deutschland nicht mehr, die in Industrie, Handwerk, Landwirtschaft und Dienstleistungen notwendigen Arbeitskräfte aus der eigenen Bevölkerung zu gewinnen.

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Die Auseinandersetzung mit Rot-Grün reicht nicht – Das alles spricht für eine Überprüfung der Grundaufstellung unseres Landes. Doch die Regierung schafft es nicht, diesen Schritt zu machen. Ihre Krisenpolitik folgt noch dem Schema längst vergangener Jahrzehnte: Man hofft darauf, dass „Innovation“ und „Exportüberschuss“ schon bald wieder die zusätzlichen Erträge liefern werden, um aus der Krise „herauszuwachsen“. So wird das, was jetzt in Deutschland an Substanz verloren geht, extrem fahrlässig hingenommen. Man baut weiter eifrig die „große Transformation“ ins Leere. Und man versucht, mit teuren Subventionen und zusätzlichen Leistungen für „Soziales“ gute Stimmung und nochmal etwas Zeit zu kaufen. Der Vorsitzende der Kanzlerpartei SPD, schlägt eine E-Auto-Prämie und Steuersenkungen für fast alle vor, und ist im Kopf schon bei den Wahlen im Herbst 2025. Der Wahlkampf, so erklärt er, finde „zwischen der Union und uns“ statt, und diese Auseinandersetzung „beginnt jetzt“. Auch die Grünen setzen mit ihrem Personalwechsel offenbar darauf, das Land in einen verfrühten Wahlkampf-Modus zu versetzen, in dem es zu einer Überprüfung der Grundaufstellung des Landes gar nicht kommen kann.

Aber man sollte sich nicht zu sehr an Rot-Grün festbeißen. Aus dem berechtigten Zorn über den Irrsinn rot-grüner Politik kann eine positive Ordnungsidee für das Land gar nicht erwachsen. Doch was ist eigentlich mit der CDU/CSU? Die Christdemokraten waren ja einmal so etwas wie die Gründungs- und Ordnungspartei der Bundesrepublik. Sie hatten die Weitsicht, um wichtige Grundentscheidungen für Staat und Wirtschaft zu treffen. Und sie hatten die Statur, um sie gegen kurzsichtige Interessen nachhaltig durchzusetzen. So richteten sich immer dann, wenn Deutschland vor schwierigen Entscheidungen stand, die Blicke auf CDU und CSU. Aber in der jüngeren Vergangenheit haben die Christdemokraten in ihrer Ordnungsaufgabe versagt. So ist eine Situation eingetreten, in der es in Deutschland gar keine klare Vorstellung mehr von dem gibt, was „Ordnung“ in einem modernen Land bedeutet und leistet.

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Schwierige Entscheidungen, vor denen das ganze Land steht – Was sind in unserer Gegenwart die schwierigen Entscheidungen? Worin genau besteht das Schwierige? Einige Jahrzehnte lang konnte man in Deutschland darauf setzen, dass die Produktivität der deutschen Industrie und die Tragfähigkeit der Infrastrukturen so hoch war, dass das Land bei Konjunktur-Einbrüchen und einzelnen Struktur-Krisen „wie von selbst“ immer wieder auf die Füße fiel. „Politik“ bedeutete da nur ein begleitendes, moderierendes, allenfalls überbrückendes Handeln. Ebenso beruhte die internationale Stellung Deutschlands auf einem Produktsegment, das im Zuge des Wachstums der Weltwirtschaft stark nachgefragt wurde – wie der Maschinen- und Anlagenbau oder Automobile der gehobenen Mittelklasse. Schwächen des Binnenmarktes konnten durch Exportstärke aufgewogen werden. In politisch-militärischen Krisen konnte man im Schatten der USA eine eher weiche, vermittelnde Rolle spielen. So gewöhnte man sich hierzulande daran, von wirtschaftlichen und politischen Krisen mit einer routinierten Leichtigkeit zu sprechen. Es regierte die Erwartung, dass „wir gestärkt aus der Krise hervorgehen werden“. Was die Regierenden nicht daran hinderte, im gleichen Atemzug die Gefahr immer größerer „sozialer Krisen“ und „ökologischen Krisen“ an die Wand zu malen.

Doch nun zeigt sich die Krise an einer Stelle, an der man das Land für unverwundbar hielt: Die Produktivität der Wirtschaft und die Tragfähigkeit der staatlichen Infrastrukturen brechen ein. Die Überschüsse, die dem Land bisher so leicht über alle Krisen hinweghalfen, stehen nicht mehr zur Verfügung. Und auch der Ausweg auf die Exportmärkte wird zum Engpass, denn immer mehr Länder stellen die Produkte des „deutschen Segments“ nun selber her oder beziehen sie von anderen Lieferanten – siehe China. Auf einmal muss das Land die eigene Basis rehabilitieren. Zugleich erlauben die poltisch-militärischen Krisen kein leichtes Mitfahren mehr. Aber eine „Flucht nach vorne“ in eine neue Weltmacht-Politik wäre auch keine Lösung, sondern abenteuerlicher Leichtsinn. Vielmehr müssten in dieser Lage viel strikter die Grenzen der deutschen Möglichkeiten als mittelgroßes Land klar definiert und gewahrt werden.

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Die CDU als „Mitte“, die nach allen Seiten offen ist? – In dieser ernsten Lage bieten sich CDU und CSU als die große und einzige Alternative für Deutschland an. Aber sie vermeiden, von den neuen Härten der Entscheidungen zu sprechen, die für die Verteidigung von Wirtschaft und Staat notwendig sind. Ihre Statements versprechen vieles in unterschiedliche Richtungen. Sie erwecken den Eindruck, mit ihnen würden sich wieder jene leichten Auswege eröffnen, die in vergangenen Jahrzehnten zur Verfügung standen. Das soll im Folgenden an einigen prominenten Beiträgen gezeigt werden.

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Die große Rede vom „Zusammenbringen“ – Im Grundsatzprogramm der CDU, das im Frühjahr 2024 beschlossen wurde, findet sich folgender Satz:

„Bei einem Prozent Weltbevölkerung und 2 Prozent CO2-Ausstoß global wollen wir zu 20 Prozent an der Lösung beitragen: mit Technologien für die Welt.“

Dieser Satz stammt von Friedrich Merz persönlich, wie man einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 6. Mai 2024 entnehmen kann. Er drückt die Erwartung aus, dass man die „Klimaziele“ (die nicht in Frage gestellt werden) mit einer Stärkung der deutschen Wirtschaft und ihrer Rolle in der Welt verbinden kann. Das „Verbinden“ ist einerseits ein ganz vages Wort, unter dem man sich alles Mögliche vorstellen kann und das als solches gar nicht zu erhärten oder zu widerlegen ist. Aber anderseits bedeutet „Verbinden“ auch eine Lösung ohne größere Opfer. Das scheint auch die generelle Botschaft des neuen CDU-Grundsatzprogramms zu sein, wenn man Andreas Jung, dem stellvertretenden Parteivorsitzenden der CDU, folgt. Er wird im FAZ-Artikel mit folgenden Worten zitiert:

„Wir sind die Partei der Nachhaltigkeit, die Wirtschaft, Umwelt und Soziales zusammenbringt. Nur wenn wir ein starkes Industrieland bleiben, erreichen wir auch die Klimaziele.“

Das hört sich so an, als sei das Industrieland Deutschland bei der CDU in guten Händen. In Wirklichkeit wird hier ein Junktim zwischen allen möglichen Zielen formuliert. Das Junktim bedeutet, dass eine Zurücknahme oder auch nur eine Verschiebung der Klimaziele ausgeschlossen wird. Dabei sind die Einsichten im Land schon weiter. Was das Soziale betrifft, wird ja schon offen ausgesprochen, dass es hier mit dem „Zusammenbringen“ nicht getan ist, sondern Kürzungen unvermeidlich sind. Aber bei Umweltthemen sind wir noch nicht auf diesem Stand.

Die „Klimaziele“ sind inzwischen durch höchste Institutionen festgeschrieben, sodass jede Revision oder Relativierung einen großen Konflikt zur Folge haben würde. Aber vermeiden lässt sich dieser Konflikt nicht, denn zur Erreichung der Klimaziele sind inzwischen Verschärfungen von Normen, Kosten und Verboten für die kommenden Jahre und Jahrzehnte festgelegt worden, die dem Land immer weniger Luft zum Atmen lassen. Vor diesem Hintergrund ist die Rede vom „Zusammenbringen“ von Ökologie und Ökonomie eine dreiste Täuschung. Die Klimaziele haben eine Prioritätsstellung im Land erobert. Eine ganze einseitige Zwangsanpassung von Wirtschaft und Staat an einen absolut gesetzten Klima-Imperativ (die „große Transformation“) ist vorprogrammiert.

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Die „Klimaneutralität“ als ein zweites Grundgesetz? – Das ist nicht irgendein „grüner“ Ausrutscher, der dem Geist der Christdemokraten eigentlich fremd ist. Im Gegenteil: Die Klimapolitik ist von prominenten Vertretern der CDU in die höheren Institutionen Deutschlands und Europas transportiert worden. Das gilt für die Kanzlerin Angela Merkel. Das gilt für die Vorsitzende der EU-Kommission Ursula von der Leyen. Und das gilt für Stephan Harbarth, dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts und Vorsitzenden jenes ersten Senats des BVerfG, der das Klimaurteil vom März 2021 gefällt hat. In diesem Urteil wird die Aufstellung eines Fahrplans zur Erreichung der Klimaneutralität Deutschlands zum Verfassungsgebot erklärt und daraus direkt Handlungspflichten des Parlaments (der Legislative) und der Regierung (der Exekutive) abgeleitet. Dieser Fahrplan sieht gar nicht die Möglichkeit vor, dass durch die Verfolgung dieses Fahrplans die Existenzgrundlagen von Wirtschaft und Staat gefährdet wird. Eine Revision der Klimaziele ist vom höchsten deutschen Gericht auf diese Weise eigentlich ausgeschlossen. Der Marsch in die Klimaneutralität wird damit zu einer Art Zweitverfassung der Bundesrepublik.

Die Aufnahme des Klimagesetzes ändert dabei das Wesen der Verfassung. „Klimaneutralität“ ist nur ein Postulat, das dem Bereich von Wunsch und Vision zugehört. Eine Verfassung, die aus Postulaten besteht, ist etwas ganz anderes als eine Verfassung, deren Rechte und Pflichten sich auf die gegebenen und realgeschichtlich errungenen Kräfte und Ressourcen eines Landes beziehen. Die Aufnahme des Klimaziels legt Deutschland auf die sogenannte „große Transformation“ fest. Sie macht aus unserem Grundgesetz eine Transformations-Verfassung. Mit anderen Worten: Sie wirft das Land in den Strom einer Veränderung, deren erfolgreicher Abschluss noch in den Sternen steht, weil hinreichende technologische und zivilisatorische Voraussetzungen für das Erreichen der Temperaturziele noch gar nicht verfügbar sind. Dieser Horizont ist also fiktiv. Wenn man unter Berufung auf einen solchen Horizont reale, tragende Rechtsgüter zu zweitrangigen Rechtsgütern macht und faktisch außer Kraft setzt, ist das ein tiefer Einschnitt. Und wenn an diesem Einschnitt ein Jurist beteiligt ist, der einmal stellvertretender Vorsitzer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion war, ist das ein Indiz für den fundamentalen Wandel, der bei der ehemaligen Gründungs- und Ordnungspartei der Bundesrepublik stattgefunden hat.

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Hat der „Green Deal“ etwas mit Ludwig Erhard zu tun? – Der für Deutschland so verheerende Kurs würde sehr viel weniger Einfluss haben, wenn er nicht auch ein verführerisches Element enthielte. Dieses Element heißt „Green Deal“ und besteht in dem Versprechen, dass sich der verheerende Einschnitt leicht in eine Hochkonjunktur des Neuaufbaus verwandeln lässt – in ein neues Wirtschaftswunder. Damit wird ja allenthalben für Opfer bei der Verkehrswende, der Energiewende, der Heizungswende usw. geworben. Und es gibt sowohl im Management großer Unternehmen als auch in manchen Gewerkschaften noch eine Neigung, dem zu folgen und auf eine Art „Flucht nach vorne“ zu setzen.

Dafür gibt es auch Stimmen in der CDU und bisweilen erwecken sie sogar den Eindruck, dass der „Green Deal“ etwas mit dem deutschen „Wirtschaftswunder“ und mit der Politik Ludwig Erhards zu tun habe. So hat Roland Koch, Ex-CDU-Ministerpräsident von Hessen und gegenwärtig Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung in seiner wöchentlichen Kolumne („Erhard heute“) am 11. Oktober 2024 unter der Überschrift „Warum das Klimageld unbedingt nötig ist“ Folgendes geschrieben:

„Der Kern des europäischen Klimapaktes ist die schrittweise Verteuerung von CO2-Emissionen, um den Anreiz zu schaffen, fossile Energieträger durch klimafreundliche Alternativen zu ersetzen … Ohne die sichere Erwartung der Zertifikate-Verknappung und des Preisanstiegs rechnen sich weder E-Autos, noch Wasserstoff-Wirtschaft, noch Wärmepumpen und so weiter. Nur wenn das allen klar ist, beginnt der Wettbewerb um preiswerte E-Autos, kostengünstige und flächendeckende Wasserstoffversorgung und effiziente neue Heizungssysteme.“

Während die deutsche Wirtschaft in diesem Herbst 2024 nicht aus der Rezession herausfindet, sieht Koch die Aufgabe darin, die EU-Klimapolitik zu retten. Die zitierte Passage enthält eine wundersame Wandlung: Zuerst wird alles teurer, damit es „klimafreundlich“ wird. Dann aber wird auf einmal alles billiger: Auf einmal sollen E-Autos „preiswert“ sein, soll es eine „kostengünstige und flächendeckende Wasserstoffversorgung“ geben, und die neuen Heizsysteme sollen so „effizient“ sein, dass die Bürger ihre bisherige Heizung schnellstmöglich zum alten Eisen werfen wollen. Aber das ist nicht Markt-Wirtschaft, sondern Wettbewerbs-Metaphysik. Wie soll die Verteuerung der Güter, die ja durch die ökologischen Eingriffe in die Produktionssphäre verursacht ist, einfach „durch Wettbewerb“ verschwinden? CO2-Abgaben kann man schnell beschließen, aber die Veränderungen der Realität von Technologie, Maschinen und Arbeitsgängen gehen ungleich langsamer vor sich. Manchmal erweisen sich die schönsten Modellprojekte sogar als reine Luftschlösser.

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Für die einen die „große Transformation“, für die anderen das Fördertöpfchen – Auch Roland Koch scheint seiner schönen neuen Grün-Welt doch nicht ganz zu trauen. Denn er fordert, dass an die „einkommensschwachen Haushalte“ eine Subvention gezahlt wird. Dieses „Klimageld“ soll der Staat aus den Einnahmen durch die CO2-Zertifikate nehmen. Ein toller Einfall: Da gibt es auf einmal einen Batzen Geld im Säckel des Staates und da denkt sich Herr Koch: Och, da geben wir ein Drittel wieder zurück und haben damit die Probleme erledigt, die sich aus den Preissteigerungen ergeben.

Aber die Quelle, aus der seine sozialökologische Großtat gespeist werden muss, kommt gar nicht mehr vor. Die Gesamtsumme der CO2-Einnahmen muss von allen Unternehmen, staatlichen Einrichtungen und Privat-Haushalten ja erstmal bezahlt werden. Es lastet auf der Allgemeinheit. Die gigantische Kostenwelle, die eine Verteuerung der Energie quer durchs ganze Land auslöst, rollt weiter. Und niemand kann sie einfach aus der Portokasse bezahlen. Das ist die schöne neue Demokratie: Die einen drehen das große Rad der globalen Transformation, die anderen dürfen auf dem Fördertöpfchen sitzen.

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Eine neue „sozialökologische“ Ausbaustufe des Umverteilungsstaates – Was der gegenwärtige Vorsitzende der Ludwig-Erhard-Stiftung vertritt, ist das glatte Gegenteil von dem, was Ludwig Erhard vertrat. Das „Klimageld“ ist Teil aller möglichen Konsum- und Investitionsbeihilfen, die jetzt, wo allmählich die wahren Kosten der „großen Transformation“ sichtbar werden, installiert werden. Es geht nicht mehr nur um eine Ausdehnung des Sozialstaates, sondern um eine sozialökologische Zentral-Bewirtschaftung des ganzen Landes. Aber auf diesem Weg wird man die tatsächlichen Knappheiten, an die unser Land sich heute anpassen muss und innerhalb derer es seine Arbeits- und Investitionsfähigkeit nachhaltig wiederherstellen muss, nicht bewältigen.

Für diese Aufgabe ist eine Rückbesinnung auf die Leistung Ludwig Erhards sehr sinnvoll. In der Aufbauphase der Bundesrepublik, vor dem Hintergrund der Zerstörungen und Knappheiten nach dem Zweiten Weltkrieg gab es starke Tendenzen, eine Zentral-Bewirtschaftung des Landes als Fortsetzung der Kriegsbewirtschaftung zu veranstalten. Erhard misstraute als Ordnungspolitiker dem bloßen „Machen“ von oben und setzte darauf, die eigenständige Handlungsfähigkeit von Unternehmen, Haushalten und unterschiedlichen Staatsebenen wiederherzustellen. Dazu mussten die Bedingungen dafür hergestellt werden, dass diese Grundeinheiten eines modernen Landes selbsttragend waren und nicht von Subventionen abhingen.

Das bedeutete auch, dass nicht alle Ansprüche sogleich bedient und alle Notlagen sogleich behoben werden konnten. In Politik, Wirtschaft und Privathaushalten brauchte man Weitsicht und Durchhaltevermögen. Das war damals alles andere als selbstverständlich. Aber es gelang. Und dazu hat damals das ordnungspolitische Durchhaltevermögen von CDU und CSU ganz wesentlich beigetragen. Es wurde zum Markenkern der Christdemokratie, aber auch – für einige Zeit – zum Markenkern des politischen Lebens der Bundesrepublik – man denke an das Godesberger Programm der SPD.

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Was in Deutschland fehlt – Wo es einst diese Grundfähigkeit im Lande gab, klafft heute eine große Leerstelle. Das ordnungspolitische Versagen der heutigen Christdemokratie macht diese Leerstelle besonders deutlich. Wir haben gar keine klare Vorstellung mehr davon, was eine gute Grundaufstellung leisten könnte. Aber wir sehen, wie die Dinge im Lande heute so zäh und gleichzeitig so kurzatmig geworden sind. Umso wichtiger ist es, jetzt nicht auf die Union zu warten, sondern eigenständig den Blick auf die Ordnungsaufgaben im Lande zu richten – und diese Aufgaben von den 1000 Vormundschaften und Fördertöpfen, die man uns täglich andient, zu unterscheiden. Es geht um eine realitätsfeste, dauerhafte, einfache und keineswegs extreme Grundaufstellung von Wirtschaft und Staat – und um die Freiheit der Bürger, aus dieser Grundaufstellung heraus ihr Ding zu machen.

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