Tichys Einblick
Mercedes und VW

Die Krise der Auto-Industrie ist eine Krise der Manager

Erst großspurig, dann unbelehrbar – und stets vor allem auf den persönlichen Vorteil bedacht: Den Herren am Lenkrad der deutschen Automobilkonzerne möchte man schon privat eher nicht begegnen. Wenn sie zumindest ihre Unternehmen auf Kurs hielten … Tun sie aber nicht. Zwei aktuelle Beispiele.

picture alliance/dpa | Moritz Frankenberg

Im Krieg gibt es nie so viele Helden wie hinterher. Wenn im Ernstfall nur halb so viele Menschen nur halb so mutig gewesen wären, wie sie es danach behaupten, hätte kein Konflikt von keiner Seite jemals verloren gehen dürfen.

Jeder kennt solche Möchtegerns auch aus dem Büro. Wenn der Chef dabei ist, gehorchen sie brav und widersprechen nie. Sobald der Boss weg ist, schwingen sie dann die großen Reden, was alles falsch läuft und was man doch alles anders und besser machen müsste.

Der Typus kommt in allen Alters- und Gewichtsklassen vor. Seit einiger Zeit bevölkert er auch die Vorstandssessel der DAX-Konzerne. Neben Robert Habecks grüner Deindustrialisierungssekte und dem inhaltlich fundamental gleichgültigen SPD-Oberopportunisten Olaf Scholz sind diese „Nieten in Nadelstreifen“ (Günter Ogger) maßgeblich verantwortlich für den Niedergang unserer Wirtschaft.

Zuvorderst gilt das leider für den einstigen Stolz des deutschen Wirtschaftswunders: die Automobilbranche. Deren Absturz vernichtet derzeit so viel Wohlstand wie sonst nix, und die Gründe dafür konnte man am späten Donnerstagabend bei Markus Lanz im ZDF besichtigen.

Da war der ehemalige Vorstandsvorsitzende des Volkswagenkonzerns zu Gast: Herbert Diess. Es war, mit Verlaub, ein Desaster.

Dazu sollte man wissen, dass der gebürtige Münchner zeitlebens immer ein weisungsgebundener Manager gewesen ist. Das hat sich gelohnt – weniger für die Unternehmen, in denen er tätig war, dafür umso mehr für ihn: Inklusive vertraglich vereinbarter sogenannter Langzeitvergütungen überwies VW dem 66-Jährigen im Jahr 2023 ausweislich des Geschäftsberichts 12,8 Millionen Euro. Das ist deshalb besonders bemerkenswert, weil Diess als Vorstandsvorsitzender von Volkswagen schon 2022 wegen Erfolglosigkeit hatte zurücktreten müssen.

Dass der promovierte Ingenieur sich ab 2018 überhaupt vier Jahre auf dem Chefposten in Wolfsburg halten konnte, hat er allein zwei fundamentalen Webfehlern des Unternehmens zu verdanken. Erstens: Dem Bundesland Niedersachsen gehören über 20 Prozent der VW-Aktien. Zweitens: Die Landesregierung hat außerdem ein gesetzliches Veto-Recht bei allen wichtigen Entscheidungen.

Das macht jeden VW-Chef, der es zulässt, zu einem besseren Befehlsempfänger des jeweiligen Ministerpräsidenten in Hannover. Diess hat es von Anfang an zugelassen und die wichtigsten parteipolitischen Wünsche von SPD-Landesvater Stephan Weil recht willfährig in eine Unternehmenspolitik gegossen. Neben dem Erhalt des absurd großen Einflusses der IG Metall auf Konzernentscheidungen von Volkswagen war das vor allem die Ausrufung von Klimaschutz und E-Mobilität als zentrale Ziele der VW-Strategie.

Kein deutscher Autobauer verfolgte eine so aggressive E-Auto-Strategie wie VW seit 2018 unter Herbert Diess – entsprechend dem ausdrücklichen Wunsch von Ministerpräsident Weil. Der Vorstandsvorsitzende versprach eine güldene Zukunft: Bis 2030 sollten 70 Prozent aller Fahrzeuge, die bei VW vom Band laufen, E-Autos sein.

Das klappt nur so mittelgut. Genauer: Es klappt gar nicht. Derzeit ist gerade mal jeder zehnte VW ein E-Auto. Auch die wohlmeinendsten Beobachter halten das 70-Prozent-Ziel bis 2030 für ein komplettes Luftschloss. Dessen Bau hat freilich riesige Löcher in die Unternehmenskasse gerissen. Die politisch erwünschte und vom Diess-Vorstand eingeleitete radikale Abkehr vom Verbrenner-Motor hat Volkswagen zu einem Sanierungsfall gemacht. Dem Autobauer fehlen bis 2026 fünf Milliarden Euro. Die lassen sich nicht mehr durch sanfte Maßnahmen einsparen. Unter Diess wurde jahrelang mehr Geld ausgegeben als eingenommen.

Deshalb soll die mit dem Betriebsrat vereinbarte Beschäftigungssicherung aufgekündigt werden. Sie schloss bisher betriebsbedingte Kündigungen bis 2029 aus. Erstmals seit 30 Jahren soll es bei VW nun Entlassungen geben. Und erstmals seit 1998 soll mindestens ein Werk komplett verschwinden – diesmal sogar am Standort Deutschland, wo das bisher noch nie vorgekommen ist.

Schuld an der dramatischen Krise bei VW ist: Herbert Diess. Er ist geradezu enthusiastisch dem politischen Wunsch gefolgt, voll auf das Elektro-Auto zu setzen und sich vom Verbrenner-Motor komplett abzuwenden. Die internationalen Konkurrenten – zum Beispiel auch BMW – haben wegen der fehlenden Nachfrage ihre jeweiligen E-Auto-Pläne dagegen längst radikal zurückgefahren.

Doch nun sitzt der grandios gescheiterte Manager Herbert Diess bei Markus Lanz und erklärt den Zuschauern, wie man erfolgreich einen Autokonzern führt. Und natürlich geht das nur so – nur so! –, wie er das gemacht hat und weiter gemacht hätte, wenn man ihn nur gelassen hätte.

Großspurigkeit in Tateinheit mit Unbelehrbarkeit: Anders lässt sich dieser bizarre Auftritt nicht beschreiben. Immerhin entsteht daraus doch ein gewisser Erkenntnisgewinn für den Zuschauer: Man ahnt, dass in Deutschlands Automobilindustrie der Fisch tatsächlich vom Kopf her stinkt.

Wer die Nase in den Wind hält, erschnüffelt da dieser Tage noch ein zweites Dax-Sorgenkind: Mercedes.

Dessen Chef Ola Källenius ist einer jener Manager, die sich für Unternehmer halten, obwohl sie ja nur leitende Angestellte sind. Entsprechend viel Wert legt er auf die Selbstinszenierung. Seine PR-Abteilung versucht, aus ihm eine Art europäischen Elon Musk zu machen. Das scheitert regelmäßig daran, dass Elon Musk erfolgreich ist.

Mit großer Geste hatte der Schwede 2021 das Konzernziel „Electric Only“ verkündet – und zwar bis 2030. Ab dann sollte Deutschlands Luxus-Marke ausschließlich nur noch E-Autos montieren. Heute ist klar: Daraus wird nichts, und zwar gar nichts. 2030 als Ziel entsprang keiner eingehenden Kundenanalyse und keiner systematischen Strategieplanung, sondern Källenius hatte das Jahr völlig willkürlich gewählt – wohl, weil es so gut klang.

Doch in Wahrheit gibt es für E-Autos eben einfach immer noch keinen richtigen Markt. Der Verbrenner-Motor ist unverändert die mit Abstand wichtigste Cash Cow im Konzern, und die Belegschaft tuschelt: „Erst hat er auf dicke E-Hose gemacht, und nun steht er in der Unterhose da“, sagt ein Mitarbeiter über den Chef.

Der bekommt seinen Laden schlicht nicht in den Griff. Vor allem hat Källenius ein Qualitätsproblem: Der Nimbus von Mercedes als Hersteller der besten Luxusautos weltweit ist weg. Selbst Chinas größter Autobauer BYD traut sich inzwischen, den „guten Stern auf allen Straßen“ im Premiumbereich anzugreifen. Der Absatz der S-Klasse ist in den ersten sechs Monaten 2024 gegenüber dem ersten Halbjahr 2023 um ein Viertel eingebrochen.

Das ist umso dramatischer, als der 55-Jährige den Konzern voll auf das Luxussegment fokussiert hat. Sowohl die A- als auch die B-Klasse wurden kurzerhand aus dem Programm genommen. Die unteren Klassen haben zwar nie viel Geld verdient, aber jetzt müssen die verbliebenen Luxussegmente halt sämtliche Konzernkosten selbst einspielen.

Das drückt auf die Margen. Källenius hatte den Mercedes-Investoren zehn bis elf Prozent versprochen, angeblich liegen die Margen im Auto-Bereich aber nur noch zwischen 7,5 und 8,5 Prozent. Das drückt auf den Aktienkurs – und zwar gewaltig: Während der deutsche Leitindex DAX Rekord nach Rekord einfährt, ist Mercedes im vergangenen halben Jahr fast ein Viertel seines Börsenwerts abhanden gekommen.

Källenius ist angezählt. Mit dem Sparprogramm „Beat26“ will er nun Kosten senken. Doch er musste
Arbeitszeitverkürzungen und einer Beschäftigungsgarantie bis 2029 zustimmen. Die Gewerkschaft IG Metall argumentiert, dass die Mitarbeiter nicht für die Fehler des Chefs bluten dürften. Und das kann man irgendwie ja sogar auch verstehen.

So oder so kämpfen sich der Luxus-Laden Mercedes und der Volkswagen-Vertrieb VW gerade durch sehr, sehr schwere See. In beiden Fällen sind es die Kapitäne, die den falschen Kurs gesetzt haben. Der eine musste schon von Bord, beim anderen dürfte es nicht mehr allzu lange dauern.

Doch die Schiffe werden – mit Besatzung und Passagieren – wohl trotzdem sinken.

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