Die Crux mit der Berichterstattung über die BRICS-Konferenz in Kasan (22. bis 24. Oktober) ist, dass die meisten Artikel mehr über die Autoren der Artikel und deren Meinung aussagen als über die BRICS-Konferenz selbst. Auf der einen Seite gibt es jene, die blindlings große Hoffnungen auf die BRICS setzen, die Weltordnung neu und „gerechter“ zu gestalten, auf der anderen Seite eine Fraktion, die von einer Allianz der Schurkenstaaten und einer Propaganda-Show von Putler schreiben. Wer sich aber der Wahrheit annähern möchte, täte gut daran, Emotionen beiseite zu lassen, denn das im Vergleich zum Vorjahr ruhigere Treffen der BRICS bot aufmerksamen Beobachtern dennoch einige interessante Entwicklungen.
Das diesjährige Treffen in Kasan war das erste Treffen der auf neun vollwertige Mitglieder aufgestockten BRICS-Gruppe. Erstmals im Kreise der Mitglieder waren die seit Anfang des Jahres hinzugefügten Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten, Äthiopien und der Iran. Während Argentinien nach der Wahl von Javier Milei sich aus der Erweiterungsgruppe zurückzog, ziert sich Saudi-Arabien, das 2023 in den Kreis der Erweiterungsstaaten aufgenommen wurde, vor dem Hintergrund geopolitischer Spannungen zwischen dem westlichen Block rund um die USA und Russland und China noch mit einer vollwertigen Mitgliedschaft.
Das allerdings heißt nicht zwingend, dass der rasant steigende Stern der BRICS bereits wieder im Sinken befindlich ist. Mit der Türkei hat ein wichtiges NATO-Land den Beitritt zu den BRICS beantragt, der allerdings vorerst noch nicht bewilligt wurde. Gemeinsam mit zwölf anderen Ländern (Algerien, Weißrussland, Bolivien, Kuba, Indonesien, Kasachstan, Malaysia, Nigeria, Thailand, Uganda, Usbekistan und Vietnam) zählt die Türkei nun zu den offiziellen „BRICS Partnerländern“. Während es für diese Bemühungen prompt Schelte aus Brüssel gab (die EU zeigt der Türkei allerdings seit bald einem Vierteljahrhundert die kalte Schulter), zeigte sich NATO-Generalsekretär Mark Rutte diplomatisch und betonte, dass die Bemühungen Erdogans um eine BRICS-Mitgliedschaft in keinem zwingenden Konflikt zur NATO-Mitgliedschaft stünden. Ähnliches schwang in den Worten von Indiens Narendra Modi mit, als er meinte, die BRICS wären „nicht antiwestlich, sondern einfach nicht westlich“.
Vorerst keine weitere Aufnahme neuer Mitglieder geplant
Im Zuge der BRICS-Konferenz wurde wenig überraschend beschlossen, das Wachstum der BRICS einzubremsen und vorerst keine neuen Mitglieder aufzunehmen. Insgesamt haben fast 40 Nationen unterschiedlichster Hintergründe bereits Interesse an einer Mitgliedschaft bekundet, sodass in der ansonsten nicht immer einigen Staatengemeinschaft die Einsicht vorherrscht, dass solch eine plötzliche und drastische Erweiterung die BRICS wohl lähmen würde.
Bereits in den letzten Jahren wurde nämlich deutlich, dass weder Russland noch China die BRICS einfach zu ihrem Vehikel für ihre eigenen Agenden machen können, wie manche Beobachter es fürchten, oder auch wünschen. Vor allem Indien und Brasilien warnten bereits seit längerem davor, dass die BRICS sich zu einem rein chinesisch dominierten Gegenpol zum Westen unter Führung der USA entwickelten, sondern im Zuge der oft zitierten Multipolarität auch ihre Interessen und Befürchtungen Eingang in die Entscheidungen der BRICS fanden.
Was zunächst einmal demokratischer klingt, als man es einem Block zuschreiben möchte, in dem auch einige Autokratien eine gewichtige Rolle spielen, entpuppt sich aber auch als Hemmschuh bei der Umsetzung konkreter Pläne. Denn eines der zentralen Projekte der BRICS, die Entdollarisierung, geht zwar seinen naturwüchsigen Gang, doch die bereits vor Jahren angekündigte Einführung einer neuen goldgedeckten BRICS-Währung wird wohl noch lange auf sich warten lassen. Zwar erhielt Wladimir Putin eine symbolische Banknote der angedachten BRICS-Währung geschenkt, doch war dies wohl eher ein Versuch, ein visuelles Zeichen zu setzen, dass man auf diesem Gebiet nicht auf der Stelle tritt, als ein tatsächlicher Vorbote einer neuen Währung.
Das nimmt jedoch nicht weg, dass der Prozess der Entdollarisierung durch den zunehmenden Handel in Nationalwährungen weiter vorangetrieben wird. Auch BRICS Pay, eine dezentralisierte Alternative zum SWIFT-System, existiert bereits seit 2018, soll aber den Prozess der Abrechnung in Nationalwährungen in Zukunft vereinfachen. Es dauert einfach alles seine Zeit und nach wie vor herrscht bei den BRICS die Überzeugung, dass eben diese Zeit für sie spielt.
Viele Eigeninteressen und diplomatische Allgemeinplätze
Es darf aber davon ausgegangen werden, dass die Handlungsfähigkeit und Effizienz der BRICS weiter abnimmt, je mehr Staaten sich dem Wirtschaftsbündnis anschließen, da alle neuen Mitglieder auch neue Eigeninteressen in die Allianz mitbringen. Diese Eigeninteressen haben bereits in den letzten Jahren zu einer abnehmenden Dynamik der BRICS geführt. Indien, zum Beispiel, hat den Anspruch, vermehrt neben Russland und China als eigenständige Großmacht wahrgenommen zu werden. So legten Indien und China erst kurz vor der diesjährigen BRICS-Konferenz einen lange schwelenden Grenzkonflikt bei. Auch der Beitritt des Iran dürfte in dieser Hinsicht aufgrund vieler Verstrickungen alles andere als ein diplomatischer Selbstläufer sein.
Dennoch bleibt festzuhalten, dass diese inneren Widersprüche – die man so ähnlich auch von der UNO kennt – bislang keinen Riss durch die BRICS gehen ließen, sondern tatsächlich ein Bemühen der beteiligten Nationen erkennbar ist, etwaige Differenzen diplomatisch beizulegen und das immer wieder von BRICS-Mitgliedern angeführte „Nullsummenspiel“ der westlichen Unipolarität zu überwinden.
— BRICS News (@BRICSinfo) October 23, 2024