Schon seit Jahren und verstärkt seit dem Kriegsausbruch im Oktober vergangenen Jahres führt Israel nicht nur einen Kampf gegen seine unmittelbaren Feinde, sondern auch gegen die Weltmeinung. Sie scheint sich immer weiter gegen den jüdischen Staat zu drehen. Dabei hat sich die Lage zuletzt noch einmal verschlechtert. Hintergrund sind israelische Angriffe auf UN-Truppen der UNIFIL (United Nations Interim Force in Lebanon) im Südlibanon, von denen die UN berichtet.
UNIFIL ist vom UN-Sicherheitsrat damit beauftragt, die libanesische Armee bei der Umsetzung der Resolution 1701 aus dem Jahr 2006 zu unterstützen und die mannigfaltigen Verstöße dagegen festzuhalten. Mit Stand vom Juni arbeiteten knapp 11.000 Menschen an der Mission mit. Davon sind gut 10.000 Soldaten, die aus 49 Ländern kommen, darunter europäische Staaten. Das macht es für Israel besonders heikel, wenn es Berichte über israelisches Feuer auf UNIFIL-Truppen gibt, weil der jüdische Staat dadurch automatisch auch mit den truppenstellenden Ländern aneinandergerät.
Geht’s vielleicht auch eine Nummer kleiner? Wie immer ist die Lage deutlich komplizierter, hat die Realität viele Graustufen, die in einem solch’ einseitig anti-israelischen Kommentar völlig untergehen. Das fängt schon da an, dass sich die UNIFIL-Truppen nicht erst seit gestern Angriffen ausgesetzt sehen und schon gar nicht ausschließlich von israelischer Seite. Vielmehr wird ihre Arbeit im Libanon schon lange behindert.
Solcherlei Vorfälle gibt es massig und sie sind offiziell dokumentiert – von der UNIFIL selbst. Man muss nur einmal einen Blick in den aktuellsten Bericht des UN-Generalsekretärs an den Sicherheitsrat über die Umsetzung der erwähnten Resolution 1701 werfen. Er stammt aus dem Juli 2024 und hält allein für den Zeitraum zwischen dem 21. Februar und dem 20. Juni 2024 (vor der umfangreichen israelischen Bodenoperation) an die 40 Zwischenfälle auf der libanesischen Seite der Grenze fest, die meisten ohne israelische Beteiligung.
Dabei kam es etwa zu Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von UNIFIL-Patrouillen; teilweise waren auch Gewalt oder Gewaltandrohungen im Spiel. Im Bericht ist ominös von „Individuen“ oder „Zivilisten“ die Rede, die plötzlich auftauchten und UNIFIL-Patrouillen aufhielten. Am 26. März sah sich eine Einheit sogar direktem Beschuss ausgesetzt. Ende Februar wurden UNIFIL-Truppen in den südlichen Beiruter Vororten vorübergehend festgehalten, befragt und ihre Fahrzeuge durchsucht.
Wer genau dahinter steckt, ist unklar. Es liegt aber nahe, dass die schiitische Hisbollah-Miliz damit zu tun hat. Sie kontrolliert große Teil des Südlibanons und auch Südbeiruts und hat kein Interesse, dass die UNIFIL-Truppen ihre Waffendepots entdecken. Komischerweise haben es diese Vorfälle nicht in die internationalen Schlagzeilen geschafft. Auch Spiegel-Kommentator Christoph Reuter sah sich dadurch nicht dazu veranlasst, einen Leitartikel zu einer „Kriegserklärung an die Weltordnung“ zu verfassen. Die internationale Sorge um die UNIFIL-Truppen wurde erst laut, als über israelische Angriffe zu berichten war.
Was nun diese Angriffe angeht, so sind die Umstände im Einzelnen strittig und es ist, wie üblich, aus der Ferne kaum Licht ins Dickicht der Kriegsinformationen zu bringen. Ein Beispiel: In einem der Vorfälle haben israelische Truppen am 11. Oktober auf einen UNIFIL-Posten gefeuert, wobei zwei Vertreter der Mission verletzt worden sein sollen. Israel hat das nicht bestritten, aber erklärt, es habe zu dem Zeitpunkt eine Bedrohung gegeben, deren Quelle sich rund 50 Meter von dem UN-Posten befunden habe.
Israel hat mehrfach zu bedenken gegeben, dass Hisbollah-Terroristen mannigfach Raketen aus direkter Umgebung von UNIFIL-Posten abfeuerten und sich Tunnelausgänge nahe an UN-Basen befänden. Dass UNIFIL-Soldaten in einer solchen Lage schnell ins Kreuzfeuer geraten können, ist grundsätzlich alles andere als abwegig.
Davon abgesehen muss sich die UNIFIL fragen lassen, ob sie dem Zweck ihrer Aufgabe überhaupt gerecht werden kann oder gar will. Am Montag berichtete die israelische Zeitung Israel Hajom unter Berufung auf israelische Quellen, festgenommene Hisbollah-Terroristen hätten ausgesagt, UNIFIL-Personal bestochen zu haben. Im Gegenzug hätten sie die Positionen der Blauhelme nutzen und Kontrolle über UNIFIL-Überwachungskameras zu eigenen Zwecken übernehmen können.
Es klingt ein bisschen nach jener Verquickung, die zwischen Terroristen und dem UN-Hilfswerk für Palästinaflüchtlinge (UNRWA) besteht. Wie UNRWA arbeitet auch UNIFIL in einer Umgebung, in der sie sich dem permanenten Druck von Terroristen ausgesetzt sieht. Dass es hier zu Verständigungen und stillen Übereinkommen kommt, liegt nahe. Ein Unterschied zur UNRWA besteht allerdings darin, dass UNRWA in hohem Maße auf Ortskräfte zurückgreift, während die UNIFIL-Truppen aus dem Ausland kommen.
Man kann nun darüber streiten, woran das Scheitern liegt. Der UN-Sicherheitsrat hat UNIFIL mit dem Recht ausgestattet, „alle notwendigen Aktionen“ zu unternehmen, um sicherzustellen, dass der Südlibanon nicht für feindliche Aktivitäten genutzt wird. Auf der anderen Seite wird immer wieder ausgeführt, das Mandat sei zu schwach. So oder so ist am Ende die viel beschworene „internationale Gemeinschaft“ für das Versagen mitverantwortlich. Möglicherweise fühlt sie sich dabei ertappt und kritisiert deswegen nun umso lauter Israel.
Die Israelis haben UNIFIL längst aufgefordert, sich aus der Kampfzone zurückzuziehen. Wer ihnen deswegen niedere Beweggründe unterstellt, macht es sich zu einfach. Keiner kann ernsthaft behaupten, dass die UNIFIL in der aktuellen Situation irgendeinen signifikanten Sinn hat. Anstatt in blinder Phraseologie auf ihr zu beharren, sollte man sie daher aus der Schusslinie bringen. Und dann sollten unsere Politiker in sich gehen und sich selbstkritisch die Frage stellen, was bei dieser viel beschworenen Mission eigentlich genau schief gelaufen ist.