Tichys Einblick
Finstere Aussichten für Deutschland?

Eine dystopische Sendung von Markus Lanz

Im Studio bei Markus Lanz herrscht eine bedrückende Stimmung um Mitternacht. Juli Zeh und Campino diskutieren mit Lanz über den Wandel der Gesellschaft und malen ein düsteres und dystopisches Deutschland. Also alles beim Alten.

Screenprint: ZDF / Markus Lanz

Die Arbeitsmoral von Markus Lanz ist zu bewundern, trotz Champions League erscheint er um Mitternacht wieder im Anzug in seinem Studio. Nicht so Maischberger – aber bei ihrem Gehalt im ÖRR fällt das auch nicht so schwer ins Gewicht. Doch der Schein trügt, denn auch Lanz macht sich schnell wieder vom Acker. In seiner „kleinen, aber feinen“ Sendung sind die Verfassungsrechtlerin und Bestsellerautorin Juli Zeh sowie der Musiker und Leadsänger von den Toten Hosen Campino zu Gast.

Sie philosophieren mit Lanz über den Wandel der Gesellschaft – die Rebellion der deutschen Jugend, den Verfall des Journalismus und den Untergang der Debattenkultur. Eben alles, was zu einer Dystopie dazugehört.

Rebellion und Hoffnungslosigkeit

Aktuelle Studien zeigen, dass junge Menschen immer mehr Angst vor der Zukunft haben. In den Talkshows des ÖRR sorgt das Thema für eine Dauerschleife. Wer kann es den Jugendlichen verdenken? Brücken brechen ein, ein Krieg wird immer realer und Messergewalt ist an der Tagesordnung. Das muss man nicht ausschmücken, um den Schrecken darzustellen. Nun rutscht die Jugend nach rechts. Die Öffentlichkeit ist schockiert, wurde doch lange davon ausgegangen, dass sich die meisten Jugendlichen überhaupt nicht für Politik interessieren.

Für Campino stand das aber nie in Frage. Er hat das schon erkannt, als sich Fridays for Future bildete. Ebenso sieht es Juli Zeh, die Jugend habe sich nur von alten Links-Rechts-Schemata gelöst. Obwohl es ihr lieber wäre, die Jugend, die nun so stark die AfD wählt, wäre unpolitisch geblieben. Vielleicht wäre es sinnvoller gewesen, wenn bestimmte deutsche Politiker unparteiisch geblieben wären? So weit geht der Gedanke dann aber nicht.

Doch dann flackert im Studio eine kleine Glühbirne auf. Zeh, die selbst in ihrem neuen Buch „Zwischen Welten“ die Polarisierung in der Gesellschaft aufgreift, schildert die Gefahr, die sich aus der allgegenwärtigen Meinungshegemonie ergibt. Sie bringt das Wesen der aktuellen Gesellschaft auf den Punkt: „Die Krise ist so krass, wenn wir nicht alle dasselbe denken, sind wir alle verloren. Das ist die Reaktion auf ein sehr apokalyptisches Zukunftsbild.“

Manipulierte Realität

Die kleine Runde ist sich einig: Eine gesunde Streitkultur ist wichtig und richtig. Aber was hat das denn nun mit Journalisten zu tun? „Welche Rollen spielen die denn da? Um das Thema mal aufzumachen“, stottert Lanz. Sehr viel, meint Campino. Journalisten sind nämlich nur auf „Klicks“ aus und sachlicher Journalismus wird von „Geschrei“ überlagert. Zeh stimmt zu und ergänzt, dass der Journalismus den Konformitätsdruck fördert.

Dieser bewirke aber eher das Gegenteil bei den Bürgern und bringe „Entfremdungsprozesse“ ins Rollen. „Apokalyptisches Framing“ und „Untergangsszenarios“ seien an der Tagesordnung und genauso verwerflich wie die von der AfD geschaffene Angst vor der Migration, so Zeh. Ein weiteres Indiz für die dystopische Stimmung in Deutschland. Und da wäre ja auch noch die Beobachtung, dass die Regierung versucht, missliebige Medien zu eliminieren. Aber auch zu diesem Gedanken kommt es nicht.

Soziale Ungleichheit

Woher kommt diese Angst vor der Zukunft denn nun, will Lanz wissen. Die drei zählen die gesellschaftlichen Krisen ihrer Jugend auf und betonen, dass sie die „massiven Probleme von damals mit einem anderen Geist angegangen“ sind. Dieser Geist hat „den Wunsch und Willen nach was Besserem“ und diesen „muss man als einen inneren Antrieb in sich kultivieren“, so Zeh. Ist unsere Gesellschaft also einfach nur „wehleidig“?, fragt Lanz. Nein, wehleidig nicht, aber „verunsichert und verängstigt“.

Über die politischen Ziele seien sich doch alle eigentlich einig, „aber wer trägt die Lasten für dieses Ziel?“. Allein das Beispiel von dem geforderten Autoverbot zeigt, dass man diese Last nicht den Reichen und Schönen in der Stadt aufbürden will. Ob sich wirklich alle über „dieses Ziel“ einig sind, zweifelt in der Talkshow keiner an. Sind sich Politiker und ÖRR-Journalisten überhaupt dieser unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten bewusst?

Debattenkontrolle

Noch trostloser wird es, als sich die Gäste dem Thema der Debattenkultur zuwenden. Lanz bringt das aktuelle Beispiel von Thomas Gottschalk, der mit seinem neuen Buch „Ungefiltert“ in den Medien hohe Wellen schlug. Lanz lacht noch, aber seine Gäste passen sich nicht an. Campino formuliert vorsichtig, dass das Hinterfragen von Begriffen, wie zum Beispiel Straßennamen doch erlaubt sein sollte und „so zu tun, als hätte es das nie gegeben“, findet er falsch. Zeh distanziert sich zwar von Gottschalk, aber erinnert daran, dass Menschen, die denken, dass die freie Meinungsäußerung bedroht sei, etwas anderes meinen. „Ich glaube, sie meinen damit, dass schnell unsachlich reagiert wird, auf Sichtweisen, die eigentlich für sich genommen nicht problematisch sind.“

Sie selbst habe das während der Coronapandemie erfahren, als sie als Verfassungsrechtlerin mahnte, mit den Maßnahmen die Grundrechte nicht zu verletzen. Die Reaktionen auf diese Äußerungen waren so hart, dass sie sich nicht sicher ist, ob sie sie heute nochmals äußern würde – „weil ich hab kein‘ Bock auf diese Konsequenzen“. Noch finsterere Aussichten für Deutschland, und auch Lanz lacht nicht mehr. Verschlimmert wird dieser Debattenverlust durch den technologischen Fortschritt. Was früher nur persönlich weitererzählt werden konnte, wird heute über das Internet ins Unendliche verbreitet.

Zeh und Campino versuchen, einen Blick in die Zukunft zu werfen, in welcher die Hoffnung ein ferner Gedanke ist. Lanz fragt, ob Campino auch im aktuellen Kontext seinen Wehrdienst verweigern würde. Dieser beantwortet die Frage zögernd: „Das weiß ich nicht. Jetzt gibt’s wahrscheinlich wieder ein Shitstrom, aber mir gefällt der Gedanke eines Pflichtjahres für alle, auch für Frauen.“ Er plädiert dafür, sich nach der Schule für die Gesellschaft einzubringen und positiv zu verbessern. Zeh legt noch einen drauf. Sie fände die Idee von zwei Pflichtjahren gut – eins nach der Schule und eins, wenn man älter ist und mehr Erfahrung hat. Das findet der 62-jährige Campino dann nicht mehr ganz so gut und betont, dass es dann aber schon eine freie Entscheidung sein müsste.

Ob Jugendliche Hoffnung aus diesem Lösungsvorschlag schöpfen können, bleibt im Verborgenen.

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