Tichys Einblick
Eine halbe Billion Euro neuer Schulden

Robert Habeck: „Wenn’s alle ist, dann überlegen wir, was wir daraus gelernt haben“

Robert Habeck will die deutsche Wirtschaft mit einem Impulspapier beleben. Er will bis zu einer halben Billion Euro dafür locker machen, ein ganzer Bundeshaushalt. Ohne selbst die Details oder die Folgen so recht zu kennen.

picture alliance/dpa | Michael Kappeler

Es sei unfair, Parteien danach zu bewerten, was sie vor einer Wahl versprochen haben. Diese Sicht der Dinge stammt vom ehemaligen SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering. Nun denn. Der Wahlkampf hat begonnen und „Wirtschaftsminister“ Robert Habeck ein „Impulspapier“ vorgestellt, mit dem er sich und seine Grünen als Wirtschaftsretter inszenieren will. Die Details sind verstörend – auch und gerade, weil Habeck sie selbst nicht kennt.

Habeck möchte einen Investitionsfonds anlegen. Wie viel Geld darin stecken soll, weiß er nicht. Wie viel davon ausgegeben werden soll, weiß er nicht. Welche Effekte die Investitionen aus dem Fonds haben, weiß er nicht. Der für die deutsche Wirtschaft zuständige Minister sagt wörtlich: „Wenn’s alle ist, dann überlegen wir, was wir daraus gelernt haben.“

Das Geld soll drei Zwecken dienen: Versäumte Investitionen in die Infrastruktur nachholen – also in Straßen, Brücken, Schienen oder das Breitbandnetz. Zudem eine Senkung der Energie-Steuer und der Mehrwertsteuer auf Energie. Da müssen aber die Länder zustimmen. Ob sie einverstanden sind, weiß Habeck nicht. Ob die Koalitionspartner SPD und FDP einverstanden sind, weiß er ebenfalls nicht. Im Vorfeld hat er mit niemandem außer der Bild darüber geredet, wie er eine halbe Billion Euro Steuergeld ausgeben will: „Wenn’s alle ist, dann überlegen wir, was wir daraus gelernt haben.“

Der dritte Zweck der halben Billion Euro sind Zuschüsse an die Wirtschaft. Jedes Unternehmen soll künftig zehn Prozent seiner Investitionen von der Steuer abschreiben können – zusätzlich zu den Abschreibungen, die jetzt schon möglich sind. Wer als Unternehmen noch keine Steuern zahlt oder gezahlt hat, erhält die zehn Prozent in Form einer Prämie ausgezahlt.

Was das alles kostet, weiß Habeck nicht. Er habe „absichtlich kein Volumen errechnet“. Aber der „Wirtschaftsminister“ lehnt sich an eine Forderung des Industrieverbandes BDI an, der eine „mittlere dreistellige Milliardenzahl“ für die nächsten Jahre gefordert habe. Wie viel Steuergeld er ausgibt, ist dem Vizekanzler aber auch nicht so wichtig. Wieder wörtlich: „Die erste Frage ist nicht, finde ich, sind es jetzt 200, 300 oder 400 Milliarden, sondern wollen wir uns auf den Weg machen.“ Habeck kommt es nicht darauf an, in die richtige Richtung zu gehen. Er will nur unterwegs sein des Unterwegsseins wegen. So definiert sich Eskapismus.

Sein Programm werde einen „großen Booster für die Volkswirtschaft auslösen“, verspricht der „Wirtschaftsminister“. Er wolle es diskutieren, bevor der Wahlkampf losgeht – womit Habeck die Behauptung aufstellt, das Papier sei kein Wahlkampf. Deswegen hat er es auch nicht vorab mit den Koalitionspartnern besprochen, deswegen hat er es auch nicht durchgerechnet.

Apropos Widersprüche. Habeck hält die Fondsidee für etwas komplett Neues für Deutschland, für einen „gangbaren Weg“ auch für die, die sich einem Ende der Schuldenbremse verweigerten: Der Staat nimmt riesige Schulden auf, schafft auf diese Weise einen Schattenhaushalt und finanziert seine Ausgaben damit vorbei an dem, was ihm die Verfassung erlaubt? Für Habeck ist das vielleicht etwas ganz Neues. Weniger vergeistigte Menschen möchten darin eine Kopie des Sondervermögens sehen, der Corona-Beihilfen oder der Entlastungspakete – doch dieser Fonds ist laut Habeck etwas ganz anderes. Wer den Grünen gut gesinnt ist, wird auch drei wesentliche Unterschiede finden: Es heißt anders, es trägt einen anderen Namen und es ist kein Sondervermögen, sondern ein Staatsfonds.

Für das Arbeiten mit Schattenhaushalten ist diese Bundesregierung bereits abgestraft worden. Vor knapp einem Jahr hat das Verfassungsgericht diese Praxis untersagt, deshalb musste die Ampel im vergangenen Jahr einen Nachtragshaushalt beschließen. Dieses Schicksal droht auch dem noch zu beschließenden Haushalt für das kommende Jahr. Denn schon jetzt muss Finanzminister Christian Lindner (FDP) Einnahmen schönrechnen und Ausgaben geringer ansetzen, um die Vorgaben der Verfassung einhalten zu können.

Für die Zeit nach dem Fonds stellt Habeck eine Rechnung auf, für die sich jedes Milchmädchen schämen würde: Der Fonds würde ein Wirtschaftswachstum generieren, damit stiegen die Einnahmen und dann hätte der Staat sein Geld ja wieder. Nur: Genau so sah die deutsche Politik in den letzten fünf Jahren aus. Unter Kanzler und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) hat der Staat Schulden aufgenommen für Sondervermögen, Corona-Hilfen, Entlastungspakete und so weiter. Doch dieser ganze Wumms hat eben kein Wachstum generiert. In den vergangenen zwei Jahren ist die deutsche Wirtschaft geschrumpft. Genau diese Fonds, sorry, Pakete haben das Land in die Rezession geführt.

Die Wirtschaftsverbände fordern zwar durchaus Investitionen in die Wirtschaft. Klar, wer nimmt nicht gerne geschenktes Geld an. Aber selbst die Verbände geben zu, dass diese Investitionen nichts bringen, wenn Deutschland seine strukturellen Probleme nicht löse: die zu hohen Steuern und Abgaben, die mangelhafte Bereitschaft zu arbeiten und die dysfunktionale Verwaltung. Die will Habeck mit dem Fonds ebenfalls zurückführen.

Wohlgemerkt. Das verspricht er. Aber Müntefering hat recht: Die Bürger sollten ihre Politiker nicht danach bewerten, was sie vor einer Wahl versprechen. Denn Habecks Fonds wird selber einen ungekannten bürokratischen Aufwand verursachen. Angenommen – exakte Zahlen gibt es nicht – 100 Milliarden des Fonds seien dazu da, Investitionen mit zehn Prozent zu unterstützen. Dann müssten die Unternehmen für Investitionen im Wert von einer Billion Euro Unterlagen einreichen: angefangen mit der Adresse, über Details wie Umsätze bis hin zu den Investitionsabsichten. Diese müssten sie belegen. Diese Unterlagen muss eine Verwaltung wiederum annehmen, sortieren, prüfen und dokumentieren.

Wie Habeck an anderer Stelle Bürokratie abschaffen will, sagt er nicht. Wie er vor diesem Hintergrund mit seinem Fonds Bürokratie vermeiden will, weiß er nicht. Doch mit dem was der „Wirtschaftsminister“ alles nicht weiß, ließ sich eine reichhaltige Bibliotheken-Landschaft über den kompletten Erdball verteilt anlegen. Oder wie er es selbst sagt: „Wenn’s alle ist, dann überlegen wir, was wir daraus gelernt haben.“

Anzeige
Die mobile Version verlassen