„Es ist wie eine saure Zitrone, in die jeder von uns beißen muss und ungefähr denselben Schmerz empfindet.“ Auf ihre einprägsame und bildhafte Sprache kann sich Katja Wolf verlassen. Nicht zuletzt deshalb wurde die heute 48-Jährige zwischen 2012 und 2024 drei Mal zur Oberbürgermeisterin von Eisenach gewählt.
Mit dem flotten Frucht-Spruch kommentierte Wolf die Koalitionsverhandlungen ihres BSW mit CDU und SPD in Thüringen. Da müsse halt jeder Kompromisse machen, sagte sie – und lieferte auch gleich ein Beispiel: Ohne „ein klares Bekenntnis zu Diplomatie und Friedensbemühungen“ für die Ukraine werde es keine Zusammenarbeit mit ihrer Partei geben. Das sollte wohl die Zitrone für die Gesprächspartner beschreiben. Aber: „Die komplette Ablehnung von Waffenlieferungen würden CDU und SPD nicht mittragen können.“
Das wäre nun allerdings ganz sicher eine sehr große und sehr saure Zitrone für das BSW.
Denn obwohl darüber natürlich weder in Thüringen noch in irgendeinem anderen Bundesland entschieden wird, hat die neue Partei maßgeblich mit der Forderung nach einer fundamentalen Änderung der Ukraine-Politik und mit der Ablehnung von neuen US-Raketen in Deutschland Wahlkampf in Brandenburg, Sachsen und Thüringen gemacht – und das überaus erfolgreich: Aus dem Stand holte die Gruppierung 11,8 Prozent in Sachsen. In Brandenburg waren es 13,4 Prozent. In Thüringen wählten sogar 15,8 Prozent die Wagenknecht-Truppe.
Katja Wolf führt also derzeit den erfolgreichsten BSW-Landesverband. Und sie will in Erfurt mitregieren, daran lässt sie keinen Zweifel. „Es gibt in Thüringen keine Alternative zu einer stabilen Landesregierung“, lässt sie ausrichten. Unausgesprochen, aber natürlich mitgedacht ist da immer der Zusatz: mit dem BSW. Als ehemaliger Kommunal- und jetziger Landespolitikerin liegt Wolf Erfurt erkennbar mehr am Herzen als Kiew oder Moskau – und vermutlich auch als Berlin.
In Thüringen gäbe es ja auch genug zu tun: Fast an jeder Schule fehlen Lehrer. Die Wirtschaftslage ist erbärmlich. Ganze Regionen sind abgehängt, weil ihre Infrastruktur den Namen nicht mehr verdient. Bodo Ramelow von der nahezu pulverisierten „Linken“ hat inhaltlich einen Scherbenhaufen hinterlassen. Handfeste Probleme, die man vor Ort lösen müsste, gibt es im Überfluss. Sämtliche Klauseln in einem Koalitionsvertrag auf Landesebene zu Friedensverhandlungen und Diplomatie im Ukraine-Konflikt oder gegen US-Mittelstreckenraketen in Deutschland wären dagegen immer nur weiße Salbe – weil diese Dinge nun mal nicht in Erfurt entschieden werden.
Allerdings heißt das BSW auch nicht umsonst „Bündnis Sahra Wagenknecht“ und nicht etwa „Bündnis Katja Wolf“. Völlig unstrittig ist es die Ehefrau von Oskar Lafontaine gewesen, die die Wähler massenweise an die Urne und das BSW in Kompaniestärke in die Parlamente gebracht hat. Nirgendwo stand Wagenknecht selbst zur Wahl, aber überall wurde sie großflächig plakatiert. Sie ist das Gesicht der Partei, sie hat überall das Spitzenpersonal selbst ausgesucht, sie hat die Inhalte vorgegeben.
Und zu diesen Inhalten gehört eben absolut zentral die radikale Abkehr von der bisherigen Ukraine-Politik der EU sowie das kategorische „Nein“ zur Stationierung neuer US-Raketen in Deutschland. Damit hat auch Katja Wolf in Thüringen Wahlkampf gemacht. Dafür haben die Leute ihre Stimme abgegeben, auch in Erfurt.
Im hippen Berlin-Mitte hat Sahra Wagenknecht im Moment die Zentrale ihrer Partei eingerichtet. Dort scheint sie zu befürchten, dass Wolf für eine Regierungsbeteiligung des BSW (und für ein eigenes Ministeramt) möglicherweise gerade in der Ukraine-Frage übergroße Zugeständnisse machen könnte. Also schickte sie ihrer thüringischen Landesvorsitzenden über die Medien eine eigene kleine Zitronen-Botschaft: Es gehe nicht darum, „ob wir Schmerzen empfinden, sondern ob wir unsere Wähler enttäuschen“. Dies werde man auf keinen Fall tun.
Rumms. Da ist er also, der erste handfeste Krach in Sahras Club.
Wagenknecht und Wolf stammen beide aus Thüringen. Beide sind früh in ihrem Leben in die SED eingetreten, die sich dann in PDS umtaufte. Doch da hören die Gemeinsamkeiten auch auf. Wagenknecht hat immer Opposition gemacht (und wohl auch nichts anderes machen wollen). Wolf hat als Kommunalpolitikerin in Eisenach Dinge konkret verändert, rein ideologische Sandkastenspiele sind nicht so ihr Ding. Wagenknecht vermeidet – wie ihr Ehemann – nach Möglichkeit jedwede Plauderei und wirkt nicht selten enorm herablassend. Wolf ist deutlich volksnäher.
Aber ist sie auch mächtig genug, um sich gegen Wagenknecht durchzusetzen? Im Moment lautet die Antwort: wohl eher nicht. Das scheint sie auch selbst so zu sehen: Nach Wagenknechts Zitronen-Retourkutsche rudern Wolf und ihr thüringischer BSW-Vize Steffen Schütz rhetorisch schon mal zurück. Zuletzt ließen sie wissen, bevor man in Koalitionsverhandlungen mit CDU und SPD gehe, sei erstmal entscheidend, dass „wir in der Friedensfrage Klarheit bekommen“.
Einerseits dürfte das Sahra natürlich gefallen haben. Andererseits legt es die Vermutung nahe, dass Wagenknecht die nach ihr benannte Partei mehr oder weniger absolut (um nicht zu sagen: absolutistisch) dominiert – und dass die Landesverbände noch nicht einmal halbwegs autonom darüber entscheiden können, unter welchen Voraussetzungen sie sich an einer Regierung beteiligen, sei es nun in Brandenburg oder in Sachsen oder in Thüringen. Die BSW-Landesverbände wirken im Moment eher wie quasi weisungsgebundene Filialen des Berliner Hauptquartiers.
Das Ganze erinnert daran, dass das BSW die heimatlosen Altkader der SED versammelt, sagt der Parteienforscher Jürgen Falter.
Allerdings dürfte Wagenknecht der Vorwurf ziemlich schnuppe sein. Denn sie verfolgt ein klares Kalkül: Sie möchte die SPD und mehr noch die CDU dazu bringen, aus Machtgeilheit in den ostdeutschen Bundesländern (und aus Angst vor der selbstgezimmerten „Brandmauer“) die dezidiert antiamerikanische Agenda des BSW zu tolerieren. Das würde in der Tat einen großen Keil in die etablierte Parteienlandschaft treiben.
Tatsächlich gelingt es ihr mit immer schrilleren Tönen derzeit, die anderen vor sich herzutreiben: Zuletzt verlangte sie ernsthaft, Thüringens CDU-Chef Mario Voigt könne nur zum Ministerpräsidenten gewählt werden, wenn er sich zuvor von seinem Bundesvorsitzenden Friedrich Merz „klar abgrenzt“. Merz hatte im Bundestag der Ampel eine zu zögerliche Unterstützung für die Ukraine vorgeworfen und gefordert, Kiew den Einsatz deutscher Waffen auch weit auf russischem Territorium zu gestatten.
Natürlich kann sich in einer solchen Frage kein CDU-Landesvorsitzender ohne politische Todessehnsucht vom eigenen Kanzlerkandidaten distanzieren. Das wissen alle, auch Wagenknecht. Aber so erhöht sie die internen Spannungen in der Union.
Und es funktioniert. In den CDU-Landesverbänden suchen vor allem die geschmeidig-opportunistischen Möchtegern-Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (Sachsen) und Mario Voigt (Thüringen) nach Wegen, sich mit dem BSW in der Ukraine-Frage zu einigen, um eine gemeinsame Regierungskoalition schmieden zu können. Andere CDU-Kreise halten dagegen: Seit kurzem macht in der Union ein „Offener Brief“ die Runde. Darin warnen prominente sächsische CDU-Mitglieder die eigene Parteiführung in Dresden eindringlich vor einer Koalition mit dem BSW.
Den Brief haben viele parteiintern immer noch sehr angesehene Politiker unterschrieben: der frühere Bundestagsabgeordnete Arnold Vaatz, mehrere ehemalige Landtagsabgeordnete und auch der frühere Dresdner Oberbürgermeister Herbert Wagner. Wagenknecht sei dem Geist ihrer einstigen Bewunderung für Diktatoren wie Ulbricht und Stalin bis heute „treu geblieben“, schreiben die Mahner aus der CDU. Das Programm des BSW sei ein „Anschlag auf die Westintegration und die Soziale Marktwirtschaft und damit auf die politischen Fundamente der Bundesrepublik Deutschland“.
Während sich also Landesväter in Wartestellung – wie Voigt und Kretschmer – an die Wagenknechte ranwanzen, gibt es an der Basis der Union eine deutliche Absetzbewegung vom BSW. Ein Jahr vor der Bundestagswahl weiß die CDU mal wieder nicht, was sie eigentlich will.
Allerdings ist auch keineswegs ausgemacht, ob Wagenknecht ihre eigenen Landesverbände weiter so an der ganz kurzen Leine halten kann. Da hat sie selbst mehr als nur ein PR-Problem. Aus der CDU wird schon geätzt, Katja Wolf in Thüringen zum Beispiel müsse wissen, ob sie nur „Handlangerin von Wagenknecht“ sein oder gestalten wolle.
Und Bodo Ramelow war um große Worte auch nicht verlegen. Er verglich, wenig zimperlich, Wagenknechts Führungsstil gleich komplett mit dem autoritären Gebaren von Erich Honecker.