Wenn es in Deutschland einen politischen Dauerbrenner gibt, dann ist es ohne Zweifel unser Rentensystem. Die Rente ist hier zu Lande sozusagen das Evergreen unter den politischen Problemen. Und das zu recht, schließlich muss das Rentensystem fortlaufend an sich wandelnde demografische Bedingungen angepasst werden. Was einer sachlichen Auseinandersetzung dabei oftmals im Wege steht, ist die Tatsache, dass mit der Rente gleichzeitig immer auch Fragen der Gerechtigkeit und damit letztlich auch moralische Fragen aufgeworfen sind. Und wie immer wittern gerade bei moralisch aufgeladenen Themen vor allem dogmatische Ideologen und Populisten aller Couleur eine Gelegenheit zur politischen Profilierung. Vor allem auch bei der Rente. Diese ist in Deutschland seit jeher ein spezielles Thema.
Was von diesen Plänen zu halten ist, wollte Louis Klamroth in der gestrigen Hart-aber-Fair-Sendung von seinen insgesamt sieben Gesprächspartnern wissen.
Die unselige Vorstellung von Rente als gesellschaftlicher Verteilungskampf
Doch litt die Sendung bereits durch ihre Konzeption an einem erheblichen Webfehler: Überschrift und Motto lauteten „Machtkampf um die Rente: Verlieren die Jungen gegen die Boomer?“ und auf der Website der Sendung wurde die Sendung mit folgenden Fragen angekündigt: „Was muss getan werden, damit junge Menschen nicht zu sehr belastet werden und später eine sichere Rente haben, gleichzeitig alte Menschen im Ruhestand gut leben können? Sind dazu die Rentenpläne der Ampel gerecht? Oder wird Politik nur für Boomer gemacht?“ Schon allein Überschrift und Fragestellung der Sendung machen im Vorhinein überdeutlich, dass sich die Hart-aber-Fair-Redaktion das Rentenproblem offenbar nicht anders als einen Macht- und Verteilungskampf zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen – jung vs. alt oder arm vs. reich – vorstellen kann.
Es ist falsch und auch gefährlich, ein Thema wie die Rente auf diese Weise aufzuladen. Bei der Rente sollte es nicht darum gehen, welche Gruppe für sich die größten öffentlich (zwangs-)finanzierten Pfründe herausschlagen kann, sondern um ein gesamtgesellschaftliches Problem, das es fair und vernünftig zu lösen gilt.
Die Debatte
Auch wenn der Topos des Generationenkonflikts im Zusammenhang mit der Rente in der gestrigen Hart-aber-Fair-Debatte immer wieder aufgegriffen wurde, ist den Diskutanten doch zugute zu halten, dass sie weitestgehend darauf verzichtet haben, die junge Generation gegen die Boomer oder die Reichen gegen die Armen auszuspielen. Aber Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel. Und die Ausnahme der gestrigen Sendung war zweifelsohne der Vorsitzende der Jungen Sozialisten (Jusos) Philipp Türmer. Um die Rentenkasse zu stabilisieren – „Wir müssen das Rentenniveau festschreiben“ –, forderte er neben der Erhöhung der Abgeltungssteuer auch die Zahlung von Rentenversicherungsbeiträgen auf Kapitalerträge.
In einem Duktus, der nahelegte, dass es sich dabei um Verbrechen oder zumindest um ein moralisches Vergehen handelt, sagte er mehrmals wörtlich, man müsse sowohl hohe Einkommen als auch Kapitalerträge „zur Verantwortung ziehen“, statt mit den Rentenbeiträgen zu „spekulieren“, wenn man Altersarmut bekämpfen will. Daneben gab er noch mitsamt bedeutungsschwangeren Kunstpausen in seinem Redefluss die klassischen SPD-Forderungen nach einer Anhebung des Mindestlohns auf 15 Euro und die Erhöhung von Sozialabgaben zum Besten.
Doch selbst wenn man einmal von diesem mehr als berechtigten Einwand absieht, scheint das grundsätzliche Problem des deutschen Rentensystems bis zu Türmer noch nicht vorgedrungen zu sein. Dieses grundsätzliche Problem heißt demografischer Wandel und ließe sich auch nicht dadurch lösen, wenn nun ausnahmslos jeder Erwerbstätige in die Rentenkasse einzahlte. Auch dann gebe es im Verhältnis zur Zahl der Rentner noch zu wenige Beitragszahler. Türmer will die dysfunktionale Rentenversicherung dennoch dadurch retten, dass er noch mehr Bürger gegen ihren Willen dort hineinzwingt. Inwiefern das sozial geschweige denn gerecht sein soll, verriet er nicht.
Ordentlich Gegenwehr bekam Türmer mit alldem von seinem FDP-Pendant, der Juli-Chefin Franziska Brandmann, die eine durchaus gute Figur in der Runde abgab, weil sie sich nicht nur in der argumentativen Defensive befand, sondern ihrerseits in die Offensive ging und auch nicht vor Kritik an ihrer eigenen Partei zurückschreckte. Phasenweise entwickelte sich dann so etwas wie ein Schlagabtausch zwischen den Chefs der SPD- und FDP-Jugendorganisationen, die sich in der Sendung permanent duzten. Aus Brandmanns Sicht sind unser Rentensystem in seiner jetzigen Form und auch der Reformplan der Bundesregierung nicht zukunftsfähig, weil die Bedeutung des demografischen Wandels nach wie vor verkannt werde. Die Beitragszahlungen und Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt werden künftig schlicht nicht ausreichen, um das Rentenniveau aufrechtzuerhalten. Zur Finanzierung der größer werdenden Kluft zwischen Ein- und Auszahlungen schlägt sie eine Aktienrente nach schwedischem Vorbild vor, nicht ohne noch zu recht darauf hinzuweisen, dass das angesichts des dortigen Erfolges eigentlich ein SPD-Projekt sein müsste.
Hermann-Josef Tenhagen, der Chefredakteur von „Finanztip“, vertrat einen recht differenzierten Standpunkt, indem er einerseits dafür plädierte, die Möglichkeiten innerhalb des bestehenden Rentensystems, beispielsweise die Einbeziehung von Selbständigen oder die Erhöhung der Frauenarbeitsquote, auszunutzen und er andererseits auch den Handel mit Aktien und ETFs für die Altersvorsorge befürwortete. Insgesamt wirkte er mit seiner Art und seinen Einlassungen aber eher wie ein Sachgutachter bei Gericht denn wie jemand, der sich mit einer Sache gemein machen will. Als Nebenfiguren fungierten außerdem Heike Oeser, gelernte Bankfachwirtin, die bald in Rente gehen will, und Magdalini Wallraf, eine 66-jährige Rentnerin aus Köln.
Der Staat ist nicht die Lösung, sondern das Problem
Letztere wurde von Louis Klamroth im Publikum interviewt und klagte darüber, dass ihre schmale Rente ihr abzüglich aller Fixkosten monatlich nur 280 Euro zum Leben lasse, um im nächsten Satz dann zu berichten, dass sie vordem als Hausfrau und in Teilzeit gearbeitet und bis zu ihrem Renteneintritt nicht gewusst habe, wie niedrig ihre Rente einmal ausfallen würde. Was soll man dazu noch sagen? Geradezu idealtypisch verkörpert diese Frau den durch die Bequemlichkeiten des modernen Wohlfahrtsstaates unmündig und unfähig zur Eigenverantwortung gewordenen Menschen, der immer zuerst auf den Staat und erst als zweites auf sich selbst vertraut.
Überhaupt: Warum sollte die Altersvorsorge – abgesehen von einer zu gewährleistenden Grundsicherung – überhaupt eine staatliche Aufgabe sein? Wer meint denn, dass der Staat besser mit seinem Geld umgehen kann als er oder sie selbst? Würde man bei dem deutschen Durchschnittseinkommen von 3.540 Euro brutto den monatlich anfallenden Rentenbeitrag von etwa 658 Euro bei einer durchschnittlichen Rendite von 6 Prozent eigenständig auf dem Kapitalmarkt investieren, wäre man nach 40 Jahren Ansparphase Millionär. Unbewusst und ungewollt zeigt das Einzelschicksal dieser durchaus bemitleidenswerten Kölner Rentnerin also vor allem eines: Dass sich nirgendwo so deutlich zeigt, wie fatal es ist, sich allein auf den Staat zu verlassen, wie bei der Rente. Will man im Alter nicht arm sein, sollte man seine Altersvorsorge in die eigene Hand nehmen. Denn es gibt nichts Gutes, außer man tut es.