Recep Erdoğan hat das N-Wort gesagt. Das ist gemein. Das N-Wort darf doch nur die ganz großen Koalition der Rechtschaffenen über ihre Gegner in den Mund nehmen. Jetzt schauen sie betreten angesichts der größtmöglichen Beleidigung. Das zeigt, wofü Erdoğan Merkel hält: für eine quantité négligeable, eine zu vernachlässigende Größe. Darf Erdoğan das?
Wer reden darf und wer nicht
„Wer bei uns reden will, muss uns nicht nach dem Mund reden, aber er muss unsere Regeln respektieren“, schrieb Außenminister Sigmar Gabriel in einem Gastbeitrag für Bild am Sonntag, es gehöre zum gegenseitigen Respekt, Maß und Mitte einzuhalten. Grünen-Chef Cem Özdemir assistierte gefällig, Erdoğan und andere türkische Politiker dürften dann in Deutschland auftreten, wenn türkische Oppositionspolitiker das auch können und kritische Journalisten wie etwa Deniz Yücel darüber frei berichten können.
Es ist schon seltsam, hier werden an Erdoğan Anforderungen wie an irgendeinen beliebigen Redner gerichtet, der in Deutschland natürlich reden darf, und dem die Bundesregierung ein paar geringfügige Abweichungen selbstverständlich zugesteht, wir sind ja so demokratisch.
Aber gleichzeitig haben wir ja so viel Angst vor Erdoğan: In die Debatte, wie das Ausland mit Auftritten türkischer Politiker umgehen soll, schaltete sich am Wochenende Österreichs Bundeskanzler Christian Kern ein. In der Welt am Sonntag plädierte er für ein EU-weites Verbot. Ein gemeinsames Vorgehen wäre sinnvoll, damit nicht einzelne Länder unter Druck der Türkei gerieten. Zuvor hatte Wien Ankara Bescheid gegeben, Wahlkampfauftritte seien unerwünscht. Ähnlich äußerte sich am Wochenende der niederländische Regierungschef Mark Rutte. Da zeigt sich, wo der Hammer hängt. In Europa haben viele Angst vor Erdoğan.
Europa hat Angst vor Erdogan
Aber es geht gar nicht darum, ob Erdoğan und seine Minister etwas sagen, was Gabriel oder Özdemir gefällt oder nicht.
Erdogan ist Organ eines fremden Staates wie seine Minister. Er nimmt eine hoheitliche Handlung vor, wenn er in Deutschland spricht. Den Privatmann oder Parteipolitiker Erdoğan gibt es nicht. Er ist Regierungschef. Als solcher Wahlkampf in Deutschland zu führen, geht nicht, ganz egal, worüber er spricht. Wenn Erdoğan dröhnt, er komme nach Deutschland, wann ER wolle und notfalls organisiere er einen Aufstand – eine Ungeheuerlichkeit. Es ist nicht mehr als die Behauptung, er könne jederzeit dem deutschen Staat trotzdem. Die bittere Erkenntnis: Vermutlich ist es so.
Die Türkei ihrerseits achtet sehr wohl auf ihre Souveränität und verbietet Bundestagsabgeordneten den Besuch des Bundeswehrstützpunkts Incirlik – umgekehrt touren türkische Minister durch Deutschland auf Wahlkampftour ohne Wissen der Bundesregierung.
Gabriel als Außenminister zeigt, dass er das nicht verstanden hat, wenn er über die Inhalte der Rede versucht, Bedingungen zu formulieren. Die türkische Regierung kann hier frei schalten und walten. Sie tut es. Das ist das Problem.
Erdoğan führt die Bundesregierung vor
Denn Erdoğan führt die Bundesregierung vor. Zehntausende jubelnder Anhänger mit türkischen Nationalfahnen bei seinen verschiedenen Auftritten in den letzten Jahren zeigen: Das erträumte deutsche Konzept der Integration hat an dieser Stelle nicht geklappt. Zu viele Türken mit und ohne deutschen Pass in Deutschland zeigen, was sie davon halten: Nichts. Die Verachtung für Deutschland, wenn sie Erdoğan als „ihren Präsidenten“ bezeichnen, ist übermächtig. Dabei sollte der Doppelpass doch die Integration herstellen, oder zumindest eine Brücke nach Deutschland bilden. Der Doppelpass wurde eine Brücke in die Türkei. Zu viele Migranten denken gar nicht daran, zu tun, was sich die Bundesregierung von ihnen erwartet. Wie auch? Warum auch? Integration war nie ihr Ziel, genau so wenig wie es auch anderen Einwanderern um Vieles geht, aber eben nicht um Integration, sondern vielmehr in den meisten Fällen um die Aufrechterhaltung IHRES Lebensstils. Das ist ihnen nicht vorzuwerfen, sie wollen ihr Leben leben nach ihren Maßstäben – es zerstört nur die Träume von der einen Welt.
„Warum begeistern sich so viele Menschen, die in Deutschland leben, teilweise hier sozialisiert sind und ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland sehen, für die Propaganda des Despoten #Erdoğan? Prozentual gesehen sogar mehr als in der Türkei selbst? Für mich ist das ein Zeichnen, ein Alarmsignal, für eine gescheitete #Integration und für die Existenz von #Parallelgesellschaften in Deutschland“, schreibt Ahmad Mansour.
Deutschland ist eine Art Deutschland limited. Es hat Parallelgesellschaften unter fremder Herrschaft zu akzeptieren, das ist Erdoğans Botschaft.
Erdoğan macht das unmissverständlich deutlich: Es sind und bleiben „seine Türken“. Er zählt 1,5 Mio Wahlberechtigte in Deutschland. Er zeigt sich als der Sultan, der seine Untertanen besucht. Und würde er zehnmal artig Texte sprechen oder gar Deniz Yücel vorher freilassen – es änderte nichts daran, dass er Deutschland als eine Gegend betrachtet, in der er seine türkische Kolonie unterhält, in der er mit „seinen“ Bürgern spricht, die für ihn seine Untertanen sind – und die Bundesregierung nickt dazu. Dass sich nicht alle Türken und Türkischstämmigen unterwerfen, sei hier betont; nur eine Minderheit schwenkt Erdoğans Halbmond über Deutschland. Aber die Mehrheit schweigt – wissend, dass ihnen und ihren Verwandten in der Türkei sonst alles mögliche drohen kann.
Dass türkische Verbände dagegen demonstrieren, ist bewundernswert – sie bräuchten jetzt Unterstützung durch eine ganz klare Grenzziehung: Hier ist Deutschland, nicht eine türkische Provinz, in die viele geflohen sind und noch fliehen werden – vor Erdoğan und seiner islamistischen Regierung. Genau das fehlt – die Verteidigung der Souveränität in Deutschland im Namen der Türken, die sich hier integriert haben. Es ist der Verrat an denen, die Deutschland brauchen und bereit sind, dafür etwas zu geben. Es sind nicht Einzelne – es sind sehr viele. Aber gefährdet durch die konkrete Machtausübung Erdoğans in Deutschland, das sie offensichtlich nicht mehr beschützen kann und will – wenn dieses Vorgehen weiter Schule macht. Doch die deutsche Regierung paktiert mit den falschen Verbänden.
Wann macht Assad Wahlkampf in Deutschland?
Ganz geht Erdoğans Konzept (noch?) nicht auf. Aber eines geht auf: Sein Anspruch darauf. Und das Schlimmste: Dem tritt Berlin nicht entgegen und erregt sich lediglich konsequenzlos über das N-Wort.
Nach diesem Muster dürfen wir vermutlich demnächst auf einen Besuch Assads warten, des syrischen Gewaltherrschers. Schließlich leben jetzt ja auch ca. 1 Mio. syrische Wähler in Deutschland. „Gut“, dass er ein „ordentlicher Autokrat“ ist und keine Wahlen kennt – sonst müssten wir auch seine Auftritte hinnehmen. Etwas weniger Marokkaner und Iraker bilden auch nationale Minderheiten, die von ihrem jeweiligen Staatsoberhaupt vereinnahmt werden könnten.
Wenn Erdoğans Auftreten weiter Schule macht, dann ist in Deutschland zukünftig täglich Wahlkampf – irgendwo wird schon über irgendwas abgestimmt, immer. Deutschland wird dann erschüttert von jedem Konflikt, der in einem der Zuwanderungsländer herrscht.
Und klar ist: Das Integrationsthema ist vorbei. Das ist, was Erdoğan für Berlin so gefährlich macht: Dass er Berlin das Scheitern seiner eigenen Integrations-Illusion vorhält. Dass Berlin zugelassen hat, dass sich die türkische Religionsbehörde mit ihren entsandten Imamen Moschee-Gemeinden untertan macht, und dort türkische Staatsideologie verbreitet. Dass diese Imame in Deutschland Menschen ausspioniert haben, die dann in der Türkei verhaftet werden. Erdoğan hat Deutschland mit einem Netz von Organisationen durchzogen. Diese und frühere Bundesregierungen haben dabei tatenlos zugeschaut.
So hat Erdoğan seinen Herrschaftsbereich auf Deutschland ausgeweitet. Das Land, das unter Merkel seine Grenzen einfach aufgegeben hat, erlebt jetzt, dass es ein Gastland für Erdoğans autonome Provinzen ist. Deutschland hat in der Migrationskrise den Schutz seiner Grenzen und damit seine Souveränität aufgegeben. Jetzt nimmt Erdoğans Minister Nihat Zeybeci für seine Regierung das Recht in Anspruch, seine Untertanen in Deutschland zu besuchen. Das ist nicht nur eine Kapitulation im Namen der Deutschen. Es ist auch Verrat an jenen Türken und Kurden, die vor Erdoğan nach Deutschland geflüchtet sind. Sie werden ihm und seiner Geheimpolizei erneut ausgeliefert, mitten in Deutschland. Merkel und Gabriel schauen betroffen weg und protestieren ein wenig und das an der falschen Stelle, machen sich nur angreifbar und demonstrieren nichts als ihre Selbstaufgabe.
Noch nie hat sich ein Land so sehr selbst aufgegeben. No Border – no Nation, das Merkel-Konzept entfaltet jetzt seine Kehrseite: Erdoğan nimmt Tribut in Almanya entgegen, das vor ihm klein beigegeben, ihn als Wächter seiner Außengrenzen bezahlt und jetzt erleben muss: Er ist auch bereits innerhalb der deutschen Grenzen mächtig.
Das ist der eigentliche Skandal – nicht, ob Erdoğan und seine Mannen etwas sagen, was nicht in den Berliner erlaubten Meinungskanal passt. Dass er Merkel und ihre Regierung vorführen kann, wie er will. Ein schauderhaftes Bild.