Die Ampelparteien zeigen sich mit der Entschuldigung von Aydan Özoguz zufrieden. Die Bundestagsvizepräsidentin hatte auf ihrem Instagram-Account ein Flammeninferno einer israelfeindlichen Organisation gepostet, auf der die Aufschrift stand: This is Zionism (Das ist Zionismus).
Aber in der Aussprache im Ältestenrat habe man dann doch – irgendwie – zueinandergefunden. Zuvor hatte die Unionsfraktion der SPD-Politikerin de facto das Vertrauen entzogen, als sich der parlamentarische Geschäftsführer Thorsten Frei im Namen der CDU/CSU von ihr nicht mehr vertreten lassen wollte. Das ist eine Rücktrittsforderung, auch, wenn es die Medien weicher transportieren, und womöglich auch die Union im Nachhinein.
Kritik gab es dabei zuerst von der AfD. Die stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Beatrix von Storch, hatte den Aufschlag gemacht. Aber auch aus den grünen Reihen meldeten sich kritische Stimmen, allen voran Volker Beck, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Bei der FDP muckte man auf, und als sich mit der Bundestagspräsidentin Bärbel Bas auch eine SPD-Vertreterin meldete, wurde es plötzlich sehr eng für Özoguz.
Die im Ältestenrat vorgelegte Entschuldigung liegt nicht vor. Schaut man aber auf die beiden Stellungnahmen in der Öffentlichkeit, so kann man diese kaum als ausreichend betrachten. Ihr Ziel sei es, so Özoguz, auf das zivile Leid auf beiden Seiten aufmerksam zu machen. Sie sehe eine „eskalierende Gewaltspirale“. Das ist so ziemlich der abgegriffenste Wortschatz, den es im Nahostkonflikt gibt; er sorgte schon in den 1990ern für Spott.
Aber Özoguz zieht diese Argumentation durch. „Ich habe erkannt, dass durch den geteilten Beitrag Gefühle von Mitbürgerinnen und Mitbürgern verletzt wurden, die für ein friedliches Zusammenleben einstehen“, teilte sie mit. „Das war nicht meine Absicht und das bedauere ich zutiefst.“
Nach der Sitzung erklärte Özoguz: „Es war ein Fehler, diese Instagram-Story zu teilen. Ich bitte um Verzeihung.“ Ihr Ansinnen sei es, in der Gesellschaft Brücken zu bauen und die Menschen zusammenzubringen. „Dieser Post hat aber das genaue Gegenteil bewirkt. Ich distanziere mich davon.“
Özoguz distanziert sich – von einem Post? Von sich selbst? Von der Handlung? Nebensächlich. Ein bisschen Nebel und die SPD-Karriere geht geräuschlos weiter. Das Statement von Özoguz bedient sich zudem der linken Strategie des Gaslightning. Sie sagt nicht, dass ihr das Teilen des Bildes selbst leidtut; nein, es tut ihr leid, dass „durch den geteilten Beitrag Gefühle von Mitbürgerinnen und Mitbürgern verletzt wurden“. Die Leser und ihre blöden Gefühle eben. Die Wahrnehmung der anderen ist der Gradmesser, nicht das tatsächlich Vorgefallene.
Würde es Özoguz wirklich ehrlich meinen, dann würde sie zurücktreten. Doch wie erwähnt: Im Ältestenrat standen nicht einmal Rücktrittsabsichten im Raum.
Der Fall geht dabei tiefer. Dafür reicht die kurze Überlegung, ob ein FDP-, Unions- oder gar AfD-Politiker in einem öffentlichen Amt danach noch haltbar gewesen wäre. Die Süddeutsche Zeitung hat monatelang eine Schmierenkampagne gegen den stellvertretenden bayerischen Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger geführt. Wegen eines antisemitischen Flugblattes im Schulranzen von vor 35 Jahren. Jetzt steht die Bundestagsvizepräsidentin im Rampenlicht wegen eines antiisraelischen Postings von vor zwei Tagen; derselbe empörte Blätterwald ist aber erstaunlich still.
Zweierlei Maß sind in der Medienlandschaft nichts Neues. Es gibt aber noch eine andere Entwicklung, und die ist in der Tat sehr neu für die Geschichte der Bundesrepublik. Unterstützer der Fatah hat es in der SPD immer gegeben. Israelfeindlichkeit war jedoch in der deutschen Gesellschaft über Jahrzehnte geächtet. Es handelt sich um einen Grundkonsens der alten Bonner Republik. Antisemiten und Israelfeinde galten per se als unfein.
Heute bestimmen antiisraelische Studentencamps die Universitäten des Landes. Bezeichnend ist, dass Innenministerium und Verfassungsschutz weiterhin den Antisemitismus von rechts geißeln, den linken Antisemitismus aber noch immer nicht so recht sehen will. Die Israelfeindlichkeit migrantischer Milieus aus dem Orient sowie in linken Milieus „übersieht“ man ganz. Greta Thunberg etwa, die man vorher auf das Podest erhoben hat, rüffeln zwar konservative Medien und Politiker; auf der anderen Seite bleibt Schweigen angesichts des aktuellen „Engagements“.
Das ist die Methode, die nun auch bei Özoguz zum Tragen kommt. Was vor einigen Jahren unverzeihlich war, wird im richtigen politischen Kontext verzeihlich; das Fenster des Unsagbaren verschiebt sich – aber lediglich im linken Spektrum. Macht man darauf aufmerksam, dass Özoguz eine längere Geschichte von Berührungspunkten mit islamischen Milieus anhängt, so muss sich nicht die Vizepräsidentin des Bundestags, sondern der Kritiker rechtfertigen.
Auch andere Institutionen haben an Bissigkeit und Gewicht verloren. Wenn einst der Zentralrat der Juden ausholte, dann musste man sich ducken. Josef Schuster erklärte zum Özoguz-Posting, dass „antizionistische Narrative“ bedient würden, die „im vergangenen Jahr zu den schlimmsten israel- und judenfeindlichen Ausschreitungen in Deutschland geführt“ hätten.
Früher hätte das den Sturz jedes Politikers unausweichlich gemacht. Heute verpufft das Wort bei drei Bundestagsfraktionen, die auch bei Grundrecht und Haushalt lediglich mit den Achseln gezuckt haben. Der pro-israelische Konsens der alten Republik ist beerdigt worden.
Rot-Grün-Gelb also tatenlos, die CDU/CSU selbst am Aufstieg von Özoguz beteiligt – bliebe da vielleicht die AfD als Bewahrerin der alten Substanz? Von Storch hat den Aufschlag gemacht. Ihre Partei hätte sich damit profilieren können, indem sie ihr pro-israelisches Profil gegenüber den traditionell palästinenserfreundlichen Linken schärft.
Dass die AfD aber kaum das Thema in der Art und Weise aufgegriffen hat, wie man es von einer Oppositionspartei erwarten würde, liegt an eigenen, internen Problemen. Am Mittwoch hat AfD-Chef Tino Chrupalla seiner Partei einen Bärendienst erwiesen, indem er die bis dahin zementierte Israel-Allianz aufgelöst hat. Im Bundestag kritisierte er „exklusive Solidaritätsbekundungen“ und „einseitige Parteinahmen“. Es sei Zeit, sich objektiv und kritisch mit der israelischen Regierung auseinanderzusetzen.
In der AfD, wo man seit Jahre äquivalent zu anderen europäischen Rechtsparteien versucht, ein Bekenntnis zu Israel zur Leitlinie zu machen, hat das nicht nur zu Irritationen geführt, sondern auch Gräben aufgerissen. Stammwähler hat Chrupalla damit massiv verunsichert. Dabei ist auch der Ruf des AfD-Chefs nach der Einstellung deutscher Waffenlieferungen nichts Neues. Kollegin Alice Weidel hatte bereits im August Waffenlieferungen an Israel infrage gestellt.
Aber wozu das alles? Partei- wie wahlstrategisch führen diese Bekenntnisse ins Nirgendwo. Denn antiisraelische Parteien gibt es in Deutschland schon genug. Auch deswegen kann Özoguz auf ihrem Posten bleiben.