Tichys Einblick
Reaktion auf Solingen

Ampel drückt „Sicherheitspaket“ nach Sabotageakt durch

In der entscheidenden Abstimmung zum „Sicherheitspaket“ kam es zu einem Sabotageakt. Der zeigt, wie uneinig sich der Bundestag im Umgang mit islamistischer Terrorgefahr ist – und wie unglaubwürdig die Bemühungen.

picture alliance/dpa | Jörg Carstensen

Drohnen und Hubschrauber kreisen an diesem Freitag über Berlin, veranstalten einen Höllenlärm. Scharfschützen lauern an den Fenstern, zentrale Plätze sind gesperrt, Kontrollen finden statt und ein großer Teil des öffentlichen Nahverkehrs ruht. Joe Biden ist in der Stadt, in der das Parlament sitzt. Um dieses herum lassen die dort tagenden Abgeordneten gerade einen Sicherheitsgraben bauen. Doch, doch. Politiker nehmen das Thema Sicherheit durchaus ernst – wenn es um ihre eigene Sicherheit geht.

Um die Sicherheit des Volkes stehe es indes gut, haben sie dem Volk gesagt, während sie sich vor ihm eingegraben haben. Doch die Realität außerhalb des Grabens hielt sich nicht daran. Die Realität brachte den Terroranschlag von Mannheim, nach dem die Politik versprach, alles werde besser – bis zu dem Terroranschlag von Solingen. Dem vorerst letzten – öffentlich groß behandelten – Anschlag. Denn was zwischenzeitlich passiert, bemühen sich staatliche und staatsnahe Medien kleinzuhalten: Wenn dreimal die Woche in Berlin-Neukölln Extremisten einen Völkermord an Israel fordern. Wenn ein mutmaßlicher Iraner mit 27 unterschiedlichen Identitäten in Deutschland lebt und mit all diesen Identitäten wahllos Ungläubige töten will. Oder wenn Frauen Bahnhöfe und andere öffentliche Plätze aus Angst vor Angriffen meiden. Das seien Fälle aus der privaten Beobachtung, ohne jede Evidenz, sagen staatsnahe Journalistinnen im Staatsfernsehen. Das Volk soll also nicht glauben, was es sieht, sondern was ihm die Politik sagt.

Im Bundestag, hinter dem wachsenden Graben, beraten die Abgeordneten über das Sicherheitspaket. Das haben SPD, Grüne und FDP aus dem Boden gestampft. Wenige Tage nach Solingen und wenige Tage vor den Wahlen in Sachsen und Thüringen. Das habe aber nichts damit zu tun, haben sie behauptet. Das seien alles Punkte, an denen sie schon seit Jahren gearbeitet hätten. Gleichzeitig verstehen die gleichen Politiker nicht, warum immer größere Teile des Volkes ihnen immer weniger glauben – aber das ist ein anderes Thema.

Zu den Politikern, die nach Solingen das Sicherheitspaket vorgestellt haben, das mit Solingen nichts zu tun gehabt haben soll, gehörte Innenministerin Nancy Faeser. Solche Pakete thematisiert die Sozialdemokratin nur kurz nach dem jeweils nächsten Anschlag, der sich nicht einmal mehr von staatlichen und staatsnahen Medien kleinreden lässt. Den Rest des Jahres behauptet Faeser, die größte Gefahr für Leib und Leben der Bürger ginge von dem aus, was die Innenministerin für Rechtsextremismus hält. Dessen Anhänger seien schon in der Mitte der Gesellschaft zu finden, hat sie im Staatsfernsehen erzählt.

Nun stellt sie das Paket also im Bundestag vor, wo es zur zweiten und dritten Lesung ansteht. Nach einer dritten Lesung gelten Gesetze, die eine Mehrheit finden, als angenommen. Es stelle einen großen Schritt in Sachen Sicherheit dar, feiert sich Faeser selbst. Wobei die unmittelbare Reaktion auf Messerterror darin besteht, Messer im öffentlichen Raum zu verbieten. Dass es bereits solche Verbotszonen gibt und Anschläge genau in diesen Zonen stattgefunden haben? Geschenkt. Für Faeser ist das Messerverbot also ein großer Schritt. Nun denn.

Tatsächlich ist es so, dass Faeser mit dem Paket Großes durchgesetzt hat. Aus ihrer Sicht. Im Sinne ihrer Prioritätensetzung. Denn mit dem Solingen-Paket wolle die Ampel ja auch Rechtsextremismus bekämpfen, sagt die Innenministerin. Und was das Anliegen angeht, das ihr wirklich wichtig ist, hat sie wirklich einen entscheidenden Fortschritt erreicht: Die Sicherheitsbehörden dürfen künftig die Geldströme von Extremisten leichter und intensiver prüfen. Das hat Faeser im Frühjahr zur Bekämpfung des Rechtsextremismus gefordert. Nun setzt sie es um mit Verweis auf Solingen und Messerterror. In Deutschland 2024 blühen unglaubliche Zufälle und fehlende Glaubwürdigkeit.

Inwiefern hilft die Untersuchung von Geldströmen im Kampf gegen Messerterroristen? Hätte der Täter von Solingen vorher 29,90 Euro von seinem Girokonto abgehoben, wäre er in Verdacht gekommen, weil es im Internet gerade ein Springmesser zu diesem Preis im Angebot gab? Dafür gibt es eine Wahrscheinlichkeit, die sich mit einer gewissen Prozentzahl ausdrücken lässt. Die Zahl ist null. Doch die Menschen, die Faeser Rechtsextreme nennt, erleben in ihrem Alltag schon jetzt, dass die Sicherheitsbehörden die Bewegungen auf ihren Konten überprüfen. Die Ergebnisse landen zeitgleich in staatlichen und staatsnahen Medien. Die haben nämlich – Badauz – genau zur gleichen Sache recherchiert. In Deutschland 2024 blühen unglaubliche Zufälle und fehlende Glaubwürdigkeit.

Mit dem Sicherheitspaket erledigt Faeser auch noch Überfälliges. Zum Beispiel den automatischen Abgleich von Bildern im Internet. Wenn Linksterroristen unentdeckt in Berlin leben und auf Facebook Fotos aus ihren Gymnastikkursen posten, ist es für ausländische Journalisten ein Leichtes, diese zu finden. Dem Bundeskriminalamt ist dies über Jahrzehnte nicht gelungen, während die besagten Terroristen unter dringendem Tatverdacht stehen, zwischen den Gymnastikkursen Geldtransporter überfallen zu haben. Nun dürfen auch Polizisten solche Fotos checken. Immerhin. Das ist ein tatsächlicher Erfolg des Sicherheitspaketes.

Doch bei einer Ursache von Terror ist die Ampel keinen Schritt weitergekommen, weil die Grünen jeden Versuch erfolgreich ausgebremst haben: bei der unkontrollierten Einwanderung. Nichts passiert, um Brandstifter mit 27 Identitäten zu stoppen. Nichts, um Ausreisen von Ausreisepflichtigen zu beschleunigen, die dann später mit dem Messer in der Hand mordend über Volksfeste ziehen. Keine Beschleunigung der Verfahren, keine Vereinfachung.

Selbst das bisschen, was sich die Ampel vorgenommen hat, haben die Grünen derart verwässert, dass nichts davon übriggeblieben ist. Etwa Urlaub in Heimatländern. Menschen leben in Deutschland, weil sie behaupten, zuhause sei ihr Leben bedroht. Sie beziehen Bürgergeld und andere staatliche Transfers – und machen mit diesem Geld im Sommer Urlaub in den Ländern, in denen ihr Leben angeblich bedroht sein soll. Dass dies eine Zumutung für den Steuerzahler ist, die ihm nicht mehr zu erklären ist, haben immerhin SPD und FDP erkannt. Sie haben die Abschaffung dieser Urlaube ins Sicherheitspaket aufgenommen. Doch sie haben eine Hintertür offen gelassen, die größer als die tragenden Wände ist. Wer zuhause einen kranken Verwandten hat, kann weiter in das Land reisen, in dem sein Leben angeblich bedroht ist – und unterdessen deutsches Steuergeld beziehen. Die Ämter sind damit überfordert, auch nur festzustellen, dass ein Brandstifter unter 27 Identitäten lebt. Doch die gleichen Ämter sollen jetzt überprüfen, ob eine Tante in Amman wirklich krank ist – das wird bestimmt klappen.

Die Gesetze, die wirklich Folgen haben, haben diese für die Mitte der Gesellschaft. Damit Terroristen keine Messer mehr kaufen, wird das Waffenrecht für Jäger und andere Gruppen verschärft – erleichtert der Staat das Abhören privater Kommunikation im Netz. Die Ampel stellt den gesetzestreuen Steuerzahler unter Generalverdacht. Die gesellschaftliche Mitte. Aber die ist ja ohnehin anschlussfähig für Rechtsextremismus, behauptet Faeser. Und der ist ihr Feind. Das hat sie mit dem „Sicherheitspaket“ nur noch einmal bewiesen. Egal, was sie sonst behauptet.

Die Abstimmung zu dem Sicherheitspaket wird zum Eklat. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) muss sie wiederholen lassen. Im Ergebnis tauchen Stimmkarten der ehemaligen Abgeordneten Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) auf. Die gehört mittlerweile dem Europaparlament an und ist während der Abstimmung im Schloss Bellevue beim Empfang von Joe Biden. Ein Sabotageakt. Gut möglich, dass Abgeordnete damit ihren Unmut zum Ausdruck bringen wollten. Sei es, weil ihnen das Paket nicht weit genug ging – oder auch zu weit wie den Grünen und großen Teilen der SPD.

Die Vizepräsidentin des Bundestags, Petra Pau (Linke), findet eine andere Erklärung: Die Karten seien aus einer alten Abstimmung übriggeblieben. Da war also eine Abstimmung, bei der Strack-Zimmermann mehrere Karten abgegeben hat.

Genau die blieben übrig, während die anderen verschwunden sind. Und die sind jetzt vor einer neuen Abstimmung übriggeblieben? In Deutschland 2024 blühen unglaubliche Zufälle und fehlende Glaubwürdigkeit.

Die Abgeordneten hinter dem Sicherheitsgraben tragen ihren Teil dazu bei. Sie sind frei gewählt, mit Immunität ausgestattet und nur ihrem Gewissen verpflichtet. Doch statt klar und deutlich zu sagen, dass sie, warum auch immer, gegen das Paket sind, veranstalten sie kindliche Racheakte. Am Ende steht dann doch die Mehrheit der Ampel. Jemand hat sein Mütchen gekühlt, um aber letztlich doch keine Konsequenz zuzulassen, die Mandat, 11.000 Euro Monatsgehalt und 5000 Euro steuerfreie „Kostenpauschale“ gefährdet hätte. In Deutschland 2024 blühen unglaubliche Zufälle und fehlende Glaubwürdigkeit.

Update: Das Sicherheitspaket hat auch den Bundesrat passiert. Die Länderkammer ließ nur einen Aspekt durchfallen. Den sinnvollsten. Ermittler dürfen auch künftig Bilder Verdächtiger im Netz nicht vergleichen. Die von der Union geführten Länder beklagten, die Hürden seien zu groß, die vor diesem Schritt genommen werden müssten. Deswegen steht den Behörden diese Maßnahme weiterhin überhaupt nicht zur Verfügung.

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